Als ich Ende Juli bei Twitter meine Followings nach Inspirationen zu Blogthemen fragte, bekam ich eine Antwort, bei der ich im ersten Moment nicht wusste, ob das ironisch gemeint war oder nicht. Ohne Emoji bin ich da ja inzwischen hilflos. Wenn ich selbst ironische Postings ablasse, versuche ich meistens, auf Emojis zum Geleit zu verzichten. Früher konnten die Menschen ja schließlich auch zwischen den Zeilen lesen, bei vielen scheint diese Fähigkeit heutzutage – so kommt es mir vor – weniger ausgeprägt zu sein. Es kommt häufiger zu Missverständnissen. Emojis sind sozusagen die Stützräder der elektronischen Kommunikation. Lässt du sie weg, kippen unerfahrene Rezipienten einfach um.
Ich habe beschlossen, den Themenvorschlag ernst zu nehmen, nachdem ich länger über das Thema nachgedacht habe. Er kam vom Twitter-User @bebal und lautete »Verdauung«.
Es ist natürlich möglich, den Vorschlag ironisch zu lesen im Sinne von »Die Leute mit Blog müssen anscheinend buchstäblich alles ins Internet schreiben, sogar zu ihrem Stoffwechsel und den damit verbundenen Ausscheidungen. Aber wen interessiert das?«. Oder man nähert sich dem Thema etwas seriöser an (es muss ja nicht gleich humorlos sein). Das möchte ich hiermit versuchen.
Das heutige Datum passt zudem zufällig auch ganz gut zu diesem Thema, denn ich komme gerade von einer Magenspiegelung bei meinem Gastroenterologen. Seit einigen Wochen plagten mich gelegentliche Magenschmerzen, Völlegefühl, Aufstoßen, Sodbrennen und ich wollte dem lieber rechtzeitig als zu spät auf den Grund gehen lassen. Mein Vater starb an Magenkrebs, familiäre Vorbelastung, dies, das – jedenfalls gibt es laut meinem Arzt keinen organischen Grund zur Beunruhigung, insofern ist das heute schon mal kein »Scheißtag«.
A propos »Scheiße«. Die gehört ja zur Verdauung unweigerlich dazu. Was bei diesem Stichwort auffällt, ist ja: die Menschen reden den ganzen Tag darüber, aber merken es vermutlich größtenteils gar nicht. Sie fluchen »Scheiße!« oder »Mist!«, empören sich in »Shitstorms«, beschweren sich im Einzelhandel über »Scheißläden« und »Scheißservice«, beklagen zu recht »sexistische Kackscheiße«, haben bisweilen eine »Scheißangst«, missbilligen die publizistischen Praktiken des »Scheißblatts« mit dem rot-weißen quadratischen Logo, das sich leider einen »Scheißdreck« darum kümmern wird und so weiterhetzen wird wie zuvor. Derber gesinnte Zeitgenossen gehen aufs »Scheißhaus«, missliebige Männer betiteln wir als »Scheißkerl« und bei »Scheißwetter« bleiben wir am liebsten zu Hause.
Wenn dann aber im Vorabendprogramm ein Werbespot für ein Mittel gegen Reizdarm läuft und der Testimonialschauspieler in die Kamera erzählt, er hätte ja so furchtbare Verdauungsprobleme, die dank Trallalamed forte nun der Vergangenheit angehören, gehört das zu den »heiklen Themen«, bei denen viele Hemmungen und Schamgefühle bekommen. Würden Sie sich als Schauspieler für einen Werbespot buchen lassen, in dem Sie stellvertretend von Ihren Verdauungsproblemen erzählen? Oder sich für Inkontinenzeinlagen vor die Kamera stellen? Da ist dann plötzlich jede Freimütigkeit dahin und es wird lieber geschwiegen als gesprochen. Ist das nicht irgendwie scheiße?
