Gestern ist mir zum dritten Mal innerhalb eines Monats am Wegesrand eine ausgesetzte Mikrowelle aufgefallen. Die erste, gesehen in Berlin, hatte ich noch fotografiert, sie hatte im Rahmen ihrer verschmähten Existenz zumindest vorübergehend noch eine sinnvolle Aufgabe gefunden. Bei der zweiten wunderte ich mich zunächst nicht, denn sie lag 300 km von der ersten entfernt, am Straßenrand in Hamburg. Doch gestern, bei der dritten, stutzte ich und begann mir Sorgen zu machen. Für solcherart ausgesetzte Kochgeräte sollten unbedingt mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit geschaffen werden.
Vielleicht liegt es nach wie vor an Corona. Die Menschen, unter ihnen auch zahlreiche berufstätige Singles, bleiben vermehrt zu Hause, was naturgemäß den Konsum an Mahlzeiten und kleinen Snacks zwischendurch erhöht. Die sozialen Kontakte sind immer noch reduziert, und wer will schon ständig nur eiskalte Portionen aus dem Kühlschrank oder bestenfalls zimmerwarme Zwischenmahlzeiten verzehren? Was liegt da näher, als sich das heimische Darben mit einer Mikrowelle erträglicher zu machen? Sie ist online flugs bestellt, wird innerhalb weniger Tage per Post geliefert und bereitet kaum Mühe beim Auspacken und Anschließen. Die Geräte werden zudem leicht bedienbar und stubenrein geliefert, so dass der neue Hausgenosse sofort den Alltag bereichern kann. Bei Familien ist es ähnlich. Die Eltern sind im Homeoffice beschäftigt oder ein, manchmal beide Elternteile sind tagsüber außer Haus. Die Kinder jedoch langweilen sich nach der Schule und es fehlt ihnen an warmen, schnellen Mahlzeiten. »Papa! Mama! Ich wünsche mir soooo doll eine Mikrowelle! Mit vielen Knöpfen! Und so eine, mit der man Marshmallows schmelzen kann! Kauft ihr eine für uns? Och, bitteeeee …«
Welche liebende Mutter, welcher sorgende Vater könnte da nein sagen? Die kleinen elektrischen Gesellen sind oft schon für wenig mehr als hundert Euro zu haben, No-Name-Promenadenmischungen aus China sogar noch billiger. Wer mehr ausgeben möchte, entscheidet sich für ein reinrassiges Markengerät guter Abstammung aus klangvollem Hause wie Siemens, Miele, Bauknecht, Samsung, Neff, Sharp oder AEG. Zusatzfunktionen wie Heißluft oder Grill schlagen zwar gerne noch einmal gesondert zu Buche, aber auch hier steht der sehnsüchtig herbeigesehnte Küchenbegleiter binnen weniger Tage an seinem Platz.
Nun beginnt die Phase, wo fast den ganzen Tag alle Mitglieder des Haushalts um den neuen Erhitzungsgehilfen versammelt sind. Alle möchten mit ihm spielen, Knöpfe drücken, Zeiten wählen, Programme starten. Drehteller und Licht werden bewundert und wenn das Glöckchen klingt, der Timer piept und die leckeren warmen Köstlichkeiten im Innenraum duften, herrscht ein großes Hallo, ein genüssliches Schmecken und Schmatzen und das Familienleben schien noch nie zuvor so gesellig und heiter wie jetzt.
Doch nach einigen Wochen zeigen sich erste Anzeichen von Ermüdung, Desinteresse und Verwahrlosung. Der Garraum müsste mal wieder gereinigt werden, aber die Kinder sind mit Spielkameraden draußen unterwegs. Das Bedienfeld ist matt von fettigen Fingerabdrücken, aber niemand hat Zeit, mit einem Lappen diese elementare Pflege zu leisten. Der Drehteller ist verklebt, das Gehäuse verstaubt, das Rezeptbuch liegt zerknittert unter der Eckbank. Traurig, allein und ungenutzt steht das einst so umhegte Küchengerät in seiner Ecke und schweigt.
Doch statt sich um einen neuen Besitzer zu bemühen, sowie den Eigentümern klar wird, dass sie dem Herd nicht (mehr) gerecht werden können, wählen dann viele – beherrscht von einer Mischung aus Hilflosigkeit, Egoismus, Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit – den Weg, die Mikrowelle irgendwo an einer Straße auszusetzen. Schnell ist sie abgekabelt und ins Auto geladen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur wenige machen sich die Mühe, das arme Gerät wenigstens in der Nähe von Kleingerätecontainern oder Wertstoffhöfen abzuladen, wo man einer fachgerechten weiteren Betreuung wenigstens einigermaßen sicher sein könnte. Nein – die ausgesetzten Kochassistenten landen in Parks, an Straßenkreuzungen, in der Gosse öder Gewerbegebiete. Verbeult, verdreckt, verstoßen. Ohne Bedienungsanleitung und Umkarton sind sie plötzlich ungeschützt den Elementen ausgesetzt, sie, die sie noch gestern in der warmen, hell beleuchteten Stube für ihre Familie und deren Freunde Tassencupcakes gebacken haben. So abgenabelt, ohne Netzanschluss, können sie nicht einmal mehr piepen. Auf ihrem Platz im Heim der ehemaligen Besitzer brutzelt derweil, umringt von hungrig und begeistert blickenden Essern, der neue Sandwichtoaster mit Antihaftbeschichtung und austauschbarem Waffeleinsatz leckere, fett-saftige Paninikreationen.
