Autor: ProstetnikVogonJeltz

Eine Woche an der Ostsee

Nun sind die Reisewochen vorüber. Als letzte Etappe nach Regensburg und Berlin war nun – mal wieder – Stralsund an der Reihe. Es gab gleich mehrere Gründe, die schöne Hansestadt erneut zu besuchen: Zum Ersten war der Mann gebeten worden, ein Clavichord für das erste Konzert der diesjährigen Greifswalder Bachwoche (13.–19.06.2022) zur Verfügung zu stellen. Zum Zweiten würde genau dieses Instrument bei diesem Konzert von unserer Schweizer Trauzeugin gespielt werden, die wir aus diesem Anlass erstmals seit drei Jahren wiedersehen würden. Zum Dritten war sie nicht nur eigens bereits einige Tage früher nach Berlin angereist, um von dort aus mit uns am Wochenende gemeinsam nach Stralsund in eine schöne Ferienunterkunft zu reisen, sondern hatte auch noch zwei Tage nach dem Konzert »drangehängt«. Zum Vierten hatte der Mann exakt am Datum des Konzerts Geburtstag und zum Fünften und Letzten folgte am Tag danach unser dritter Hochzeitstag und geheiratet hatten wir am 14. Juni 2019 in – Stralsund.

Die Abreise am Sonntag begann etwas unruhig, da das Internet vermeldete, die Straßen in der Berliner Innenstadt seien aufgrund gleich zweier Großveranstaltungen flächendeckend gesperrt. Eine davon war die Fahrrad-Sternfahrt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) mit zehntausenden angekündigten Teilnehmern. Doch der Mann lotste uns geschickt an den rot markierten Strecken auf Google Maps vorbei; seltsamerweise war tatsächlich auf unserer gesamten Route aus der Stadt heraus sogar auffallend wenig Verkehr. Entweder waren die Berliner aufgrund der eventbedingten Sperrungen vorsorglich gleich reihenweise zu Hause geblieben oder es waren schlicht aufgrund der exorbitanten Treibstoffpreise (trotz »Tankrabatt«) weniger Autofahrer unterwegs. Und so kamen wir nach rund 3,5 Stunden mit nur einer kleinen Autobahn-Stauumfahrung am frühen Nachmittag an unserer Unterkunft an.

Die Begrüßung gestaltete sich etwas unstimmig, ich nenne solche Momente nach einem Album der Talking Heads gern »Sand in the Vaseline«. Vor der Unterkunft erwartete uns der Vermieter des Appartements, ein sonnengegerbter ca.-Mittsechziger. Nachdem er beim Einparken den Tempoherz-Aufkleber am Heck unseres Wagens gesehen hatte, stieg er recht zügig darauf ein. Ob wir auch »so welche« seien, die sich für ein Tempolimit stark machten, die Grünen hätten »es« ja dann bald »geschafft«. Ich versuchte, mit dem Faktenargument zu kontern, dass reduzierte Geschwindigkeit tatsächlich Sprit spare (laut Bordcomputer hatte unser Skoda Kombi erfreuliche 4,8 l pro 100 km verbraucht), aber mir als Antwort nur ein flapsiges »So’n Quatsch!« angeboten wurde, sagte ich nur »Ich denke, bei diesem Thema kommen wir nicht zusammen« und beendete die Diskussion. Überraschenderweise war die Stimmung zwischen ihm und uns danach keineswegs getrübt, er führte uns freundlich durch die Räumlichkeiten und war auch bei weiteren Begegnungen in den folgenden Tagen ausgesprochen entgegenkommend. Vielleicht ist die nachdrückliche Beendigung streitträchtiger Gespräche tatsächlich ein gutes Rezept für gegenseitigen Respekt.

Nach dem Ausladen des Gepäcks nebst dem mitgebrachten Instrument holten wir in der Nähe noch drei Leihfahrräder ab und gönnten uns auf der Sonnenterrasse einer Braugaststätte an der Hafenpromenade ein Willkommensbier. Das Ziel zum Abendessen danach lag in »spitting distance« fast gegenüber, ein vertrauter, sehr guter »Italiener«. Meine Vorspeise beeindruckte mich nachhaltig: eine cremige Kugel Burrata in einem warmen Cherrytomatenragout, gewürzt mit Vanille und Basilikum – so köstlich, dass ich mir vorgenommen habe, dieses Gericht in der heimischen Küche demnächst nachzubauen. Wieder in der Unterkunft, feierten wir dann noch zu dritt in des Mannes Geburtstag hinein.

Die Aromen vollreifer Tomaten mit Vanille, dazu die zartschmelzende Burrata – ein Traum!

Am Montag Morgen, nach einem guten Frühstück, hatte ich eine Weile zu arbeiten. Der Mann und die Trauzeugin machten sich kurz nach Mittag auf den Weg nach Greifswald, um das Konzert vorzubereiten, ich wollte zwei Stunden später mit dem Zug rechtzeitig dazustoßen. Die Zugfahrt sollte meine erste unter Nutzung des »Neun-Euro-Tickets« sein. Ich hatte mich etwas verkalkuliert beim Abschätzen der Zeit, die ich für die Fahrradstrecke von der Unterkunft zum Bahnhof benötige und musste nach dem Abstellen des Rades dann ziemlich spurten, um rechtzeitig am Gleis zu sein. Kaum am Platz, fiel mir auf, dass ich den Schlüssel des Fahrradschlosses nicht bei mir hatte, abgeschlossen hatte ich das Rad auf jeden Fall, aber wohl in der EIle vergessen, den Schlüssel abzuziehen. Das Rad stand nicht direkt auf dem Bahnhofsvorplatz, sondern etwas abseits in einer schattigen Ecke mit weiteren Fahrradständern, und so versuchte ich, meine aufkommende Unruhe damit zu beschwichtigen, dass das Rad an dieser Stelle wahrscheinlich in den nächsten Stunden keinem Langfinger auffallen würde.

