Nölplattformen

Bewertungen im Internet sind eine tolle Sache. Endlich haben Verbraucher eine Stimme! Fast ungefiltert und in Echtzeit kann jeder mit Internetzugang mittels Mundpropaganda (nicht zu verwechseln mit Mund-zu-Mund-Beatmung!) Produkte und Dienstleistungen empfehlen oder verteufeln. Davon profitieren alle! Die Suchenden werden sowohl mit Tipps und guten Erfahrungen auf die richtige Fährte gesetzt als auch durch Warnungen und fundierte Kritik vor Enttäuschungen gewarnt.

Wenn’s denn so wäre. Denn immer wieder finden sich in den Userkommentaren zu Firmen, Produkten oder Dienstleistungen vereinzelt Einträge, die in mir eine der Urfragen der Menschheit neu aufwerfen: Woher kommt der Mensch? Was will er von mir? Und warum schreibt er sowas?

Ich habe selbst schon beste Erfahrungen mit Qype-Rezensionen gemacht (Update: Qype wurde nach einiger Zeit assimiliert vom Konkurrenzportal Yelp). Und ich amüsiere mich über Spaßrezensionen wie beim schon legendären Amazon-Allmachtstaschenmesser. Aber jenseits dessen beginnt die Twilight Zone der Nutzerbewertungen, in der Menschen u.a. mit der Fähigkeit leben, Dinge zu bewerten, die sie gar nicht richtig genutzt haben. Die Bewertungen verfassen, die mit dem getesteten Ding oder seiner bestimmungsgemäßen Nutzung rein gar nichts zu tun haben.

Drei Beispiele. Suche ich z.B. bei Qype nach Bewertungen für Restaurants, die ich selbst oft und gerne besuche, stoße ich u.a. auf Folgendes:

»Wir haben hier nicht übernachtet und auch nicht wirklich richtig gegessen, eigentlich kann ich recht wenig sagen.«
– Bewertung: ★★★✩✩
User kitchenhero zum Mövenpick Hotel Hamburg Sternschanze

»Ich nehme mir Gänsebraten (frühmorgens!), Salzkartoffeln und Rotkohl, schliesslich ist (bald) Weihnachten. Später noch einmal Nachschlag, das ist erlaubt. Noch den ganzen Tag werde ich später daran erinnert, dass derartige Gerichte mit viel Fett (Gänseschmalz) zubereitet werden. Nach einem guten Gänsebraten muss man den ganzen Tag aufstoßen vom vielen Fett und das hat immer so einen öldichten Nachgeschmack.«
– Bewertung: ★★✩✩✩
User Thomas Go… zum Brauhaus Rixdorf, Berlin (inzwischen geschlossen)

»Ich mag es nicht, wenn in einem Restaurant grundsätzlich alle Tische vorreserviert sind.«
– Bewertung: ★✩✩✩✩
User annshee zur Trattoria Libau, Berlin (noch ohne Website)

Da könnte man sich schon fast einen Spaß draus machen, sich einige kausal ähnlich gelagerte Bewertungszitate auszudenken – etwa für Amazon-Produkte – und die Leser raten zu lassen, ob auch echte dabei sind oder nicht …

  1. »Ein Vorteil hat das Gerät, es ist Robust, als ich es vor kurzem vor Wut gegen die Wand gepfeffert habe ist nix kaputt gegangen.«
  2. »Leider konnte ich das eingeschweißte Produkt nicht öffnen, da ich eine Zellophanallergie habe.«
  3. »Das Buch hat sehr viele Seiten und wird leider nicht durch Bilder aufgelockert, damit sich die Augen mal etwas ausruhen können.«
  4. »Das Produkt ist genauso nutzvoll wie Scheiße unterm Schuh. Mehr braucht man dazu nicht mehr sagen …«
  5. »Ich hasse Rezensionen, die gemacht werden, bevor ein Spiel auf den Markt ist. Um so paradoxer ist es, dass ich gerade eben dies gerade tue.«
  6. »Leider kann ich mich den meisten anderen Rezessionen nicht anschließen.«
  7. »Der Schreibstil dieses Buches ist sehr primitiv. Alle Sätze sind sehr kurz gefasst. Nicht empfehlenswert.«
  8. »Meine Nachbarn haben die DVD gekauft und ich muss sagen, die Bässe bei den Explosionen sind viel zu laut eingestellt.«
  9. »Ich konnte zu keiner der in der Handlung vorkommenden Personen eine Beziehung aufbauen.«
  10. »Der Postbote, der das Paket brachte war sehr ungepflegt und hatte mundgeruch.«
  11. »Ich habe die DVD nicht angesehn, werde sie mir auch nicht kaufen, aber möchte trotzdem eine gutgemeinte Warnung aussprechen: Finger weg.«
  12. »Das Cover ist ansprechend, der Klappentext auch. Der Rest, naja.«