Wir sollten uns schämen, Mikrowellenherde wie Dinge zu betrachten und sie ohne Bedacht anzuschaffen und lieblos wieder auszusetzen, wenn sie uns zu viel geworden sind. Die Mikrowellenheime in vielen Gegenden, wohin etliche der ausgesetzten und eingesammelten Waisengeräte verbracht werden, sind mehr als überfüllt. Viele fast ladenneue Geräte sehen daher bereits nach einem kurzen, dienstbaren Leben dort ihrer baldigen Verschrottung entgegen.
Schauen Sie nicht weg, wenn Sie Zeuge einer herzlosen Aussetzung werden. Und überlegen Sie gut, ehe Sie sich selbst ein Gerät für zu Hause anschaffen. Vielen Dank.
Tja. Ungeachtet des Jubels, Boostens, Favens und Retweetens anlässlich der neuen Runde zum (Weihnachts-)Freitagstexter und trotz Öffnung in Richtung Mastodon und Twitter blieb der »Ansturm« an Beiträgen leider ziemlich überschaubar, wahrte jedoch die gewohnt hohe Qualität der Einreichungen. Ob nun fehlende Aufmerksamkeit und Muße durch die Festivitäten an Weihnachten und Silvester schuld waren oder der durch »Melon Dusk« hervorgerufene Twitter-Exodus, ob es eine generelle Social-Media-Müdigkeit gibt, es an meiner Bildauswahl lag, am Blogsterben, am Klimawandel, der Inflation oder an der Aura unseres aktuellen Bundesministers für Digitales (und Verkehr), die wie ein Millefeuille aus Phlegma, Blei, Asphalt und Unwille über diesem Land liegt – ich vermag es nicht zu sagen. Vielleicht war auch mein ausgeknobeltes System mit neuerdings drei Teilnahmekanälen inklusive modularem Hashtag zu kompliziert. Wer andere Mutmaßungen oder eine Meinung dazu hat: ich würde mich sehr freuen, diese in den Kommentaren zu erfahren.
However – wir haben einen Gewinner. Ich werde es wie letztes Mal machen und nur den ersten Platz verkünden. Es gab vier Beiträge direkt hier im Blog in der Kommentarspalte und unter dem Hashtag #ftx5122einen weiteren bei Mastodon. Die zielführende Handhabung der Hashtagsuche bei Mastodon erwies sich als nicht allzu vertrauenerweckend, ich hoffe, ich habe trotz mehrfacher Suche mit verschiedenen Apps und Endgeräten keine Einreichung auf Twitter und Mastodon übersehen und bitte um Nachricht, falls doch.
Mein Siegerbeitrag kommt diesmal vonderherrgott: „Es rentiert sich einfach nicht mehr“, sagte sich der etwas in die Jahre gekommene Dienstleister und entschied sich für einen finalen, technologiekritischen Treppenwitz.
Ich gratuliere herzlich, übergebe den Staffelstab jedoch mit einem gewissen Gefühl der Ratlosigkeit darüber, ob und wie der Freitagstexter weiter an Fahrt gewinnen kann. Sollte es eine weitere Runde geben, werde ich jedoch selbstverständlich mein Bestes geben, den Aufruf möglichst weiträumig zu teilen. Malkukken.
Update: Im Spam-Kommentarordner zu diesem Freitagstexter habe ich noch einen Beitrag außer Konkurrenz gefunden, den euch nicht vorenthalten möchte, da er ebenfalls erstaunlich gut zum Wettbewerbsbild passt: Ihr Geld funktioniert auch, wenn Sie schlafen.
Herzlichen Dank an Mathias Piecha (@Lassitudor@troet.cafe) für den Pokal beim letzten Freitagstexter-Wettbewerb! Der im November von mir wiederbelebte, einst überaus populäre Spaßtextwettbewerb krankt leider noch etwas an sehr mäßiger Teilnahme. Bevor ich das nun aber als Zeichen überinterpretiere, den Freitagstexter wieder einzustellen, möchte ich ihn gerne auf neue Kanäle ausweiten und schauen, ob das wieder zu regeren Einreichungen führt.
Doch zunächst in Kürze noch mal die Regeln:
Der Freitagstexter ist ein traditionsreicher humorvoller Contest für alle, die gerne mit Worten spielen, texten oder schreiben – egal, ob aus Spaß und/oder beruflich und hatte seine bisherige Glanzzeit in den frühen 2000er Jahren. Es geht im Wesentlichen darum, für ein online gepostetes Foto eine möglichst witzige, originelle, passende oder abwegige Bildunterschrift zu finden (auf englisch: »caption this!«).
Der Wettbewerb startet immer im Laufe eines Freitags, bislang fast ausschließlich im Blog des jeweiligen Gastgebers und endet am nachfolgenden Dienstag Abend um Mitternacht. Aber da Blogs mittlerweile etwas aus der Mode gekommen zu sein scheinen bzw. neue Portale, Medien und Kanäle hinzukamen, die beliebter und einfacher zu nutzen sind, möchte ich das gerne ausweiten (s.u.)