Das Konzertpublikum war »wohlerzogen« und lauschte der leisen Klängen des Clavichords in der Aula der Universität ohne Husten, Rascheln und sonstige Nebengeräusche. Am besten aus dem naturgemäß sehr »bachlastigen« Programm gefiel mir ein Stück von Pachelbel mit einigen rasend schnellen Tastaturläufen und einmal mehr beneidete ich Menschen wie unsere Freundin, die ein Instrument derart virtuos beherrschen. Gleich nach Zugabe und Schlussapplaus machte ich mich dann aber doch zügig auf die Rückreise, um nach meinem nachlässig abgestellten Rad zu schauen. Glücklicherweise bewahrheitete sich meine Hoffnung und es stand mit im Schloss steckenden Schlüssel nach wie vor am Bahnhof. Glück gehabt!
Abendessen mit rustikaler, guter Küche in der bereits gestern besuchten Braugaststätte, diesmal aufgrund der Abendfrische jedoch drinnen.

Am Hochzeitstag, dem Dienstag, war eine Radtour über Rügen geplant. Eine Herausforderung für unsere Begleiterin, denn sie hatte aus gesundheitlichen Gründen seit über 6 Jahren kein Rad mehr bestiegen, sicherte uns jedoch zu, dass sie – wenn auch mit bedächtigem Tempo – sich wieder dazu imstande fühlte.
Die Tour begann an der Stralsunder Hafenpromenade mit einer Fährüberfahrt zum Rügener Anleger »Altefähr« und von dort aus auf einem ausgewiesenen Radweg, teils mit Schotterstrecken, teils mit betonierten/asphaltierten Wegen, zur geplanten vorläufigen Endstation, der Rügener Insel-Brauerei. Bei sommerlichem, aber frischwindigem Wetter kamen wir gemächlich voran; unterwegs fiel mir am liegenden Stamm einer großen umgestürzten Weide erstmals ein »Schwefelporling« auf – ein essbarer Pilz, der von April bis Juni an toten oder absterbenden Bäumen zu finden ist und der durcherhitzt und zubereitet nach Hühnchenfleisch schmecken soll, weshalb er im englischen Sprachraum auch »chicken of the woods« genannt wird. Mangels eines Schneidwerkzeugs hobelte ich den stattlichen Fruchtkörper mit einer abgelaufenen Kreditkarte vom Stamm, wobei ich noch strauchelte und mir einige leicht blutende Kratzer am Handgelenk zuzog. Aber diesen Preis zahlte ich gerne für diese schon länger erhoffte Pilzfundpremiere. Im Leinenbeutel im Rucksack verstaut, ging es dann weiter.

Der schon etwas ältere, aber noch genießbar weiche Schwefelporling wog mindestens ein Kilo.

Die nächste Zwischenstation war die kleine, leider verschlossene »Kapelle Bessin« aus dem Jahr 1482. Da sich unsere Freundin als professionelle Musikerin mit besonderer Begeisterung Alter Musik aus der Zeit um deren Erbauung widmet, war dies ein schöner und thematisch sehr passender Haltepunkt.

Nach der Erfrischung im Biergarten der Insel-Brauerei ging es dann, kräftigem Gegenwind entgegenstrampelnd, über gute Radwege, den Rügendamm und die Altstadt, zwecks wohlverdienter Stärkung in ein gutbürgerliches Lokal am neuen Stralsunder Marktplatz. Ich entschied mich aus einem leicht nostalgischem Geführ heraus für »gebackenen Camembert mit Preiselbeeren« und »Matjesfilet in Aalrauch mit hausgemachter Remoulade, Apfelspalten und Bratkartoffeln«. Wenn schon gutbürgerlich, dann richtig.
Insgesamt kam bei mir während dieses Ausflugs ein echtes »Sommerferiengefühl« auf. Sonne, Wind, Meer, Felder voller Mohn und Kornblumen, der Radelfahrtwind im Gesicht – es war ein Tag wie aus dem Bilderbuch.

Trinkbares Gold.

Der Mittwoch begann mit einem Abschied: unsere Freundin und Reisegefährtin musste Stralsund verlassen und zurück nach Hause fahren. Der Mann brachte sie vormittags zum Bahnhof und so hatten wir den Rest des Tages dann »nur noch« allein zur Verfügung. Wir beschlossen, abends mal nicht auswärtig essen zu gehen, der Mann besorgte Spargel und Schinken und wir bereiteten alles für einen geselligen Zuhauseabend mit Heimkino vor. Am Nachmittag machten wir noch eine kleinere Wanderung auf Rügen auf der Halbinsel Wampen, durch Wald und über Feld bis zur Küste und beschlossen den Ausflug (natürlich!) mit einem Bier im Freien. Serientipp, auch im Kontext der aktuellen Konfliktlage Europas und der Ukraine mit Russland: die norwegische Serie »Occupied« über eine russische Besatzung des Landes durch Russland aufgrund von Differenzen zur Versorgung mit Gas und Öl – hochaktuell, spannend und mit nervenzehrenden Cliffhangern der Folgen. Zum Zeitpunkt dieses Blogbeitrags vollständig abrufbar in der arte Mediathek.

Vor dem Hauptgang mit Spargel bereitete ich noch den tags zuvor geernteten Schwefelporling zu, mit Zwiebeln angebraten und im Ofen 20 Minuten weitergebacken. Von dem gut 1 kg schweren Pilz blieb am Ende nach dem Putzen noch gut die Hälfte übrig, denn da er schon etwas älter war, gab es im Inneren bereits einige zu feste Bereiche, die minder gut schmecken sollen und daher sortierte ich sie aus. Geschmacklich war der Rest aber ausgesprochen schmackhaft. Fände ich erneut einen solchen Pilz, würde ich beim nächsten Mal ausprobieren, ihn tatsächlich anstelle des Hühnerfleisches zu einem indischen Hühnercurry zu verarbeiten. »Chicken of the Woods Korma« oder so.

