Ich muss noch mal was im weitesten Sinne zu Werbetexten schreiben, denn ich habe den Eindruck, dass sich ein Phänomen u.a. bei der Bewerbung oder textlichen Erläuterung käuflicher Dinge häuft. Aber auch in der Alltagssprache ist es zu beobachten.
Es ist schon gut anderthalb Jahrzehnte her, als ich per Radio Ohrenzeuge wurde, als ein Hörer an einem Live-Anrufquiz teilnahm. Es galt einige Fragen zu beantworten und es winkte irgendein vom Sender oder einem Werbekunden gestifteter Preis, sofern alle Antworten des Quizkandidaten richtig waren. Der Hörer schaffte es leider nicht, aber vom Moderator wurde ihm als Trostpreis ein Kugelschreiber zuerkannt. Zur Verabschiedung des Anrufers sagte der Radiosprecher dann »Viel Spaß mit deinem Kugelschreiber!«. Das habe ich mir gemerkt, denn ich fragte mich sofort, welcher Art der Spaß wohl sein könnte, den man mit einem Kugelschreiber – sowohl bei bestimmungsgemäßem als auch womöglich zweckentfremdeten Gebrauch – haben könnte. Ich ich gebe zu, hatte noch nie »Spaß« bei der Benutzung eines Kugelschreibers. Bisweilen nahm ich vielleicht wohlwollend zur Kenntnis, dass ein Kuli nicht schmierte beim Schreiben. Oder ich wertschätzte, dass der Tintenvorrat in der Mine ungewöhnlich lange vorhielt. Aber ich jauchzte niemals vor Vergnügen, weil das Metallbällchen gar zu geschmeidig übers Notizblockpapier glitt, hielt nie entzückt inne, weil die Tinte so vorbildlich viskos zu einer Schreibspur kanalisiert wurde oder erbebte vor Lust, weil mir vergönnt war, den harten Schaft des Kunststoffkorpus mit meiner Schreibhand zu umfassen. Vielleicht gibt es ja Menschen, die da anders gestrickt sind als ich, oder andere Schreibgeräte als Kugelschreiber, deren Gebrauch einer spaßähnlichen Empfindung näher kommt. Ich weiß es nicht.
In den Jahren danach beobachtete ich dann, vom Sprachgebrauch in den USA ausgehend und anschließend auch hierzulande einsickernd, dass hyperenthusiastische Prädikate für Produktbewertungen, Medienrezensionen oder persönliche Bewertungen und Erlebnisberichte einen raketengleichen Aufstieg erlebten. Auf einmal waren Sachen nicht mehr »geil« oder »fett«, sondern »episch« oder »awesome«. Zum Teil liegt das vielleicht auch daran, dass die englische Sprache eine Vielzahl schöner und interessant(er) klingender Wörter für Begeisterung bereithält wie etwa amazing, breathtaking, staggering, eye-popping, magnificent, miraculous, stunning, mind-blowing, marvelous oder spine-tingling. Vielleicht ist es auch nur der übliche, von der jüngeren Generation ausgehende Drang zur Etablierung neuer »eigener« Begriffe für althergebrachte Ausdrücke der Eltern oder Großeltern. Aber interessant ist doch, dass dieser Wandel gleichzeitig mit einem Steigerungsbedürfnis einherzugehen scheint, warum sonst wäre »super« auf dem absteigenden Ast und »mega« gerade rasant im Kommen? Erstmal ist es nur eine These von mir, aber sollten demnächst die ersten Dinge »giga« oder »tera« gefunden werden, bin ich damit womöglich etwas Großem auf der Spur.
In Naturdokumentationen fiel mir auf, dass die deutschen Off-Sprecher ziemlich inflationär mit dem Adjektiv »spektakulär« um sich werfen. Vogelschwärme, Bergmassive, Vulkanausbrüche, Wasserfälle – alles ist »spektakulär«. Dabei ist es doch der Natur komplett egal, ob und wie sehr sie mit ihren Lebewesen, Landschaften, Erscheinungsformen oder Veränderungsprozessen die Menschen oder irgendwen sonst beeindruckt und vor allem macht sie das nicht extra zu diesem Zweck, es passiert einfach. Laut Wikipedia ist ein »Spektakel (lateinisch spectaculum = Schauspiel, Augenweide, Anblick, auch Krach, Lärm) […] ein Ereignis, das Aufsehen erregt«. Ich denke: Wären keine Menschen da, gäbe es doch eigentlich auch kein »Aufsehen«. Inzwischen mache ich mir mit dem Mann einen Spaß daraus, vom Sofa aus »Ha!« in den Raum zu rufen, wenn das Wort mal wieder in einer Doku erwähnt wird.