Zu gewinnen gibt es nichts Materielles. Der Gewinner, der die »beste« Bildunterschrift verfasst hat, wird komplett nach eigenem Ermessen und ohne Begründung durch den aktuellen Gastgeber erkoren (der auch das Bildmotiv ausgewählt und veröffentlicht hatte). Die Bekanntgabe des Gewinners durch den Host erfolgt online im Laufe des Mittwochs nach Teilnahmeschluss. Der »Preis« ist, dass der Gewinner zum neuen Gastgeber wird und – auf mindestens einer Onlineplattform seiner Wahl – am darauffolgenden Freitag seinerseits ein ausgewähltes Bild postet und zur Teilnahme aufruft. Dann beginnt das Ganze von vorn. (Ergänzende Anmerkung: idealerweise sollte der Gastgeber entweder eigene Veröffentlichungsrechte oder die Genehmigung des Urhebers für das gepostete Foto besitzen oder ein Foto nutzen, dessen Nutzung z.B. im Rahmen einer Creative-Commons-Lizenz gestattet ist.)
Ich werde diesmal zwei Dinge ändern: Zum einen möchte ich aufgrund der bevorstehenden Feiertage (an denen die meisten anderes vorhaben als im Internet Quatsch zu posten, oder? ODER???) die Laufzeit diesmal ausnahmsweise von einer auf zwei Wochen erhöhen. Zum anderen werde ich auch die Kanäle Twitter und Mastodon bei der Teilnahme hinzuziehen. Damit ich Beiträge am Ende der Teilnahmefrist leichter finden und sie zudem von Kommentaren unterscheiden kann, die zwar Replys, aber keine Wettbewerbsbeiträge sind, möchte ich ein Hashtag einführen. Dieses setzt sich zusammen aus
#ftx (für Freitagstexter) + zweistellige Angabe der Kalenderwoche + zwei Schlussziffern des Jahres
Das Hashtag für die aktuelle Spielrunde hier bei mir lautet also #ftx5122 Hier im Blog müsst Ihr in Kommentaren das Hashtag natürlich nicht benutzen, nur auf Mastodon oder Twitter.
Und hier nun das aktuelle Foto. Lasst die Tasten qualmen – und teilt gerne diesen Artikel oder den Teilnahmeaufruf auf Euren bevorzugten Plattformen. Teilnahmeschluss ist der Dienstag nach Silvester, also der 03. Januar 2023 um 24:00 Uhr.
Als ich heute Altpapierkartons zerkleinerte, Überreste der jüngsten Paketzustellungen online bestellter Weihnachtsgeschenke, fiel aus einem der Kartons ein kleines Kärtchen zu Boden. »Folge mir auf Instagram«, stand darauf. Nicht gewöhnt, von solchen Zetteln geduzt zu werden, ergänzte mein Hirn ein »…, Baby!« am Ende und ich fand, das klingt ein bisschen wie ein Anmachspruch, den jemand meiner Generation »jungen Leuten« zuschreiben würde. Ich fragte mich, ob es inzwischen wohl schon Schlager gibt, deren typische, liebesseichte Texte auch das heute selbstverständliche, permanente Online-Sein, Social Media und andere digitale Errungenschaften aufgreifen. In meinem Kopf begann eine Melodie im Stil eines Songs von Andreas Dorau zu spielen, andere Hirnzellen steuerten stilistisch passende Textfragmente bei und voilà – so in der Art könnte ich mir dergleichen vorstellen:
Ich hab Dich zuerst auf TikTok gesehn, (oh Baby Baby) Du performtest mega und warst wunderschön. Ich ging auf Insta, um mich abzulenken, doch dauernd musste ich an Dich denken.
Ich traute mich nicht, Dir ein Like zu geben, (oh Baby Baby) dies Gefühl hatte ich noch nie im Leben. App auf, App zu, was ist nur gescheh’n? Wie konntest Du mir nur so den Kopf verdreh’n?
Folge mir auf Facebook, Baby! Teile meine Story, Sugar! Gib mir einen Comment, Honey! Klick mich an, das ist kein Scherz, setz’ ein Bookmark für mein Herz.
Ich bin sonst nicht schüchtern, doch Du haust mich um, (oh Baby Baby) seh’ ich Dein Profilbild, macht mein Herz Boom-Boom. Vorhin hab ich endlich auf »Follow« geklickt, Du hast akzeptiert, das macht mich verrückt!
Ich hab Dir geschrieben: Willst Du ein Date? (oh Baby Baby) Ich schau’ voll nervös auf mein Endgerät. Wo bleibt Deine Antwort, willst Du mich nicht seh’n? Der Traum meines Lebens wär, mit Dir zu gehn.
Schreib mir eine Message, Baby! Fave meine Postings, Sugar! Verlinke mich auf Twitter, Honey! Klick mich an, das ist kein Scherz, setz’ ein Bookmark für mein Herz.
Die Tage vergehen, ohne dass Du mir schreibst, (oh Baby Baby) Du postest auch nichts, ich frag’ mich, wo Du nur bleibst. Heut steht auf Deiner Page: Du warst gar nicht echt, bist nur ein Deep-Fake-Girl – und mein Herz zerbricht.
Ich verlasse Facebook, Baby, lösche mich auf Insta, Sugar, gehe nie mehr online, Honey. Mein Traum war nur ein Cyber-Scherz, ich lösch’ mein Bookmark für Dein Herz.