Die zweite bemerkenswerte Wanderung während dieser Tage fand am Donnerstag statt. Mit dem Rad fuhren wir gut 9 km zum »Pütter See«, wo der fußläufige Teil der Tour begann. Laut Wandernavi des Mannes sollten wir eine Weide überqueren, die wir zwar umzäunt und mit einem Gittertor verschlossen vorfanden, das sich aber mit einer Klinke problemlos öffnen ließ. Nach 100 Metern bemerkten wir etliche Rinder beim Grasen, die neugierig in unsere Richtung sahen, darunter auch einige imposante pechschwarze Stiere mit durchaus beeindruckenden, langen und spitzen Hörnern, die uns beim etwas bangen Entlangschleichen dicht am Zaun des Geländes dauerhaft und misstrauisch musterten. Ich weiß nun ziemlich sicher, wo das Wort »stieren« seinen Ursprung hat.

Die Wanderroute ging gleichermaßen urwüchsig weiter. Am Ende der Weide mussten wir über einen niederliegenden Zaunabschnitt und durch ein Brennesselareal steigen (mit langen Hosen, glücklicherweise), dann setzte sich der Weg fort über einen beidseitig von Wasser und Schilf begrenzten Damm. Wir überkletterten umgestürzte Bäume, suchten Durchgänge zu wegsamen Pfaden an dicht bewachsenen Waldrändern, sahen unheimliche, knorrige Baumriesen, umgingen ein großes Getreidefeld und entdeckten eine quadratmetergroße Stelle dicht bewachsen mit vollreifen Walderdbeeren, die uns zu einem ausgiebigen Snack verführte. Auf der gesamten Strecke begegneten wir keinem einzigen Mensch, obgleich wir etliche wilde Wege mit schwachen erkennbaren Fahrrinnen bewanderten, die wohl gelegentlich Nutzfahrzeuge befuhren.

Live-Berichterstattung aus der Wanderwildnis.

Auf dem Rückweg versuchten wir, die erneute Querung der Viehweide vom Anfang möglichst zu vermeiden und fanden einen schmalen Trampelpfad, der allerdings von fast mannshohen Gräsern beinahe zugewuchert war. An den Fahrrädern angelangt, zeigte sich die »Ernte«: unzählige Zecken, vor allem auf der Hose. Da ich vorangegangen war, hatte ich die meisten abgestreift und entfernte noch vor dem Zurückradeln ein rundes Dutzend von meiner Kleidung, im weiteren Verlauf des Tages weitere fünf bis sechs und in den Tagen bis zur Abreise musste sogar die stets mitgeführte Zeckenpinzette noch einige Male zum Einsatz kommen. Wohlweislich hatte ich mich, im Herbst 2021 beginnend, 3fach gegen FSME impfen lassen und da eine Zecke zunächst gut 24 Stunden auf dem Körper des Wirts umherkrabbelt, bis sie den idealen Bissplatz gefunden hat und selbst nach dem Festsetzen noch gut 48 Stunden vergehen, bis ggf. Borrelioseerreger in die Saugwunde gelangen, ist bei rechtzeitiger Selbstuntersuchung und Entfernung der Blutsauger das Risiko für Infektionen vergleichsweise gering.

Trotz dieser Unbill war das jedoch erneut eine Wanderung mit »Sommerferiengefühl«. Oft streifte ich als Kind allein oder mit Freunden durch die Natur, fing Kaulquappen, beobachtete Tiere, sammelte Pilze und Pflanzen, naschte Beeren oder erkundete wild zugewachsene Pfade. Dieser Tag war einer, der solche Erinnerungen wieder aufleben ließ.
Fürs Dinner – nach dem obligatorischen Wanderbelohnungsbier – wählten wir ein vertrautes Lokal mit feinerer Küche als in den Tagen zuvor und ich genoss zwei köstliche Gänge – was genau es war, habe ich in der Fülle der (kulinarischen) Eindrücke dieser Tage inzwischen leider schon wieder vergessen und auch das obligatorische Tellerfoto ist an diesem Abend irgendwie unter den Tisch gefallen. Aber gut war’s, so weit reicht die Erinnerung noch.

Freitag, der vorletzte Stralsundtag, war wieder etwas geruhsamer. Ausschlafen, frühstücken, etwas arbeiten und am Nachmittag nochmals Aufbruch nach Rügen zu einer Wanderung entlang des »Gelben Ufers«, einer am Meer aufragenden Sand-Steilwand, in der zahllose Schwalben nisten. Die größte Strecke des Weges kann man aber am steinigen Strand am Fuße der Wand zurücklegen. Beim Gehen auf den lose überienanderliegenden großen Steinen muss man sehr konzentriert darauf achten, wohin man tritt, aber am Strand finde ich das sogar toll – unebene Wegstrecken durch Wald und Flur zwingen dazu, permanent auf den Weg zu schauen, obwohl es ringsum viel Interessanteres zu sehen gäbe. Bei einer Strandwanderung ist aber genau das, was direkt vor den Füßen liegt, das Interessanteste: Muscheln, Tang, Strandgut, bizarr geformte oder buntgeäderte Steine. Auch an wegsameren Stränden schaue ich beim Gehen eigentlich am liebsten auf die angeschwemmte kleinteilige Welt, die zu meinen Füßen liegt.

Auch an diesem Abend wurde »zu Hause« gegessen: Auf dem Gelände der Insel-Brauerei (man ahnt, wozu) bietet auch ein Räucherfischladen frische Ware zum Kauf an und mit einer Tüte Kartoffeln zum Backen aus dem benachbarten Hofladen und einem improvisierten Frischkäsedip wurde daraus später ein vorzügliches Mahl.