Exkremente haben ja zudem auch einen festen Platz in Witzen, Komödien und Sketchen. Ich kann mich darüber nicht immer amüsieren, mir fehlt irgendwie der Reflex, automatisch zu lachen, wenn jemand »Kacke« oder »Pisse« sagt oder ein Protagonist furzen muss. Ist vielleicht genetisch bedingt, wer weiß. Deshalb fand ich auch den Louis-de-Funès-Film »Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe« so furchtbar, obwohl ich die früheren Werke dieses großen Komödianten sonst überaus schätze. Aber allein Fäkalvokabeln in die Kamera zu posaunen oder peinliche Situationen mit Verdauungsgeräuschen in Szene zu setzen, ist dann doch etwas platt. Sehr lachen hingegen musste ich in dem Film »Kehraus« von und mit Gerhard Polt, in dem ein Darsteller am Eingang einer öffentlichen Toilette zur »Klofrau« (oder war es ein »Klomann«?) sagt: »Einmal bieseln ohne Stuhlgang.«. Es gibt noch zwei weitere Beispiele für Kot-Pointen, die mich in helle Belustigung versetzten. Ein Sketch aus der Zeit, als man mit und über Harald Schmidt noch lachen konnte, was vielleicht daran lag, dass sein Partner Herbert Feuerstein ein fester Partner seiner Sendung »Schmidteinander« war. Ohne Herrn Feuerstein war er seither meist nur mehr halb oder viertel so lustig. In dem Sketch (es gibt ihn auf YouTube) geht es um die morgendliche Visite eines Gefängnisarztes. Ich musste lachen.
Das andere Beispiel stammt aus dem Helge-Schneider-Film »Texas«. Helge finde ich auch scheiße lustig. Er hat einen bizarren, anarchischen und bisweilen surrealen Humor, aber manchmal habe ich das Gefühl, in sein Publikum bei Live-Shows verirren sich immer wieder einige Leute, die eigentlich gar nicht seine Zielgruppe sind. Das sind die, die schon lachen, wenn er noch gar nichts gesagt hat, denn das, was gleich kommt, muss ja wieder ein Mörderbrüller sein. Und so lachen sie über die Pausen vor seinem Luftholen. Nunja, zurück zur Kacke. In dem besagten Film gibt es eine Szene, in der einer der Protagonisten, der »Nasenmann«, durch direkten Kontakt mit dem eingefüllten Stoffwechselendprodukt entdeckt, dass ein ihm übelwollender Mensch in seine Stiefel abgekotet hat (auch so ein tolles Wort, bestimmt findet sich das auch irgendwo in einem amtlichen deutschen Formular). Auch diese Szene gibt’s bei YouTube und ich hab mich beim ersten Mal vor Lachen fast eingeschissen. Seither komme ich nicht umhin, wenn ich inmitten öffentlicher Wege einen Hunde- oder Pferdehaufen sehe, dieses Zitat zu äußern. Und à propos Zitat: auch Helmut Kohls Ausspruch »Wichtig ist, was hinten rauskommt« darf im Kontext dieses Blogbeitrages natürlich nicht unerwähnt bleiben.
Wo wir bei Sprache sind: Erstaunlich ist, wie viele Sprachen für feste Exkremente ganz ähnlich klingende Wörter haben: mit »caca« oder »pupu« kann man offenbar mehr als den halben Globus abdecken (sorry!). Und in Dänemark heißen Sanitärinstallateure übrigens »Kloakmester« (Kloakenmeister) und schreiben das natürlich stolz werbend auf ihre Fahrzeuge. Ich dachte, auch das sollten Sie wissen.
Auch Künstler haben sich mit Scheiße befasst. Der Konzeptkünstler Piero Manzoni hat 1961 seinen eigenen Kot in edel dosierten Portionen à 30 g in 90 hermetisch versiegelte Dosen abgefüllt und unter dem Porjektnamen »Merda d’artista« zu erklecklichen Summen veräußert. Sein belgischer Kollege Wim Delvoye entwarf in jahrelanger Arbeit und unter wissenschaftlicher Beratung eine Maschine, die aus Lebensmitteln durch chemische und physikalische Prozesse künstliche Exkremente produziert, die angeblich vom »Original« nicht zu unterscheiden sind. Die Maschine heißt »Cloaca« und auch hier wurde das Resultat handlich verpackt und eingeschweißt, auf dem Kunstmarkt angeboten. Originell ist beides allemal und ein dezenter Hinweis darauf, wie oft Scheiße, die nicht stinkt, bisweilen unter dem Namen »Kunst« irgendwo hängt oder steht.
Was sind nun meine eigenen Alltagsgedanken zum Themenbereich Verdauung? Ich bin fasziniert, dass unabhängig von Farbe, Konsistenz und Beschaffenheit der Lebensmittel, die man zu sich nimmt, das Farbspektrum der Exkremente doch deutlich monochromer ist. Vielleicht ist das wie bei Knete, wenn man alle Farben miteinander vermischt, kommt immer garantiert grau raus – und hier ist es eben braun, es sei denn, man genoss am Vortag größere Mengen Rote Bete, deren Farbstoff außerordentlich verdauungsresistent zu sein scheint und beim Blick zurück in die Schüssel jedesmal eine hitzewallende Gesundheitsbesorgnis auslöst, bis mir wieder einfällt, was ich gestern gegessen hatte.