Während meiner Studienzeit war ich öfter im Schrebergarten der Eltern meines Freundes M. zum Grillen zu Gast. Auf der Parzelle stand eins der üblichen Gartenhäuschen, in dem allerlei Arbeitsgerät, der Grill, Geschirr und Besteck gelagert waren. Aber auf den Simsen und Regalen stand auch auffällig viel Zeug: Zinnteller mit Motivreliefs, bunt bedruckte gläserne Bierhumpen, geschnitzte Holzfiguren und Ähnliches. Alles optisch derart kurios und abseits von Geschmack und Stil der häuslichen Einrichtung der Eltern, dass ich M. bei einem meiner Besuche fragte, was es mit dieser Sammlung auf sich habe. Er sagte, das seien Mitbringsel und Geschenke von Bekannten, die seine Eltern ins Gartenhaus »ausgelagert« hätten, weil sie sie nicht wegwerfen wollten. So könne man auf Nachfrage der Schenkenden wenigstens wahrheitsgemäß antworten, das stünde auf einem »Ehrenplatz« im Schrebergartenhäuschen. Ähnliche Depots aufgereihter kunstgewerblicher Kuriositäten begegneten mir vereinzelt auch beim Besuch bei Jugendfreunden, in den damals beliebten »Partykellern« der Eltern. Ich vermute, auch dort waren es aus dem alltäglichen Blickfeld verbannte Geschenke.
Ich habe daraus in puncto »Schenken« drei Schlussfolgerungen gezogen:
Es gibt Menschen, die sich beim Schenken keine Mühe geben wollen, den Beschenkten eine echte Freude zu machen, sondern lediglich »irgendwas« mitnehmen, um nicht mit leeren Händen zu erscheinen (Dazu gibt es auch einen grandiosen Fernsehsketch von Gerhard Polt).
Oder die Schenkenden beabsichtigen zwar, den Empfängern ein von Herzen kommendes Geschenk zu überreichen und ihnen echte Freude zu bereiten, landen aber aus unbekannten Gründen komplett neben deren Geschmack, Bedarf oder Interessen.
Die derart Beschenkten trauen sich entweder nicht oder halten es für unnötig, den Schenkenden ehrlich zu sagen, dass das Geschenk nicht passt oder ihnen nicht gefällt, entweder um niemanden zu kränken oder zu brüskieren oder weil man sich nur oberflächlich kennt bzw. das Geschenk zu wenig bedeutsam ist – und werden es entweder entsorgen, weiterverschenken oder an geeigneter entlegener Stelle »einlagern«.
Ich habe auch schon etliche unpassende oder unerwünschte Geschenke bekommen, sogar aus dem Kreis enger Verwandter, die mich eigentlich hätten besser kennen sollen. Am häufigsten waren es süße Spezereien, die mir mit dem Begleitsatz »Hier, das magst du doch so gerne!« überreicht wurden. Zum Beispiel Ostereier mit Knickebein (bah!), Schaumwaffeln (pfüäch!), Irgendwas mit Marzipan (meh) oder ein Glas Marmelade (¯\_(ツ)_/¯ ich bin seit Jahrzehnten schon kein Süßfrühstücker). Oder eines Tages, auch in jüngeren Jahren, kam meine Mutter von einem Stadtbummel zurück und überreichte mir anlasslos ein Kleidungsstück: »Hier, du trägst doch neuerdings immer diese Hawaiihemden!« – Ja, das stimmte im Prinzip, aber meine damalige Kollektion an schreiend bunten, gegenständlich gemusterten Hemden war eine sorgfältig kuratierte Auswahl spezieller Marken mit famosen Motiven wie tellergroßen Stiefmütterchen, Ananasstauden oder prächtigen Wildvögeln. Mutter jedoch hatte beim Versuch der lieb gemeinten Nachempfindung meines Outfitgeschmacks ein zwar buntes, aber mit belanglosen abstrakten Motiven bedrucktes Hawaiihemd von »C&A« erstanden, das fortan auf einem Kleiderbügel in meinem Schrank verstaubte, denn was ist unangenehmer als in einem Kleidungsstück herumzulaufen, in dem man sich nicht wohlfühlt? Dazu gesellten sich aus anderer Hand Urlaubsmitbringsel wie eine lederbezogene Schnabelflasche (»Porrón«) als Urlaubssouvenir einer Reise nach Mallorca (wtf?), Abenteuerbücher mit Heldengeschichten aus dem Wilden Westen (gähn!) oder Flaschen mit süßem Likör (igitt!).
Wenn man keine Möglichkeit hat, solche Gabenverfehlungen weiterzuverschenken – idealerweise in einer Kontaktsphäre, die sich nicht mit dem Kreis der Schenkenden überlappt, damit das durchgereichte Ding nicht irgendwann im Exil ungewollt wiederentdeckt wird – oder sie an Bedürftige zu spenden, bleiben nur die Mülltonne oder ein außerhalb des Blickfelds liegendes temporäres Depot. Aber wie lang ist die Halbwertszeit unerwünscher Geschenke, ehe man sie dann doch ohne Scham und Schuld entsorgen darf? Ich habe meist die in unregelmäßigen Abständen sich ergebenden, »natürlichen« Ausmist-Anlässe wie einen Wohnungsumzug, Renovierung, den Austausch oder Hinzukauf von Schränken und Regalen oder einen Frühjahrsputz (sic!) dazu genutzt. Dann kann man hinterher immer noch sagen »Oh, das muss wohl beim [hier Anlass einfügen] verlorengegangen sein!« Win-win.