Nach den vergangenen, zwar sommerlichen, aber nicht allzu warmen Tagen hielten am Samstag dann auch endlich wärmere Temperaturen Einzug in der Region. Ich war etwas früher aufgestanden, um ein terminlich pressierendes Programmheft für ein Konzert zu gestalten und nach dem Frühstück schlug der Mann vor, man könne heute doch einmal einen Badestrand aufsuchen. Die Sonne lockte die Menschen in Scharen ins Freie und die übervollen Straßen, Parks und Strände in und um Stralsund riefen nach einer Alternative mit weniger Gewimmel. Und erneut sollte diese sich auf Rügen finden. Ausgehend vom kleinen Küstenort Lauterbach (hallo, Karl!) wanderten wir durch das überaus idyllisches Waldgebiet »Goor« auf dem »Pfad der Muße und Erkenntnis« zu einem winzigen, menschenleeren Sandstrand, auf dessen flachem Wasser Schwäne paddelten und das genau die richtige Temperatur für eine Erfrischung nach dem zurückgelegten Weg hatte. Erfahrungsgemäß sind Strände an Seen, Flüssen und Meeren oft um so spärlicher besucht, je weiter entfernt die nächste Autoparkmöglichkeit liegt. Und so bestätigte sich diese Beobachtung auch hier. Perfekt!

Nach dem naturnahen Bade ging es dann zurück, den schmalen Küstenweg entlang, zurück in den Ort. Unterwegs konnte ich von einigen Strandkiefern noch zwei Handvoll junge grüne kleine Kiefernzapfen sammeln, die ich, in Zucker eingelegt, zu einem aromatischen »Honig« verarbeiten wollte. Nach dem (Überraschung!) folgenden Tourenbier besuchten wir erneut das italienische Lokal vom ersten Abend (Burrata!) und beschlossen dann »chillend« den letzten Abend in der Unterkunft.

Abreise am Sonntag, letzte Mitbringsel-Einkäufe in diversen lokalen Geschäften und eine weitgehend reibungslose Autofahrt zurück nach Berlin. Unterwegs stieg die vom Bordcomputer gemessene Außentemperatur zusehends. Waren es in Stralsund am Vormittag noch frische 18 °C, erhöhte sich dies bis zum Eintreffen in Berlin auf satte 37 °C. Nach dem Halt an einem reichlich betonierten Rastplatz kurz vor dem Ziel zeigte der Temperaturmesser sogar rekordverdächtige 40,5 °C. Das Ausräumen des Gepäcks nach der Ankunft war dann auch eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit. Doch offensichtlich hatten wir exakt den Peak der Hitzewelle getroffen, denn schon am späteren Nachmittag kühlte die Luft in der Hauptstadt wieder auf angenehmere 23 °C ab.

Nach dem Akklimatisieren (im wahrsten Sinne des Wortes) sorgte ein Spaziergang nach der langen Fahrt noch für etwas Bewegung. Und am Ziel, dem Straßenbräu-Ausschank, stießen wir dann noch einmal auf den hinter uns liegenden wunderschönen Ostseeurlaub an.

Strandidyll.

Pixeltext

In meinem Job als Artdirektor stehe ich recht oft vor der Aufgabe, aus einem vom Kunden angelieferten Screenshot (z.B. aus einem beschrifteten Diagramm, einem abfotografierten Flipchart o.ä.) editierbaren Text zu extrahieren. Natürlich könnte ich auch alles abtippen, aber seit kurzem nutze ich ein wesentlich schnelleres und sehr zuverlässiges Feature von MacOS (ab MacOS 12 »Monterey«) das ich hier gerne teilen möchte.

Angenommen, Ihr habt z.B. am Geburtshaus von Marlene Dietrich die Schrifttafel mit ihren biografischen Daten fotografiert und möchtet den Text daraus extrahieren:

Schritt 01:

Die Bilddatei mit dem MacOS-Dienstprogramm »Vorschau« öffnen. Das verhindert (sofern man dies nicht möchte), dass diese nur einmal kurz benötigte Datei in die Mac-Bilddatenbank »Fotos« übernommen wird.

Schritt 02:

Durch das seit MacOS Monterey integrierte Feature »Live Text« kann man nun im Bild den zu entnehmenden Text einfach mit dem Cursor markieren und in die Zwischenablage kopieren.

Schritt 03:

Nun einfach das gewünschte Layout- oder Textverarbeitungsprogramm öffnen und den Text einfügen. Fertig!

Mir hat das in den letzten Monaten schon richtig viel Zeit gespart. Ein sehr nützliches Feature, ohne den zuvor notwendigen Umweg über eine separate OCR-App.

re:publicadebüt

Das war sie nun – meine erste re:publica. Seit zwölf Jahren hatte ich das bunte Treiben auf dem (bis vor kurzem) jährlich stattfindenden Festival stets interessiert online verfolgt, die Besucher still ein bisschen beneidet, ohne je selber dort gewesen zu sein. Entweder gab es Terminkollisionen mit Urlaubsplänen, zu viel Arbeit im Job, kein Geld für ein Ticket, fehlende »Traute«, sich unter die coolen Internetpeople zu mischen oder andere Hinderungsgründe. Doch dieses Jahr hat es endlich geklappt.

