Freitagabend auf der Bahnfahrt nach Berlin. Kurz nach dem planmäßigen Zwischenhalt in Ludwigslust bleibt der Intercity 2073 unvermittelt auf offener Strecke stehen. Gut, dass ich ohne Termindruck und mit einem Hefeweizen (eiskalt wie selten) gemütlich im BordRestaurant sitze. Nach einiger Zeit folgt eine Durchsage: Lokschaden. Zeitpunkt der Weiterfahrt unbestimmt. Unmut umwölkt die Blicke der Passagiere, Handys werden hervorgeholt. Erstaunlich schnell folgt eine zweite Durchsage: Eine Ersatzlok sei angefordert und würde in ca. einer Stunde am nächstgelegenen Bahnhof eintreffen. Immerhin. Informiert wartet sich’s leichter.
Mir egal, ich habe 7 Stunden Hörbuch im iPod, langweilig kann’s also nicht werden. Nach etwa 20 Minuten krächzt eine dritte Durchsage des Zugführers aus den Deckenlautsprechern: Die Fahrt könne in Kürze fortgesetzt werden, der Lokführer (!) habe (Zitat) »unser Pferdchen wieder flottgemacht«. Und tatsächlich zieht fast augenblicklich die nächtliche Landschaft wieder am Fenster vorbei. Toll. Vor meinem geistigen Auge sehe ich den Lokführer, Typ Bruce Willis, entschlossen und im Feinrippunterhemd aus dem Führerhaus springen. Nach wenigen Schritten über den regennassen Schotter steht er vor dem havarierten Koloss auf dem Gleis. Wie Schleiffunken sprühen windverwehte Regentropfen durch den müden Strahl der Frontlampen. Fluchend reißt er die Motorhaube der Lok (wo sitzt die eigentlich?) auf. »Komm schon, Baby, tu mir das nicht an …!« Sein Handrücken hinterlässt auf der schweissbeperlten Stirn eine schwarzölige Spur. Da! Der Hauptschubbolzen ist herausgesprungen. Mit einer Kugelschreibermine, etwas altem Kaugummi und einem Schnürsenkel fixiert er das widerspenstige Teil in seinem Scharnier. Haube zu, zurück ins Cockpit, ein Druck auf den Anlasserknopf – das Aggregat springt bockend an. Dann: sonores Brummen. Yeah, alright, Baby, let’s go. Die Bahn kommt.
So könnte es gewesen sein. Oder auch nicht. Will ich auch gar nicht wissen. Manchmal tut dem Alltag ein bisschen Film ganz gut.