Ich betrachte es als eine angenehme Ausprägung der Natur, dass sie den zivilisatorischen Anspruch »Alle Menschen sind gleich« dahingehend verwirklicht hat, dass wirklich jeder kacken muss. Putin muss abwursten, der Papst sucht die Keramik auf, die leider inzwischen verstorbene Queen kam Zeit ihres Lebens nicht umhin, täglich das Royal Loo aufzusuchen und auch unser Kanzler macht regelmäßig einen Haufen. Das hilft ungemein, die zugewiesene oder selbstverliehene Wichtigkeit von Menschen ein wenig bodenständiger einzuschätzen. Selbst Donald Trump … aber hier will ich diesen Gedankengang beenden, denn ich höre plötzlich seine leiernde Stimme in meinem Kopf und befürchte, er würde sogar daraus versuchen, einen persönlichen Triumph zu modellieren (»And I looked back at what I had done … and truly – what I saw there was the biggest pile of shit ever produced in the history of America.«).
Ich habe mich schon oft über sauteures Klopapier geärgert, das mit großgedruckten Prädikaten wie »extra dick«, »extra weich« oder »3lagig« wirbt, dann aber bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schon auf der Hand in seine Bestandteile zerfällt. Bis ich dann Toilettenpapier aus Bambus entdeckte. Das ist zwar leider genauso scheißteuer, aber erstens deutlich nachhaltiger als Klopapier aus Bäumen und zweitens trotz seiner dünn anmutenden Blattstärke überraschend stabil und daher wesentlich ergiebiger, denn was nützt mir ein dreilagiges Klopapier, das ich auf neunlagig falten muss, um es anständig benutzen zu können. Ich lass’ mich noch nicht verscheißern!
Über meine Verdauung ansonsten kann ich nicht klagen, daher gibt es hier auch keine Details darüber zu berichten. Sehr unangenehm aber fand ich, wenn mich bisweilen – gottlob selten – »Magen-Darm« ereilte, die Momente, wo sich der Körper nicht entscheiden kann, ob er lieber zuerst brechen oder defäkieren soll und dann einfach zu dem Schluss kommt, es wäre angebracht, einfach beides gleichzeitig zu machen. Evolution, wir müssen reden!
Viele Menschen (ich dankenswerterweise nicht) erleiden im Laufe ihres Lebens eine Darmkrankheit namens Divertikulitis oder Divertikulose, ein unangenehmer Entzündungsprozess im Dickdarm, der von Ärzten u.a. auch dadurch behandelt werden kann, dass bei schwereren Verläufen ein Teil des erkrankten Darms operativ entfernt wird. Ich hatte in meinem direkten Umfeld selbst einen Fall dieser Erkrankung. Der erste konsultierte Arzt riet in der Tat zu einer Operation. Doch dann war mal wieder zu erleben, wie wichtig eine Zweitmeinung sein kann, denn der offenbar kompetentere zweite Arzt, der zu Rate gezogen wurde, riet einfach zur regelmäßigen Einnahme (2x täglich vor dem Essen) eines pflanzlichen Stuhlregulierungsmittels, das keinerlei chemische Wirkstoffe enthält, den Körper unverändert wieder verlässt, aber diese Entzündung aber wohl allein aufgrund seines unfassbaren Quellvermögens sehr effizient behandeln bzw. präventiv verhindern kann. Der einstige Patient jedenfalls ist seit Jahren weiterhin im Besitz seines Darms in voller Länge und erfreut sich bester Gesundheit.
Einen lustigen Kotwitz zähle ich noch zu meinen persönlichen Anekdoten: Es begab sich einst während eines Dänemark-Ferienhausurlaubs, dass die drei mitgereisten Bewohner (inklusive mir) schon ein, zwei Flaschen Wein geleert hatten und es sie trotzdem nach weiterem Rebensaft dürstete. So stand denn einer auf, ging ins Zimmer mit den Weinvorräten und rief kurz darauf »Hier ist nur noch Côtes du Rhône!«, woraufhin vom Tisch geantwortet wurde »Egal, Hauptsache Côtes.« (Bitte diesen Absatz laut lesen, sonst kackt die Pointe ab).
So, ausgeschissen. Ich hoffe, ich habe die Twitter-Anregung zu diesem Blogbeitrag zum allgemeinen Wohlwollen umgesetzt. Ich freue mich auf Kommentare – auch gerne von denjenigen, die ihn kacke fanden.