Pflanzen finde ich total super. Ich könnte stundenlang durch die Natur stromern und mir alles angucken, was da knospt, blüht, rankt und wächst. Die vielen Formen der Blätter, Blüten und Saaten, die Düfte und Aromen der essbaren Wildpflanzen, riesige Bäume, bei denen ich mich frage, wie alt die wohl sind, das schöne flirrende Licht, das an einem sonnigen Tag durch ein Blätterdach im Wald fällt. Alles Komponenten für ein wohliges, den ganzen Körper flutendes Hachgefühl. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich schon als Kind relativ viel draußen war und in den Ferien bei der Oma im Harz schon oft und gern im Wald rumgestrolcht bin.
Zu Hause, wo ich wohne, habe ich nicht viel Platz für Pflanzen und zum Gärtnern, aber ich versuche, das Beste draus zu machen. Im Bad steht ein Topf mit einem Pflanzenduo aus einem schönen zweifarbigen Drachenbaum (Dracaena fragrans »Lemon Lime«) und einem Nestfarn (Asplenium antiquum), im Wohnzimmer zwischen Sofa und Fenster ein recht üppiger Kletterphilodendron (Philodendron scandens) und eine kleine Birkenfeige (Ficus benjamini) auf der Fensterbank und die Fensterplätze in der Küche teilen sich eine kleine Agave americana, die ich einst als Ableger aus einem Portugal-Urlaub mitbrachte, ein sehr robuster Bogenhanf (Sansevieria trifasciata laurentii) und eine extrem emsig blühende, purpurfarbene Flamingoblume (Anthurium andreanum). So habe ich in fast jedem Raum etwas zum Freuen, nur im Flur steht eine Vase mit Seidenblumen, künstliche Rosen, denn dort ist es zu dunkel.
Einen Garten habe ich nicht. Zwar kann ich aus dem Küchenfenster auf den sehr großen Innenhof des rechteckigen Häuserblocks schauen, der mit Rasen, etlichen Bäumen und Büschen und ein paar verstreuten Blumen bewachsen ist, aber die Möglichkeit zum Gärtnern ist dort für die Hausbewohner nicht vorgesehen. Doch auf dem Balkon hege und pflege ich seit Jahren meinen kleinen Garten, der sich jedes Jahr ein bisschen ändert.
Von Anfang an habe ich in meinen drei breiten verzinkten Blumenkästen hauptsächlich Küchenkräuter gepflanzt. Ich merke zwar, dass ich außer Salbei, Rosmarin, Lorbeer und etwas Thymian kaum welche davon öfter zum Kochen benötige, aber ich mag die Gerüche auf der Haut, wenn ich die Pflanzen berührt oder gepflegt habe und ich freue mich, wenn sie blühen – der Rosmarin oft schon im Februar oder März und jetzt gerade knospt der Lavendel. Dann gibt es in den Kästen noch Zitronenmelisse, Oregano, Minze und Majoran. Auf einem Blumentischchen wuchert ein Dill, dem ich allerdings ein Stützkorsett aus einem Kunststoffnetz verordnen musste, weil er sich weigert, von alleine aufrecht zu stehen. Daneben im zweiten Topf wohnt eine kleinblättrige, kurzstielige Basilikumpflanze aus dem Blumenladen, von der ich mir mehr Durchhaltevermögen erhoffe als von ihren langstieligen, schwächelnden Verwandten aus der Gemüseabteilung im Supermarkt, die nach dem Aussetzen auf dem Balkon trotz aller Hingabe regelmäßig lautlos wimmernd verendeten. In einem dritten Topf steckt eine »Blumenbombe«, die ich als Dreingabe in einem Onlineshopping-Paket erhielt. Sie entläßt gerade interessant aussehende, fleischige Keimlinge aus der Erde, ich bin gespannt, was das mal wird, es könnten Sonnenblumen sein, ein paar kleinere Sprösslinge treiben noch schüchtern daneben her, aber der Sommer hat ja gerade erst begonnen.