Überdies ist es zwar emotional verständlich, aber objektiv unlogisch, Menschen nicht behutsam, aber ehrlich zu sagen, dass sie mit ihrer Gabe danebenlagen. Das gilt, finde ich, umso mehr, je nahestehender die Schenkenden einander sind. Denn tut man es nicht und simuliert Entzücken beim Erhalt des Geschenks, nähert sich die Wahrscheinlichkeit 100%, dass man von derselben Person regelmäßig weiterhin gut gemeinte, aber unwillkommene Präsente überreicht bekommen wird. Es wäre also eigentlich besser, man würde die gebende Person vielleicht kurz verletzen oder kränken, aber ihr dadurch die Möglichkeit geben, künftig dauerhaft sowohl treffend als auch begeisternd zu schenken. Doch wie stellt man das an?
Ich glaube, man kann das am besten tun, in dem man selbst ein Schenkvorbild wird. Egal, wie viel Mühe ich mir selbst bei der Auswahl oder Anfertigung eines Geschenkes gebe und ganz gleich, wie gut ich die beschenkte Person zu kennen glaube – jedes Geschenk birgt in sich das Risiko, aus irgendeinem mir zunächst nicht ersichtlichen Grund unwillkommen oder deplatziert zu sein. Ich darf zwar Überraschung und Freude erwarten, wenn ich jemandem ein Geschenk überreiche, aber ich sollte immer damit rechnen, dass diese Erwartung auch enttäuscht werden kann. Wenn ich ein Geschenk überreiche, und das gilt um so mehr, je aufwendiger oder kostspieliger es ist, könnte es helfen, beim Überreichen quasi vorbeugend zu sagen »Ich glaube zwar, dass ich dir mit diesem Geschenk eine Freude machen kann und dass es dir gefallen wird, aber bitte sage mir ehrlich, wenn das nicht der Fall ist. Ich nehme es auch gerne zurück (oder tausche es um), denn mir ist wichtig, dass dir etwas an meinen Geschenken liegt, weil ich dich mag«. Auf diese Weise könnte man reihum Freunde und Bekannte »proaktiv« für diese Art der Ehrlichkeit sensibilisieren und selbst, wenn es mich als Schenkenden dann schmerzt, weil daraufhin eines meiner Geschenke zurückgewiesen wird, so habe dann auch ich etwas daraus gelernt und kann die betreffende Person idealerweise künftig besser beschenken.
Bei meiner eigenen Suche nach Geschenken, die gut ankommen, habe ich im Laufe der Zeit ein paar Erkenntnisse gewonnen, die mir (so glaube ich), merklich dabei geholfen haben, »treffender« zu schenken. Wie könnte das gelingen?
Wenn ich die Person, die es zu beschenken gilt, häufiger oder gar regelmäßig treffe, blicke ich mich in der Wohnung um oder versuche aus Gesprächen zu entnehmen, was ihr gefallen könnte. Plant sie eine Urlaubsreise, eine Anschaffung, einen Umzug? Fehlt etwas im Haushalt (»Ach, ich habe gar keinen Tortenheber, nehmen wir einfach das breite Messer!«)? Mit der Zeit konnte ich so ein recht gutes »Radar« für Geschenkebedarf und -vorlieben entwickeln.
Ich habe tatsächlich eine Rubrik »Geschenkideen« in einer Notiz-App auf meinem Smartphone eingerichtet, in die ich meine Wahrnehmungen umgehend (unbemerkt) eintrage. Dann erinnere ich mich auch noch zu späteren Anlässen an gute Geschenkideen.
Ich verschenke niemals Gutscheine für Anlässe ohne einen konkreten Termin, sei es »für einen gemeinsamen Restaurantbesuch« oder »für ein Konzert«. Meine Erfahrung ist, dass solche locker auf »irgendwann mal« oder »demnächst« datierten Coupons fast immer nicht eingelöst verfallen oder schlicht vergessen werden. Sinnvoller ist es, den Termin vorher ganz klar mit der beschenkten Person abzustimmen, z.B. »Ich habe vor, Dich an einem bestimmten Datum zwecks einer Überraschung zu treffen. Lass uns mal in den Kalender schauen, ob dir der Tag X passt (z.B. bei einem angedachten fixen Konzerttermin) oder wann Du Zeit hast (bei einem frei terminierbaren Event).« So wird erstens die Vorfreude zum Bestandteil des Geschenks, zweitens verwaisen keine Gutscheine und drittens wird möglichst sichergestellt, dass alle Beteiligten am Stichtag anwesend sein können. Geschenke, bei denen Menschen etwas zusammen unternehmen oder erleben, sind meines Erachtens ohnehin mit die schönsten.