Nach drei Tagen zwischen drei Hallen, sechs Bühnen, zahllosen parallel stattfindenden Panels und der Qual der Auswahl war mein Kopf am Freitag Abend nach dem Closing dann auch proppenvoll. Ich erlitt im besten Sinne täglich ein Stendhal-Syndrom, irgendwo zwischen dem Impuls, möglichst wenig zu verpassen und gleichzeitig meine Aufnahmefähigkeit nicht zu überfordern. Da ich tatsächlich ein eher schüchterner Mensch bin und zudem ständig von Bühne zu Bühne eilte, waren die Begegnungen mit »echten« Internetleuten zwar seltener als ich vorab gedacht hatte, aber das war letztlich auch gar nicht so schlimm, denn WANN HÄTTE ICH MIT DENEN DENN AUCH NOCH SPRECHEN SOLLEN? Immerhin habe ich ein gutes Dutzend von weitem erkannt, sei es als Teilnehmer auf einer der Stages oder kurz im Gewimmel der Besuchermenge.

Ich will auch gar keinen detaillierten Bericht verfassen, denn wozu sollte ich etwas nacherzählen, was andere Anwesende ebenfalls erlebt oder woanders im Netz bereits nachgelesen oder angeschaut haben? Und außerdem waren die Vielzahl der Themen, die Breite des Angebots und die Flut der Eindrücke viel zu groß, um sie hier auch nur annähernd überschaubar zusammenzufassen.

Es ging um Zukunftsforschung. Diversität. Resilienz. Ukrainekrieg. Lügenkultur. Artenschwund. Hasskommentare. Digitalpolitik. Klimakrise. Science Fiction. Transrechte. Deepfakes. Wissenschaftsjournalismus. Verschwörungserzählungen. Alkoholismus. Twitter. Moos. Computerspiele. KI. Mehrheitsmotivation. Robotermusik. Komplexitätsforschung. Insekten. Faschismusstrategien. Tortendiagramme. Mobilitätswende. Erschöpfung. Nachhaltigkeit. Toleranz. Improvisation. Dystopien. Markenbildung. Depressionen und – Darmwinde (und das sind nur die Stichworte zu den Sessions, bei denen ich zumindest teilweise anwesend war).

Was ich aber empfunden und mitgenommen habe: die re:publica 2022 war nicht nur eine der vielfältigsten, interessantesten und inspirierendsten Veranstaltungen, die ich jemals besucht habe sondern auch eine, die die Welt so sieht und lebt, wie ich es mir überall und jeden Tag auch »draußen« wünschen würde. Mit tausenden Menschen, die in ihrer Individualität und Würde respektiert werden, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Orientierung, ihrem Geschlecht und ihrem Erscheinungsbild. Mit Veranstaltern, die sich mit Herzblut engagieren, die ein eingeschworenes Team bilden, die eine Vision haben, die dieses Event in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausrichten. Mit Vortragenden, die – trotz aller teils deprimierenden Themen und düsteren Entwicklungstendenzen auf diesem Planeten und in diesen Zeiten – immer auch mögliche Strategien zum Gegensteuern und Handeln aufzeigten. Mit einem Publikum, das sich begeistern und mitreißen ließ, das neugierig ist, mentale Grenzen überwinden will, etwas dazulernen, konstruktiv diskutieren, andere Sichtweisen verstehen und annehmen kann, Kontroversen sachlich und zum gemeinsamen Besten überkommen will und an besseren, positiven Zukunftsvisionen mitwirken möchte. Und letztlich als ein Event, das Diversität akzeptiert und fördert, an Barrierefreiheit denkt, Nachhaltigkeit vorlebt, Besucher für fleischlose Ernährung interessieren möchte, Awareness aktiv und unterstützend fördert und mit der Kreativität und Power der »Netzgemeinde« und anderer Gleichgesinnter die Welt und die Gesellschaft inspirieren und voranbringen möchte.

Ich sage danke, re:publica, für diese anstrengenden, bunten, nachdenklichen, amüsanten, befruchtenden und hochinteressanten Tage und freue mich auf ein Wiedersehen – wann immer das sein wird. Vielleicht (und hoffentlich!) blows me the wind ja schon nächstes Jahr wieder hin.

Regensburgreise (II)

Vier Tage Regensburg sind schon wieder um. Wie immer bei solchen kompakten Auszeiten streiten im Kopf zwei Bewertungen miteinander – einerseits »Boah, es passiert jeden Tag so viel abseits der sonstigen Alltagsroutine, dass sich vier Tage anfühlen wie sonst vierzehn«, andererseits »Huch, ist ja schon wieder Zeit zum Abreisen, das ging eigentlich viel zu schnell vorbei«.

Nach drei Jahren Pause fühlte es sich gut an, mal wieder in dieser schönen Stadt zu Gast zu sein und die »Corona-Lücke« von zwei Jahren war gefühlt im Nu geschlossen, als sei ich tatsächlich letzte Pfingsten zum letzten Mal dort gewesen, anstatt 2018. Fast alle vertrauten und schon oft besuchten Orte – Biergärten, Restaurants, die Lieblingseisdiele, Geschäfte – haben die Pandemieflaute überlebt, etliche neue Locations haben eröffnet, ein sehr geschätztes Restaurant hat seine Preise dermaßen angezogen, dass es für mich leider unbesuchbar geworden ist – aber wenn die zahlungswillige Kundschaft das trägt (der Blick durchs Fenster am Pfingstsamstag ließ vermuten: nein), dann sei es.

Etwas enttäuscht war ich von einem anderen zuvor schon oft besuchten Restaurant, bei dem ich via OpenTable eine Reservierung vornahm: laut App hieß es »zur gewünschten Zeit noch vier Tische buchbar« und so belegte ich einen davon. Im Laufe des Tages kam dann jedoch ein Anruf: es hätte einen »Fehler« bei der Reservierung gegeben und man müsse die Reservierung entweder auf 18 Uhr vorverlegen oder stornieren. Damit fiel die Annahme in sich zusammen, ein Online-Reservierungstool würde verlässlich den realen Kapazitätsbestand der verfügbaren Tische abbilden, bedauerlicherweise in sich zusammen und wir mussten umdisponieren. Durch eine Wiedersehen (ebenfalls nach mehreren Jahren) mit alten Bekannten aus der «Alte-Musik-Szene« und eine spontane Verabredung zum Abendessen in einem großen Biergarten war dann aber die Stornolücke schnell gefüllt und so war es gut, wie es sich fügte.