Mein größter Quell der Freude ist aber in diesem Jahr der Standkübel mit einem Rankgestell. Letztes Jahr hatte ich ihn mir zugelegt, um testweise Zucchinipflanzen zu säen, aber dafür ist mein Ostbalkon vermutlich zu schattig und die Wachstumsambitionen von Zucchini zu groß – außer ein paar langen Zweigen mit spärlichem Blattbewuchs und drei, vier Blüten waren keine ansehnlichen Erfolge zu erzielen.
In diesem Jahr habe ich darin nicht primär selbst gesät, sondern die Grundbepflanzung aus zwei gekauften Gewächsen kombiniert: eine dunkelrote Waldrebe (Clematis), die ich mit zwei kleinen Blüten erwarb und die nun, gut zwei Wochen nach dem Umtopfen, mit mehr als zehn großen Kelchen anzeigt, dass es ihr in dem neuen Zuhause anscheinend gefällt. Daneben windet sich ein noch kleiner Goldhopfen (Humulus lupulus »Aureus«) mit hellgrünen Blättern am Gestell empor und zur Vervollständigung des Ranktrios habe ich noch fünf Samen einer bordeauxfarben blühenden, rankenden Kapuzinerkresse eingesetzt, aus denen inzwischen ebenfalls gut 15 cm hohe Triebe sprießen. Ich bin mal gespannt, wie diese drei Kletterer miteinander auskommen und vor allen Dingen, wie sie sicht über den Sommer auf dem doch etwas begrenzten Platz beim Wachsen arrangieren.
Und überhaupt: »wachsen«! Wenn man da mal drüber nachdenkt, ist das doch unglaublich: Da ist so ein junges Tier oder eine kleine Pflanze – und wenn man die gut pflegt und mit Nährstoffen und Energie versorgt, werden die einfach so größer und alles daran behält im Wesentlichen seine ursprüngliche Form. Aus kleinen Blättern werden große, aus Knospen werden Blüten, später Fruchtkörper oder pralle, manchmal sogar riesige vollreife Früchte. Aus Pfötchen werden Tatzen, kleine Kinderfüße werden zu Quadratlatschen, alles von innen heraus und von einem unsichtbaren genetischen Mechanismus gesteuert. Das klingt jetzt zwar vielleicht banal oder pathetisch, aber es hat schon etwas Magisches. Im Gegensatz dazu fügen Menschen, wenn sie von »Wachstum« sprechen oder etwas »wachsen lassen«, fast immer von außen bereits vorgefertigtes Material oder vollständige Komponenten hinzu, die extra herangeschafft werden müssen, damit etwas größer werden kann: Mitarbeiter, Beton, Ziegel, Asphalt, Möbel und so weiter. Man kann nicht eine kleine Firma gründen und die wird dann allein durch die Zufuhr von Licht, Wärme oder elementaren Rohstoffen wie Wasser von selbst und von innen heraus allmählich größer, wie zum Beispiel ein Apfel am Baum oder ein Pilz. Aus einer kleinen Straße kann keine mehrspurige »wachsen«, man kann sich nicht für den Anfang einen kleinen Computer mit bescheidenem Monitor und weniger Speicher kaufen und ihn, wenn man dann merkt, dass das nicht mehr ausreicht, »gießen« oder »düngen« in der Erwartung, dass er dann größer, besser oder schneller würde. Nur die Natur kann das. Ich finde das großartig.
Das sind so Sachen, über die ich nachdenke, während ich mit den Händen in der Erde grabe, welke Blätter abzupfe, die Kräuter und Blumen gieße oder einfach nur die schönen Pflanzen in meinem Mini-Balkongarten betrachte. Und auch das ist das Schöne am Gärtnern und ganz egal, wie üppig etwas wächst oder nicht: Die Größe der eigenen Scholle oder der Gewächse darauf spielt für solche mäandernden Gedanken und das entspannt-zufriedene Gefühl keine Rolle.