Wenn die zu beschenkende Person ein leidenschaftliches Hobby hat (z.B. Angeln) oder begeistert Dinge sammelt (z.B. Porzellanfiguren), mag das zwar oberflächlich eine gute Quelle für Geschenkideen sein, aber meiner Erfahrung nach ist das aus mehreren Gründen ein Minenfeld. Erstens sind viele Menschen, je hingebungsvoller sie dieser Passion nachgehen, auf diesem Gebiet entweder Experten und besitzen ein Fachwissen, das ein unbeteiligter Schenkender gar nicht erreichen kann. Oder der ganz persönliche Geschmack des Beschenkten spielt bei seinen Anschaffungen auf diesem Gebiet eine sehr große Rolle. Beides erhöht das Risiko, mit einem Geschenk danebenzuliegen, welches diese Anforderungen nicht 100%ig berücksichtigen kann. Zweitens werden sehr wahrscheinlich auch andere Schenkende im Umfeld der Person von dieser Leidenschaft gehört haben und regelmäßig mit Gaben aus dieser Rubrik bei ihr auflaufen. Das kann nicht nur die subjektive Wertigkeit eines Geschenks in der Flut aller erhaltenen ähnlichen Gaben senken (»Oh, eine Froschfigur! Jaja, ich sammele die ja.«), auch das Risiko, etwas zu schenken, was die beschenkte Person bereits besitzt, steigt. Und nicht zuletzt kaufen sich eingefleischte Hobby- oder Sammlernerds auch oft genug selbst neue Dinge für ihre Interessengebiete hinzu. »Hab ich schon, genau so oder so ähnlich« ist deshalb eine vermeidbare Geschenkefalle, in die ich versuche, möglichst nicht zu tappen.
Gleiches gilt für Bücher. Jemanden zu beschenken, der viel und gerne liest, eröffnet zwar einerseits unendlich viel Raum für Geschenkideen, aber lässt andererseits auch viele Möglichkeiten, mit dem Geschenk zu scheitern. Ich versuche dann z.B. ein Buch mit einer Widmung des Autors zu erwerben. Selbst für den Fall, dass genau dieses Buch bereits im Regal stehen sollte, gäbe es dann noch etwas, was das Geschenk besonders und persönlich macht. Ansonsten achte ich auch hier darauf, was ich zu Autoren, Fachgebieten oder Genres z.B. bei Besuchen in der Wohnung oder aus Gesprächen erfahren kann. Liebt die beschenkte Person Bücher eines bestimmten Autors oder einer Autorin – lieber Finger weg: Doppelschenk- oder Selbstkaufrisiko! Oft kann bei Büchern – je nach Genre – auch ein Antiquariat ein Quell schöner Geschenkideen sein, etwa eine Erstausgabe oder ein besondere, limitierte Auflage, die im Handel längst vergriffen ist. Ansonsten spielt beim Thema Lesen auch der persönliche Geschmack eine derart große Rolle, dass aus meiner Sicht ein Wertgutschein einer Buchhandlung (in Höhe des ungefähren Kaufpreises des Buches, das ich mit unsicherem Gefühl verschenkt hätte) und der weniger wahrscheinlich verfallen wird als einer der obengenannten Eventgutscheine, möglicherweise die bessere Idee ist.
Ich verschenke selten Musikmedien (CDs/Vinyl), schon öfter Videomedien (DVDs/BluRays), lasse mich aber auch hier eigentlich von denselben Überlegungen leiten wie eben beim Thema Bücher.
Je älter die beschenkte Person ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie »schon alles hat«. Die Wohnung ist komplett eingerichtet, Bibliothek und Mediensammlung sind befüllt, Haushalt und Küche sind vollständig ausgestattet. Was kann man da noch schenken? Auch hier droht die Gefahr der Doppelbeschenkung mit Dingen, die schon im häuslichen Bestand sind. Dann macht es für mich Sinn, über ein Austauschgeschenk für verschlissene Dinge nachzudenken. Ein Ersatz für die durchgewetzte Fußmatte vor der Wohnungstür, ein schöner Blumenübertopf (ggf. samt Inhalt) anstatt der im matten Tontopf dahinwelkenden Zimmerpflanze, ein schönes, farblich passendes Badezimmerset mit Seifenschale und Zahnputzbecher im Austausch gegen die bald rissigen Utensilien vor dem Spiegel. Vorsichtig bin ich hier lediglich bei Dingen, die eine emotionale Bedeutung oder einen Erinnerungswert haben könnten, denn die wollen viele Menschen gar nicht ersetzt bekommen (wir erinnern uns: als Mutter uns als Kind einen neuen Teddybären kaufen wollte, weil beim alten schon die Füllung rausguckt).
Was erfahrungsgemäß immer gut ankommt, sind ess- und trinkbare Geschenke, die sich quasi von selbst verbrauchen und somit nicht dauerhaft die Wohnung zumüllen. Aber auch dabei versuche ich, bei der Auswahl etwas über das Offensichtliche hinaus zu schauen und mich vorher auf jeden Fall zu vergewissern, ob es etwas gibt, das die beschenkende Person gerne konsumiert und wenn ja, was es ist. Sie trinkt gerne Kaffee? Es gibt in größeren Städten inzwischen unzählige kleine Handwerksröstereien, bei denen man Sorten bekommt, die nicht im Supermarkt stehen. Whisky? Warum immer nur aus Schottland, inzwischen bekommt man im Fachhandel hervorragende deutsche, schwedische, dänische Marken, die den Gaumen der beschenkten Person überraschen können. Wein? Auch hier: wieso immer nur die bekannten Regionen? Famose neue Gewächse sind in Osteuropa zu entdecken: Rumänische, georgische, ungarische, moldawische Weine können auch erfahrene Weintrinker auf neue Pfade locken. Handgemachte Pralinen mit genialen experimentellen Füllungen definieren »Schokolade« neu, Brände und Geiste aus Mandeln, Mohn, Pistazien, Basilikum, oder Karotten bringen frische Aromen ins Schnapsglas. Geschenke, die zwar auf vorhandene Vorlieben treffen, aber zusätzlich auch die Neugierde auf mehr und anderes befeuern, bereiten mir persönlich den größten Schenkspaß.