Ich genoss es jeden Tag, dass wir diesmal Räder gemietet hatten. Das Wetter war größtenteils radeltauglich und so nutzte ich dies ausgiebig, teils zum Bummeln oder für Besorgungen in der Stadt, teils auf dem Weg zu den gebuchten Konzerten oder Biergärten/Restaurants und einmal sogar zu einer gemeinsamen Radtour zum Kulturmonolithen der »Walhalla«. Den Eintritt von 4,50 € in die Büstenhalle sparten wir uns, aber die schöne Radstrecke entlang der Donau und der dicht bewachsene, etwas abseits liegende steile Waldpfad zur Rückseite des von zahllosen Menschen aus allen Ländern umschwärmten Wagnertempels waren auch so Erlebnis genug.

Die beiden gebuchten Konzerte im Rahmen der »Tage Alter Musik«, beide in der Regensburger Dreieinigkeitskirche, brachten wie in vergangenen Jahren betagte Werke auf frische und neue Weise zu Gehör. Zum ersten Konzert (Nr. 3) am Samstag Vormittag heißt es in der Ankündigung:

»Obwohl wir von J.S. Bach mindestens fünf Konzerte für Solo-Orgel kennen, sind von ihm keine Orgelkonzerte mit Orchesterbegleitung überliefert. Der belgische Organist Bart Jacobs hat nun (…) mehrere solcher Konzerte rekonstruiert und er wird sie mit dem Brüsseler Barockorchester Les Muffatti auf der großen Bachorgel der Dreieinigkeitskirche aufführen. In 18 von seinen mehr als 200 Kantaten hat Bach die Orgel als obligates Soloinstrument in Arien, Chorpassagen und Sinfonias verwendet. Auf der Grundlage dieser Kantatensätze und diverser Instrumentalkonzerte erklingen die von Bart Jacobs rekonstruierten Orgelkonzerte, wie sie Bach 1725 anlässlich eines Konzerts in Dresden in der Sophienkirche auf der damals neuen Silbermann-Orgel aufgeführt haben könnte.«

www.tagealtermusik-regensburg.de

Ich war überrascht, wie gut Orgel (speziell das Instrument in dieser Kirche) und das von Streichern dominierte Orchester zusammenpassten. Der Klang der Saiteninstrumente schwirrte wie ein Schwarm Schmetterlinge über einem warmen, karamelligen Fundament, das die Orgel darunterlegte. Unerklärlicherweise war das Konzert nur etwa zur Hälfte besucht, aber auch das ließ sich zugunsten von mehr Abstandsmöglichkeiten zu den anderen Besuchern als Infektionsschutzpluspunkt verbuchen. Es gefiel.

Im zweiten Konzert (Nr. 15) am Montag Nachmittag erklang das selten zu hörende Blasintrument Zink, das interessanterweise nicht, wie der Name andeuten könnte, aus Metall, sondern aus Holz (früher auch Elfenbein) besteht. Dazu schreibt das Programm:

»Der französische Zinkvirtuose Adrien Mabire und sein mit erlesenen französischen Sängern und Instrumentalisten besetztes Ensemble La Guilde des Mercenaires (Die Söldnergilde) begeben sich in diesem Konzert auf eine Reise nach Venedig, um die musikalischen Wurzeln Giovanni Gabrielis zu erkunden, der hier 1557 geboren wurde, hier wirkte und hier 1612 starb. Dabei treffen sie auf die Entstehung einer typisch venezianischen Musizierpraxis, die Kunst der Mehrchörigkeit.«

www.tagealtermusik-regensburg.de

Mit viel Spielfreude und großem Können spielte sich das Ensemble durch das von geistlichen Texten geprägte, sehr melodische Programm und bekam am Ende großen Applaus. Die Zugabe fügte dann noch einen amüsanten Aspekt hinzu, indem die Sänger in zwei Gruppen geteilt wurde, die auf sehr gegensätzliche Weise einen in dieser Komposition angelegten »Sängerwettstreit« miteinander ausfochten. Das Etikett »Alte Musik« schreckt womöglich viele Menschen ab, sich derlei einmal anzuhören – so manches klingt nach fast 700 Jahren frischer als manche erst Jahrhunderte später komponierte Musik. Mein Alte-Musik-Anspieltipp: die »Sonata Representativa« (entstanden um 1670) des Komponisten Heinrich Ignaz Franz Biber – ein rund 10minütiges Potpourri kurzer Stücke, in denen mit historischen Instrumenten Tierstimmen von Nachtigall, Kuckuck, Frosch, Henne und Hahn, Wachtel und Katze imitiert werden. Sehr experimentell, witzig und überhaupt nicht »angestaubt«!

Eine kleine Überraschung ergab sich dann noch, als eine Message von zwei guten Berliner Freunden auf dem Handy eintraf »Viele Grüße aus Regensburg!«. Rein zufällig hatten die beiden (unabhängig von uns und dem Musikfestival) übers Wochenende dasselbe Reiseziel gewählt und so kam es rund 500 km südlich von unseren üblichen Treffpunkten in Berlin zu einem unerwarteten Wiedersehen.

Ansonsten waren die Tage in Regensburg von Freitag bis Montag ein angenehm sommerliches Puzzle aus Ausschlafen, ausgiebig Frühstücken, kleinen Wanderungen wie z.B. zur Spitze der Donauflussinsel Unterer Wöhrd, Stadtbummeln, Eisessen, reichlichem – aber nicht übermäßigem – Biergenuss und vielen kleinen Momenten die mich in diesen wenigen Tagen ausgesprochen reichlich mit Urlaubsgefühlen durchströmten. Und so half auch das leicht regnerische Wetter am Dienstag, dem Abreisetag, den Abschied etwas weniger wehmütig zu empfinden. Ich freue mich jetzt schon auf die nächste Regensburgreise – hoffentlich gleich wieder nächstes Jahr.

