Das derzeit bewohnte Ferienhaus hier auf Bornholm kenne ich seit 2010. Die ersten beiden Male auf der Insel, 2008 und 2009, war die Unterkunft noch eine andere: ein sehr modernes, weißes Haus, direkt am Meer mit Blick auf den Strand durch die vollverglaste Fensterfront auf der Meerseite des Hauses. Dann wechselten die Eigentümer und das Sahnestückchen verschwand leider aus der Kartei der Mietobjekte.
Das jetzige Haus ist weitaus weniger modern, aber dafür hat es alles, was man braucht: eine große Terrasse, die drei Seiten des Hauses umschließt, eine voll eingerichtete Küche mit allem Schnick und Schnack, schnelles WLAN, einen großen LCD-Fernseher, Sauna, Whirlpool und Kamin. Auch von hier kann man das Meer sehen, wenn auch etwas weiter weg. Es ist schön ruhig hier, im Ort nahebei gibt es Restaurants, Supermärkte, eine Bäckerei, einen Fischladen und inzwischen zwei Bier-Pubs.
Aber trotz allen gewohnten und unveränderten Komforts vermisse ich doch etwas: Die »Katze«. Sie saß 2011 plötzlich das erste Mal vor der Terrassentür, als sei dies ihr Zuhause. Von Anfang an war sie zutraulich, verschmust und lieb und ließ sich mit Überresten unserer Fischmahlzeiten und später eigens gekauftem Katzenfutter versorgen. Sie wollte nie ins Haus, selbst wenn die Terrassentür offen war, blieb sie draußen, manchmal schlief sie ein wenig und oft war sie auch immer mal etliche Stunden verschwunden, kam aber jeden Tag wieder zurück. Einen Namen gaben wir ihr nicht, sie war einfach »Katze« und gehörte irgendwann so selbstverständlich zu den Aufenthalten in diesem Haus wie der Garten, das Sofa oder der Backofen.
Dann – ich glaube, es war im Jahr 2019 – kam die Katze nicht mehr. Ich stellte Futter auf die Terrasse, das sich jedoch nach einiger Zeit die Möwen mopsten. Die Katze blieb weg. Vielleicht war sie schon etwas älter gewesen und ihr Katzenleben war einfach zuende gegangen. Vielleicht waren ihre echten Besitzer weggezogen oder – was ich nicht hoffe – vielleicht hatte auch ein Auto ihr Leben auf einer der umgebenden Straßen beendet. Ich denke oft an sie, wenn ich auf die Terrasse schaue und hoffe weiter, dass sie vielleicht eines Tages wieder da sitzt. Oder dass sich irgendwann in der Nachbarschaft vielleicht eine Stellvertreterin findet, die ihren Platz einnehmen könnte.
Doch zurück in die Gegenwart.
Die für heute geplante Wanderung (Komoot-Link) war etwas kürzer als die der letzten Tage, aber das lag in der Geographie des Zielgebiets begründet. Das idyllische Bachtal »Svartingedal« liegt umschlossen von Bauernhöfen und bewirtschafteten Feldern wie eine grüne Enklave in der Landschaft. Ein Wanderparkplatz mit einer Infotafel und einer Holztreppe hinunter bildet den Ausgangspunkt, von dort aus kann man auf einem vorgegebenen, manchmal durchaus anspruchsvolleren Pfad etwa 2,5 km bis zum Ende des Tales wandern, wo eine zweite Holztreppe den Aufstieg in die Acker- und Wiesenlandschaft anbietet. Da von dort aus das Weiterwandern aber landschaftlich eher unaufregend wäre, hatten wir beschlossen, vom Endpunkt aus einfach wieder zurückzuwandern, dann an einer Gabelung jedoch eine Wegschleife zu nehmen, die nach oben auf einen steilen Hang führte, wo auf einem Felsen über dem Tal ein großer Findling, der »Jættebold«, thront. Von dort aus führte der kraxelige Pfad dann wieder hinab auf den Hauptwanderweg. Wir begegneten nur zwei größeren Gruppen weiterer Wanderer, einer Seniorentruppe und einer Familie, ansonsten wanderten wir allein den Weg entlang. Sehr angenehm mal wieder.
Unterwegs querte auf dem Hinweg die Wanderroute eine weite, sonnige Viehweide, die von zwei Gattern eingegrenzt wird. Hier sahen wir uns plötzlich mit einer »Wegepatrouille« aus drei pechschwarzen Jungbullen konfrontiert. Doch da die Querung der Weide ausdrücklich Bestandteil des offiziellen Pfades ist, die Rinder nicht gehörnt waren und nur still dastanden, näherten wir uns vorsichtig an und konnten sie unbehelligt passieren. Ein Stück weiter graste ein weiteres Rind am Waldrand zwischen dichten Bärlauchmatten, weiter oben am Hang hinter dem Waldstreifen sonnten sich weitere Rinder auf einer weiteren Weide, dazwischen lief eine kleine Ziegenherde umher. Es war alles ziemlich »auenlandmäßig«, aber dieses Gefühl begegnete mir hier auf der Insel schon von Anfang an immer mal wieder.
Am Rand des Weges fotografierte ich noch einige interessant aussehende Pflanzen, auch der »Jættebold« bot sich in seiner Damoklesposition natürlich als Fotomotiv an. Als wir wieder am Parkplatz ankamen, waren alle zuvor dort abgestellten Fahrzeuge verschwunden. Ein Vorteil davon, dass wir in der helleren Jahreszeit meist nicht vor 14–15 Uhr zu unseren Wanderungen aufbrechen: Die meisten anderen Ausflügler sind schon weitaus früher unterwegs und deshalb auch bald am Nachmittag schon wieder von den Wanderwegen abgezogen. Der frühe Vogel fängt zwar den Wurm, doch der späte hat dafür mehr Ruh’.
Vom Parkplatz aus steuerten wir in der Inselhauptstadt Rønne einen größeren Supermarkt an, um noch einige dänische Lebensmittel für den Eigenbedarf in Deutschland einzukaufen. Ich wählte neben einem kleinen Sortiment Bornholmer Biersorten zwei interessante »Backmischungen« fürs Brotbacken, die rein aus Mehlen, Schrot, Saaten und Hefe bestehen: ein sehr dunkles Roggenbrot und ein dunkles »mehlloses« Brot. Seit mir im vergangenen Winter mein guter Sauerteig eingegangen war, waren leider alle drei Versuche, einen neuen in gleicher Aromatik und Triebkraft anzuzüchten, gescheitert und bevor ich demnächst einen vierten beginne, behelfe ich mir erst einmal mit Hefebroten, warum also nicht auch mal mit diesen?
Anschließend folgte die traditionelle Post-Wander-Erfrischung in der bereits erwähnten Hotel-Bierbar am Meer, diesmal aufgrund der Abendkühle jedoch im Innenbereich. Nichtsdestotrotz war der Himmel strahlend blau und die Wolken wirkten wie aquarelliert. Zum Meditieren schön.
Zu Hause dann Abendessen: Lauwarme geräucherte Lachsforelle mit Gemüseresten vom Vortag sowie etwas Spinat, mit Blauschimmelkäse gedünstet. Auf der Mattscheibe: eine arte-Dokumentation über die Initiative etlicher Inselbewohner, Bornholm bis zum Jahr 2030 zu einer der nachhaltigsten Regionen Dänemarks umzugestalten, von der Energiewende über Recycling bis hin zur Architektur.
Danach noch eine weitere Folge »Absolutely Fabulous« und ab ins Bett. Morgen ist der letzte Tag.