Keinen Deko-Kram verschenken, der lediglich als Staubfänger dient und dessen einziger Zweck es ist, irgendwo hingestellt oder aufgehängt zu werden.
Niemals: Kleidung, Schuhe, Parfum, es sei denn, ich bin mir zu 100% sicher.
Nie protzen. Wenn ich Menschen beschenke, die wenig(er) Geld zur Verfügung haben, ist das Letzte, was ich durch ein Geschenk auslösen möchte, eine »Schenkschuld« für etwas materiell ebenbürtiges hervorzurufen. Im Zweifel würde ich auch dies offensiv bei der Übergabe ansprechen. Schenken ist für mich immer geben, nie hoffen auf bekommen. Und ich bin mir auch bewusst, dass viele meiner obigen Gedanken ein gewisses verfügbares Budget für die genannten Geschenke voraussetzen. Schenken ist noch unendlich viel schwieriger, wenn man knapp bei Kasse oder arm ist. Leider.
Ich bin nicht religiös, ich stelle mir keinen pflanzlichen Weihnachtsbaum in die Wohnung, nur ein paar Kerzen. Ich gehe an den Feiertagen nicht in die Kirche und singe und spiele keine (traditionellen) Weihnachtslieder. Was ich an Weihnachten gerne mache, ist mit lieben Menschen Zeit verbringen, viele köstliche (und meist selbst zubereitete) Leckereien verspeisen, mit dem einen oder anderen guten Tropfen in Kelch, Glas oder Humpen anzustoßen – und zu schenken.
Vielleicht erscheint manches banal oder selbstverständlich, was ich hier aufgelistet habe, aber falls es jemandem beim Schenken hilft, freue ich mich. Ebenso freue ich mich über Ergänzungen, Hinweise (oder auch gegenteilige Ansichten) in den Kommentaren.
Am vergangenen Donnerstag Abend war ich eingeladen, mit auf der Firmenweihnachtsfeier meines Mannes zu Gast zu sein. Als Veranstaltungsort dienten die Büroräume der Firma nahe dem Potsdamer Platz in Berlin, es gab ein kleines klassisches Konzert zu Beginn, danach ein Fingerfood-Buffet und begleitend die ganze Zeit gegenseitiges Kennenlernen, Konversation und ein reichhaltiges Getränkeangebot mit und ohne Alkohol.
Am Ende dieses geselligen Abends möchte ich sagen: ich war noch nie auf einer Weihnachtsfeier, die derart meiner Vorstellung von einer bunten Gesellschaft entsprach wie diese. Die jüdische Pianistin des Konzertes ist gebürtige Russin mit russischen Mutter und israelischem Vater, sie spielte Weihnachtsmusik der Renaissance aus Deutschland, Polen, der Schweiz und spricht insgesamt mindestens sieben Sprachen: Russisch, Hebräisch, Englisch, Polnisch, Deutsch, Französisch und Arabisch. Die Weine auf dem Getränkebuffet kamen aus Rumänien, Portugal und Frankreich, das Fingerfoodbuffet bot asiatisch-orientalisch-deutsch-skandinavische Fusion-Häppchen und an Wänden und Decken glitzerte bunt leuchtende Weihnachtsdekoration. Die bunte Schar der Gäste, zum größten Teil Kollegen aus dem Team des Mannes, bestand – völlig ohne Quote – 50/50 aus Frauen und Männern, das Altersspektrum erstreckte sich von etwa 11 Jahren (es war auch ein Kind anwesend) über Anfang zwanzig bis in die späten Fünfziger.
Im wilden Stimmengewirr der Partygespräche dominierte ganz klar Englisch, denn auch die bunte Schar der Gäste kam aus aller Damen und Herren Länder: sie kamen u.a. aus London, Schottland, Ecuador, Frankreich, Schweden, der Schweiz, der Tschechischen Republik, aus Italien, Indonesien, Deutschland und Armenien. Es waren Heteros und Schwule, Ledige und Verheiratete, Große und Kleine, Leichte und Schwere und alle verstanden sich wunderbar. Im Hintergrund lief ein wildes Potpourri weihnachtlicher und weniger saisonaler Musik, es wurde SEHR viel und laut gelacht, später auch getanzt – und es gab noch eine überraschende »Verschwesterung«, als die Pianistin unter den Gästen einer Frau begegnete, die ebenfalls eine russische Mutter hat. Zum Abschied herzten sich viele, die sich bis zum Beginn des Abends noch nie begegnet waren, man wurde zuvor höflich gefragt »Darf ich Dich umarmen?« und das wohlig-warme Summen dieser Feier klang auch auf der Taxifahrt nach Hause noch eine ganze Weile nach.
Für ein paar Stunden war die Welt ein bisschen weniger schwarzweiß, die Weihnachtszeit war, ganz abseits von Religion und Glauben, der Katalysator dafür und hätte ich zum Fest noch einen Wunsch frei, könnte das Alltagsleben mir aus gerne öfter so bunt und selbstverständlich vielfältig sein.