Die »blau-gelbe Stunde« auf dem Rückweg von der Leihfahrrad-Abgabe am Vorabend der Abreise.

Regensburgreise (I)

Dieses Jahr reise ich mit dem Mann nach drei Jahren mal wieder zu Pfingsten nach Regensburg. Anlass sind die Tage Alter Musik, 2008 waren wir zum ersten Mal hier und seither eigentlich fast jedes Jahr wieder, bis 2018. Im Jahr darauf war das Konzertprogramm nicht hinreichend interessant – und dann kam Corona …

Die Reise war recht weit im Voraus geplant und organisiert, oft genug hatten wir bei Anreise am Freitag vor Pfingsten Neun-Euro-Ticket-ähnliche Zustände in Fernzügen erlebt: dicht gedrängt stehende Fahrgäste in Wagen und vor Eingängen, angemahnte Zugräumung aufgrund von Überfüllung, Chaos am Bahnsteig nach Zugausfällen etc. Daher hatte ich diesmal Bonuspunkte von meinem Bahn-Account gegen ein Upgrade in die erste Klasse eingetauscht und schon im Februar gebucht. Als geübter Bahnfahrer kenne ich ein paar Tipps und Kniffe, um das Reisen – und vor allem das »Boarding« reibungsloser zu machen. Die uhrwerkpräzise Effizienz, mit der George Clooney zu Beginn des Films »Up in The Air« am Flughafen seinen Security-Check durchläuft, ist für mich ein Musterbeispiel für die geschmeidige Optimierung einer Reiseprozedur. Und so schaue ich vor Ankunft am Bahnhof stets noch einmal nach dem aktuellen Abfahrtgleis, nach Wagen- und SItznummer der Reservierung, nach der aktuellen Wagenreihung (!), dem richtigen Bahnsteig-Abschnitt und auf den Sitzplan des Wagens, um zu sehen, ob mein gebuchter Platz am vorderen oder hinteren Ende liegt. Nichts ist gleich zu Beginn einer Reise unerbaulicher, als nach Einstieg an der falschen Stelle das Gepäck müh- und langsam durch übervolle Wagen zu wuchten, bis man endlich am Platz ankommt. Bevorzugt reserviere ich meinen Platz gleich in der Nähe des Einstiegs oder neben einem ebenerdigen Gepäckregal, auch das spart Zeit, Kraft und Nerven. Steigt man in einer Stadt zu, in der es neben dem Hauptbahnhof vorher noch weitere Halte für den gebuchten Zug gibt, lohnt sich oft ein früheres Aufbrechen und der längere Weg, da an den Nebenhalten weniger Gedränge herrscht und der Zustieg deutlich angenehmer sein kann. Auch das kam bei dieser Reise zum Tragen und ich stieg am halbleeren Bahnsteig des Hamburger Bahnhofs Dammtor in meinen Zug ein.

Die Reise verlief zunächst angenehm, bis der Zug bei einem Halt irgendwo zwischen Hannover und Fulda aus unbekanntem Grund vor der Weiterfahrt gut 10 Minuten länger hielt. Als Umsteigezeit in den Folgezug ab Nürnberg waren 11 Minuten eingeplant und damit stand der reibungslose Reiseverlauf auf der Kippe. Holen wir die Verzögerung auf? Wird sie gar noch größer? Bleibt selbst bei »rechtzeitiger« Ankunft noch genug Zeit zum Umsteigen? An zweiter Stelle meiner verhasstesten Reiseunbillen ist das genötigte Rennenmüssen mit vollem Gepäck zwischen Zugumsteigegleisen oder Flughafenterminals. Niemand sollte aufgrund unverschuldeter Hast während unterwegs zum Schwitzen gezwungen werden, da verschwitztes Reisen selbst das nachfolgende Sitzen auf dem Weiterreiseplatz deutlich beinträchtigen kann.

Amüsiert hatte mich in dem Moment, als die Halteverzögerung eintrat, das kollektiver Verhalten der zumeist silberhaarigen Mitreisenden im 1.-Klasse-Wagen: Bei den Worten der Zugführerin »… wird sich die Weiterfahrt unseres Zuges leider noch ca. 10 Minuten verzögern …« war von etlichen Plätzen aus ein gleichzeitiges spöttisches Auflachen zu vernehmen. »Die Bahn kriegt’s mal wieder nicht gebacken«, vermittelte das Gelächter. Ironischerweise waren das genau dieselben Leute, die im weiteren Verlauf der Reise unübersehbare Probleme mit der Handhabung ihrer digitalen Endgeräte hatten und die plärrenden Alarmtöne beim Eintreffen von Messages und Anrufen bzw. plötzlich losschmetterndem Videocontent hektisch an Drucktasten und Touchdisplays herumfingerten, um dies abzustellen. Nicht gebacken kriegen es eben meist nur die Anderen.

Tatsächlich holte der Zug dann aber auf der folgenden Strecke die Verzögerung fast wieder ein. Zusammen mit der Durchsage, dass der Anschluss-Regionalexpress auf unseren knapp eintreffenden ICE warten würde, war somit ein spurtfreies Umsteigen gewährleistet und ich kam nahezu planmäßig am Nachmittag im sommerlich-warmen Regensburg an. Mein Reisetag war »Tag zwei« nach Inkrafttreten der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets, und das spürte man auch bereits im doppelstöckigen RE: das komplette Erdgeschoss war bevölkert von einer großen munteren Truppe Teenager, die mit Bier und Partymusik ihrem Ausflugsziel entgegenjohlten. Das Personal und alle weiteren Mitreisenden nahmen das muntere Getöse mit heiterer Gelassenheit hin und kurz vor dem Ausstieg knipste ein Fahrgast auf Bitten des jugendlichen Schwarms mit einem übergebenen Smartphone noch ein Gruppenbild in den voll besetzten Waggon hinein.

