Ich liege rücklings auf einer Decke auf einer Wiese am Ufer der Havel und schaue nach oben. Drei Baumkronen rahmen meinen Blick auf den Himmel ein. Überhaupt sollten nur Baumkronen das Wort »Krone« benutzen dürfen, alle anderen Kronen sind lächerlich, unmajestätisch oder eitel (»Krone der Schöpfung«, hamwergelacht). Die Schaumkrone auf einem Bier oder einer Welle würde ich vielleicht noch durchgehen lassen, aber damit hat es sich auch ausgekront.
Der Himmel ist unglaublich blau, nur ganz feine Wolken beschleiern ihn, Schwalben ziehen weite Schleifen hoch oben, es weht ein leichter Wind und die Temperatur ist »genau richtig«. Dann ist es egal, ob das Thermometer dreiundzwanzig Grad zeigt oder achtundzwanzig, die Luft hat auf eine wunderbare Weise genau dieselbe gefühlte Wärme wie die eigene Haut, sie ist einfach nur ein temperaturloser Hauch, der leicht zwischen den Härchen auf Armen und Beinen hindurchweht, ohne jede andere Eigenschaft als genau dieses sommerliche Streicheln. »Schwedenwetter« ist mein Wort für so eine Konstellation und dazu gehört irgendwie auch, dass man dabei in der Nähe eines schönen Gewässers liegt (oder sitzt).
Gerade war ich schwimmen, in der Havel. Das Wasser ist zwar noch ein wenig frisch, aber mit einem beherzten Eintauchen kalibriert sich der Körper schnell in der nassen Umgebung. Etliche kleine Fische huschen durch das erstaunlich klare Wasser, auf den ersten Blick sind sie kaum vom sauberen sandigen Grund zu unterscheiden. Wenn man ganz still hält, kommen sie in kleinen Wellen aus Neugier und Zurückschrecken immer näher, manchmal berühren sie fast meine Hände oder Füße. Zwischendurch durchstupsen sie immer mal die Wasseroberfläche, um sich einen obenauf treibenden Insektensnack einzuverleiben.
Schon mehrfach war ich hier in diesem Ort, in dem kleinen, gelb gestrichenen Häuschen, zwei Gehminuten vom Flussufer entfernt. Ich werde mich hüten, den Namen des Dörfchens auszuplaudern, es sind in diesem Jahr schon deutlich mehr Urlauber hier als in den vergangenen Jahren, Corona sei’s gedankt. Ich freue mich natürlich für die Ladenbesitzer, Ferienvermieter und Gastronomen, andererseits ist es gerade die spärliche Schar an Urlaubern, die einen der vielen Reize dieser Gegend ausmacht. Ich brauche keine Handtuchparzelle inmitten einer Horde von Ostseestrandtouristen, für mich gehört Abstand zu anderen Menschen seit jeher zu dem, was ich im Urlaub und im Alltag nicht missen möchte. Abstand und Stille.
Stille gibt es hier auch reichlich. Man spürt sie am stärksten, wenn man gerade aus der wimmeligen Großstadt eingetroffen ist, dann ist der Gegensatz zum Gewohnheitslärm am stärksten. Nach ein paar Tagen hört man die Stille nur noch, wenn sie durchbrochen wird, von einer vorbeibrummenden Hummel, einem klappernden Storch – von denen es hier viele gibt – oder von einem geselligen Heiterkeitsausbruch auf einer umliegenden Biergartenterrasse. Stille kann natürlich durchbrochen werden, aber sie muss nicht. Ich zumindest habe sie gerne in meiner Nähe und mag es, wenn sie mich begleitet. Es scheint Menschen zu geben, die sie nicht ertragen, die sich und andere stetig beschallen müssen, mit Musik aus Kopfhörern und Lautsprechern, mit Unterhaltungen, dem Lärm ihrer Maschinen und Gerätschaften, dem künstlich lautfrisierten Knattern von Motorrädern oder anderem Tumult. Ich bin dankbar für Tage wie heute, an denen mir solcherlei fern bleibt.
Ich liege hier auf dem Rücken am Fluss inmitten der Stille und der Sommer umspinnt mich mit einem Kokon aus flunkernder Friedlichkeit, die für einen Nachmittag alles vergessen macht, was die Welt da draußen beutelt. Es fühlt sich an, als gäbe es hinter diesem perfekten himmelblauen Tag kein Corona, keinen Klimawandel, kein Mikroplastik, kein Artensterben, keine größenwahnsinnigen »regierenden« Irren, keinen aufkeimenden neuen Faschismus, keine Überbevölkerung, keine Gewalt und keine Diskriminierung.
Ich weiß natürlich, dass dieser Tag mir nicht die Wahrheit sagt. Aber manchmal ist es einfach unbezahlbar, sich ganz bewusst auch mal einen Moment lang anlügen zu lassen.
Danke für den wunderbaren Tagtraum.
Vielen Dank für den sehr wohltuenden Aufsatz an diesem kühlen, regnerischen Tag!