Doch zurück zur Werbung. Unter dem Hashtag #werbeschwurbel sammle ich auf Mastodon sporadisch sonderbare Ergüsse aus der Welt der Werbetexte, die mir insbesondere via Facebook-Anzeigen über den Weg laufen. Auch darin ist der Trend zum »Hochjazzen« des an sich Banalen sehr schön zu beobachten:
»Das Sofasystem Esosoft Outdoor ist durch seinen einzigartigen Stil charakterisiert, der Komfort mit produktiver Exzellenz kombiniert und sich durch seinen faszinierenden visuellen und materischen Kontrast auszeichnet.«
»Sag Tschüss zu Verfärbungen: Erlebe die faszinierende Welt der Zahnaufhellung!«
»… sag HALLO zu der Umwelt und pimpe dein Badezimmer mit stylischen Toilettenpapier und Zubehör«
»Entdecken Sie […] beeindruckende Designs. Multifunktionaler Zauber für jede Version von Ihnen. Bleiben Sie hydratisiert & vernetzt!«
»WILLKOMMEN IN DER ZUKUNFT DER HERRENUNTERWÄSCHE«
Kürzlich war ich aus Gründen der Recherche für ein anlassbezogenes Geschenk auf der Suche nach einem Tracking-Gepäckanhänger, der kein Apple AirTag sein sollte, und klapperte zu diesem Zweck diverse Websites ergoogelter Anbieter ab. Bei einem las ich: »Abonnieren Sie Premium, um das beste Sucherlebnis für alle Ihre Tiles zu erzielen«. SUCHERLEBNIS! Ahja. Ich habe irgendein Teil meines Zeugs verbummelt bzw. es wurde mir im schlimmsten Fall von einem Übel wollenden Schurken geklaut und hier möchte mir ein Unternehmen mein verstimmtes oder banges Forschen bzw. Kramen nach dessen Verbleib als »Sucherlebnis« verkaufen. Na danke! Ähnliches kam mir bei Apps und »Hardware« unter, die bei unser aller regelmäßiger nächtlicher Ruhephase von Nutzen sein soll: Bettwäsche, Matratzen, Kopfkissen und Zudecken oder Schlaf-Apps, etwa:
»Erheben Sie Ihr Schlaferlebnis: Entdecken Sie das Geschenk des tiefen Schlafs mit MLILY« (es geht noch ähnlich abgehoben weiter: »Suchen Sie ständig nach dem flüchtigen Schatz eines erholsamen Schlafes? In der heutigen schnelllebigen Welt haben sowohl Männer als auch Frauen, insbesondere diejenigen mit Familien, oft Schwierigkeiten, das Heiligtum eines ruhigen Schlafes zu finden. Wenn Sie zu denen gehören, die eine Oase des Komforts inmitten des Chaos suchen, steht Ihnen MLILY bereit, Ihre Nächte in eine erfrischende Erfahrung zu verwandeln.«)
(Matratzen, Kissen, Zudecken)
»Keine zwei Menschen dekomprimieren auf die gleiche Weise. Deshalb gibt Ihnen Entspannungsmelodien die Freiheit, durch Mischen Ihr ganz eigenes Entspannungs- und Schlaferlebnis zu schaffen.«
(Einschlafhilfe-/Meditations-App)
Jesus. Vielleicht bin ich da zu anspruchslos, aber wenn ich schlafe, dann schlafe ich. Dann will ich außer Ruhe, Ungestörtheit und möglichst netten Träumen eigentlich NICHTS weiter erleben. Am besten sind die Nächte, wo ich mein »Schlaferlebnis« eigentlich komplett überspringe. Hinlegen, Augen zu, augenblicklich wegknacken, Stunden später Augen auf, sich fragen, wo, was und wann man ist, wach werden, fertig.
Es hat den Anschein, als litte der Kapitalismus allmählich unter einem Mangel an Argumenten, den Menschen immer mehr immer neues immer andersartiges Zeug anzudrehen. Die meisten Menschen haben schon alles, das meiste davon sogar mehrfach oder im Übermaß. Dinge werden nur noch zu einem Bruchteil gekauft, weil sie verschlissen, defekt, abgenutzt oder unbrauchbar sind und somit ersetzt werden müssten, sondern auch, weil sie unmodern oder nicht mehr angesagt sind, die Besitzer ihrer überdrüssig sind oder gar, weil sie aus Langeweile oder unreflektierter Shoppingroutine heraus angeschafft wurden. Die Konkurrenz der Waren und Dienstleistungen war noch nie so groß wie heute, das Angebot und die Auswahl sind mind-boggling. Da reicht es dann eben nicht mehr, zu schreiben, dass man ein schönes scharfes, langlebiges und gut in der Hand liegendes Küchenmesser feilzubieten hat, sondern es ist ein Schneidwerkzeug mit einem »handgeölten und manufakturgeschnitzten Schaft aus dem Holz einer tausendjährigen Toskana-Eiche«, das dann zu Hause beim groben Zerteilen eine Mohrrübe »ein unvergleichliches Schneiderlebnis« bietet, von dem ich vermutlich noch meinen Enkeln erzählen würde, hätte ich welche.
Schade ist, dass neben all diesen Überhöhungen die Dinge etwas ins Hintertreffen geraten, die tatsächlich und merklich objektiver betrachtet solche extraordinären Attribute verdient hätten. Als »epochal« etwa könnte man das Versagen der Regierungen und Konzerne der Welt bezeichnen, etwas gegen die Klimakatastrophe zu tun. »Beispiellos« wäre ein treffendes Eigenschaftswort für die weltweit zu beobachtenden Temperaturanstiege und Wetterextreme oder das Ausmaß des Artensterbens.
Aber das kann man halt nicht so gut verkaufen.
„Ihr Wohlfühl-Erlebnis“ lese ich auf einer Produktpackung.
OK, Schaumbad, denke ich, oder Kaffee; oder was Alkoholisches.
Nein, feuchtes Toilettenpapier.
Ich find‘s schade, daß Deichmann seinen herrlich unaufgeregten Claim „Gutes Geschäft“ wieder abgeschafft hat.