(Auflösung: die Zitate 2, 3, 8 und 10 sind frei erfunden.)

Facepalm_Skulptur
Photo: © cesarastudillo | Some rights reserved

7 Kommentare

  1. Einige Plattformen versuchen ja, das zu steuern, indem sie es erlauben, Kommentare selbst zu bewerten. Eine feine Erweiterung hiervon wären ja textuelle Metakommentare, mit denen man sich zu den Kommentaren äußern könnte. Zu denen es dann wieder Kommentarfunktionen gäbe undsoweiter – hach, Rekursion ist schon was Schönes.

  2. Ha, das mit den Rezessionen ist mir auch vor kurzem aufgefallen, scheint öfter vorzukommen. Und Nummer sieben kommt mir bekannt vor. Gerne heißt es auch: „Der kann üperhaupt keine Rechtschreibung, so was stöhrt mich total.“
    Erschreckend natürlich, welche Meinungen von diesen Beispielen nicht fiktiv sind.
    Ich vertraue Userbewertungen immer weniger, seit professionelle Agenturen sich eingeklinkt haben (schon immer?) und sich Schemata herausbilden wie: „Der Akku hält echt nicht lange, bei Produkt XY ist das echt viel besser. Mein nächstes wird auf jeden Fall wieder ein XY sein.“
    Beliebt auch, irgendwo (Forum, gutefrage…) zu fragen, welcher Kinderwagen denn zu empfehlen sei, und selbst zu antworten, man habe nun den Sowieso XS entdeckt, der sei der Beste. Vielen Dank, echt.
    Ich glaube, wenn alles nichts wird mit mir, gründe ich auch eine Bewertungsagentur, mit dem Partnerbüro Abmahn und Co.

    1. @angela – Ich vertraue ja immer noch darauf, dass der Großteil der nachvollziehbar und differenziert formulierten Bewertungen von ehrlichen und unbezahlten Usern erzeugt wird. Wenn möglich, schaue ich mir teurere Anschaffungen ohnehin nach der Vorauswahl aufgrund von Bewertungen nochmal im „echten” Laden an und kaufe dort auch häufig noch. Gibt aber bestimmt auch genug – gerade ältere oder mit dem Internet noch weniger vertraute – Kunden, die unbedarft glauben, was in den Bewertungen geschrieben steht. Es ist nicht einfach.
      @Magnus – Und dann kommen noch die Blogautoren und Kommentatoren hinzu, die über die Bewertungen und über Bewertungen, welche Bewertungen bewerten, schreiben und deren Beiträge dann wiederum geliked oder bewertet werden.
      Ich glaub, ich muss mich hinlegen, mir ist schwindelig.

  3. Die Königsklasse wunderlicher Bewertungen dürfte immer noch bei den Rezeptsammlern von chefkoch.de zu finden sein.
    Klingt echt lecker, werde ich sicher irgendwann mal ausprobieren. Würde ich aber anders machen. ★★☆☆☆
    Ich habe das Rezept gleich nachgekocht, allerdings statt Reis Kartoffeln vom Vortag genommen. Außerdem habe ich die Entenbrust durch Tofu ersetzt und statt Erdnussöl Schweineschmalz genommen, das gerade noch da war. Weil ich diese asiatischen Gewürze nicht so mag, habe ich statt dessen mit etwas Fondor gewürzt. Ich muss sagen, mir hat das Gericht gar nicht geschmeckt und ich frage mich, wie man so ein Rezept hier einstellen kann. ★☆☆☆☆

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