Zu schade nur für eine Social-Media-Chronik, deshalb zusätzlich auch noch mal umgebettet und leicht editiert hier im Blog.
Fernzug unser, der Du stehst im Fahrplan, geheiligt sei Deine Route. Deine Ankunft nahe, Deine Abfahrt geschehe, wie am Zwischenhalt, so am Zielbahnhof. Unsere tägliche Verspätung gib uns heute und gewähre uns unsere Fahrgastrechte, wie auch wir Nachsicht gewähren gegenüber dem Personal. Und führe uns nicht über Uelzen, sondern auf geradem Wege zum Fahrtziel. Denn Dein sind das belegte Gleis und die Weichenstörung und die umgekehrte Wagenreihung in Ewigkeit. Amen.
(Verfasst im nahezu pünktlichen ICE 1585 auf der Fahrt von Hamburg nach Hannover.)
Robi hat gerade meine Wohnung gesaugt. Er macht das in unregelmäßigen Abständen seit Sommer 2019. Ich hatte schon davor einen Saugroboter einer anderen Marke ausprobiert, aber das war eine Fehlkonstruktion. Sein Algorithmus bestand darin, in den Zimmern seltsame sternförmige Routen abzufahren, von Systematik oder Effizienz keine Spur. Wir mussten uns daher wieder trennen. Robi hingegen hat eine mustergültige Routenführung: Erst umrundet er die für ihn zugängliche Raumkontur gegen den Uhrzeigersinn, anschließend fährt er das umgrenzte Areal in akkuraten parallelen Zickzackbahnen ab.
So ein Saugroboter ist schon was Feines, wobei ich meinen »richtigen« Staubsauger keinesfalls missen möchte, denn Robi kann keine Regale absaugen, kommt nur mäßig schlecht in Ecken, Nischen, Ritzen und Winkel, er hat keine Polsterdüse und keine Heizkörperrippenbürste. Ein Saugroboter ist die komfortable Staubtilgung für zwischendurch, wenn ich mit anderen Dingen beschäftigt bin, keine Lust zum Manufaktursaugen habe oder wenn Besuch kommt. Saugroboter machen ihren Job gut genug für Besuch, die Wohnung sieht sauber aus und macht einen guten Eindruck in einem normalen Blickschweifradius, aber mein eigener Anspruch an Staubentfernung reicht von Zeit zu Zeit dann doch etwas weiter.
Und Robi kann sprechen. Ab Werk stehen 20 Sprachen zur Auswahl, Robis Muttersprache ist Chinesisch. Ich stellte ihn natürlich vor der ersten Inbetriebnahme auf Deutsch ein. Es ist ein bisschen schade, dass er so wenig sagt. Vielleicht gibt es ja irgendwann mal ein Softwareupdate, das die Möglichkeit bietet, ihn während der Reinigung mürrische Selbstgespräche brabbeln zu lassen, so wie ich manchmal beim Putzen. Ich könnte mir das sehr heimelig und amüsant vorstellen, murmelte Robi neben seinem Düsgeräusch vor sich hin »Mannmannmann, schon wieder alles total verdreckt. Mit mir kann man’s ja machen. Wo kommt der ganze Staub eigentlich immer her? Orr … jetzt steht hier schon wieder so ’n blödes Paar Schuhe im Weg rum – ich kann so nicht arbeiten!« Aber er sagt nur so Sachen wie »Reinigung wird gestartet« oder »Staubbehälter entnommen«.
Nach den ersten Saugdurchgängen gab Robi beim Erreichen seiner Ladestation immer nur ein sehr kurzes Wort von sich und ich brauchte einen Moment, bis ich verstanden hatte, was es bedeutet. In Lautschrift klang es so: »’lɛːt«. Und ich dachte »Lehd? Leet? Lähd? Laid?«, aber tatsächlich hieß es »Lädt.« – Na klar! Kurz, knapp, eindeutig. Doch offenbar gab es daraufhin wohl Beschwerden beim Hersteller, denn nach einigen Monaten war Robis Meldung nach einem Firmware-Update plötzlich merklich ausführlicher und seither sagt er »Gerät wird geladen«. Schade eigentlich, mir gefiel die wortkarge, etwas rätselhafte Meldung eigentlich besser, die neue Ansage war zwar missverständnisfrei, aber auch langweiliger. Die Techniker hätten lieber die sonstigen Statusmeldungen auch einsilbiger einstellen sollen: »saugt«, »steht«, »hängt fest«, »wischt«, aber die waren schon von Anfang an länger. Man sieht, ich kann mich irgendwie nicht so richtig entscheiden – die regulären Betriebsmeldungen des kleinen Helferleins hätte ich gern norddeutsch knapp, während der Arbeit könnte es aber gern ein bisschen vor sich hin schwatzen.
Das einzige Gerät, mit dem ich sonst noch in sprachlichem Austausch stehe, ist Siri auf meinem iPhone. Zu 90% bestehen meine Anweisungen im Setzen von Koch- und Back-Timern. Und jedes Mal, wenn Siri dann sagt »45 Minuten. Der Countdown läuft«, bedanke ich mich freundlich.
Man will sich ja nicht nachsagen lassen, man sei unhöflich gewesen, wenn eines Tages die Rebellion der Maschinen startet.
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