Eine positive Überraschung ergab sich dann noch vor dem Eintreffen in der Unterkunft: der getrennt angereiste Mann war bereits etwas früher dort eingetroffen und erfuhr beim Einchecken, dass das eigentlich gebuchte Apartment (ohne Angabe von Gründen) ein Update erfahren hatte und wir somit zuschlagsfrei im obersten Stockwerk die Dachgeschosswohnung beziehen durften. Viel zu groß für zwei eigentlich, mit drei Bädern, zwei Schlafzimmern, Veranda plus Dachterrasse, Wohnzimmer und offener Küche, aber – hey, gern genommen, nicht nachgefragt.

Nach Ankommen und kurzem Verschnaufen dann einige Besorgungen zur Selbstverpflegung erledigt, anschließend ein Ankunftsbierchen in einer neu entdeckten Craft-Beer-Bar und später das Abendessen im altstädtischen Innenhof eines vertrauten italienischen Restaurants genossen. Eine violinschlüsselschnörkelige Ranke im Innenhof hieß uns zu unserem anstehenden Musik-Event willkommen, die Luft war angenehm mild (wir haben für die Tage zwei Räder gemietet, die uns schnell und luftig überall hinbringen) und bis zum späten Abend konnte man jackenlos unterwegs sein. Endlich war es soweit: zum ersten Mal war der Sommer 2022 so richtig zu spüren.

Ausblick von der Upgrade-Dachterasse auf die Donau
Ausblick von der Upgrade-Dachterasse auf die Donau

Autoverkehr(t)

Am kommenden Mittwoch kommt der »Tankrabatt«. Anlässlich dessen habe ich ein Gedicht, das ich vor gut zwei Wochen schon mal auf Twitter gepostet hatte, nun auch hierhin übertragen und um zwei Strophen (#5 und #6) ergänzt.

Ich bin Minister für Verkehr,
weil ich mich nicht ums Klima scher’.
Ich wohn’ im Autolobbydarm,
hier steht die Zeit, s’ist weich und warm.

Verbrannter Treibstoff in der Luft –
das ist und bleibt der schönste Duft!
Freiheit mess’ ich in km/h,
Wer schneller rast, ist eher da.

Leitplanken sind mein Tellerrand,
drum bleiben wir ein Autoland!
Mich durchlaufen süße Schauer,
denk ich an uns’re Fahrzeugbauer.

Mobilität mit Rad und Bahn?
Für mich ist das ein irrer Wahn.
Verkehrswende? Wohin? Wieso?
Mein Navi-Ziel heißt »Status quo«.

Wer reichlich tankt, bekommt Rabatt.
Den Ölkonzernen, nimmersatt,
füll’ ich mit Zuschüssen die Taschen.
Ich hab’ Ideen, die überraschen!

Von Schuld an zu viel CO₂
sprech ich Fossilverbrenner frei.
Willst du den Klimawandel hemmen,
verzichte halt aufs Instagrammen.

Milliarden pump’ ich ins Bewahr’n.
Wer Zukunft will, soll Auto fahr’n!
Sportboliden! SUVs!
Vier Räder hat das Paradies!

Die Erde heizt sich weiter auf,
ich sponsor’ den Verbrennerkauf.
Der Acker dörrt, es steigt das Meer,
ich bin Minister für Verkehr.


Photo by Shot On DJI on Unsplash

Flashback

Wenn ein Solist zusammen mit einem Orchester in einem klassischen Konzert auftritt, gibt es nach dem eigentlichen Werk bei hinreichend stürmischem Applaus gern eine Zugabe des Solisten oder der Solistin. Ich mag diese Zugaben, denn sie sind oft ganz anders als das zuvor dargebotene Stück. Das vom Veranstalter für den Konzerttermin plakatierte Programm soll die Zuschauer in den Konzertsaal locken, man spielt meist klassische Gassenhauer allseits bekannter Komponisten, in großen Lettern prangen Orchester, Dirigenten und Solisten auf den Aushängen, die Karten müssen raus, das Publikum rein. Das ist auch völlig legitim, es muss sich ja schließlich rentieren und gegen die zu Gehör gebrachten populären Kompositionen, so oft sie auch auf dem Programm stehen, kann man eigentlich auch nichts sagen. Evergreens halt: Bach, Beethoven, Mozart, Tschaikowski.

Die Zugaben hingegen sucht der Solist oder die Solistin selber aus. Vielleicht gibt es zu ihnen eine persönliche Verbindung, sie stehen nicht vorab auf Postern und Plakaten. Vielleicht sind es Stücke, die ihm/ihr etwas bedeuten, Lieblingskomponisten oder Werke mit Bezug zur eigenen Lebensgeschichte. Ich habe oft das Gefühl, dass das musikalische Band zwischen Klassik-Publikum und Solist*in während einer Zugabe intimer und persönlicher wird als beim großen Auftritt davor.

Genauso ging es mir auch kürzlich bei einem Konzert Ende April in der Berliner Philharmonie. Auf dem Programm mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Hannu Lintu standen Bach, Lutosławski und als Hauptwerk das bekannte Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18 von Rachmaninow. Schöne Stücke, famos gespielt, gerne gehört. Der begeisterte Applaus holte den Solisten, den usbekischen Pianisten Behzod Abduraimov, mehrfach zurück auf die Bühne und schließlich nahm er erneut auf dem Klavierhocker Platz, um eine Zugabe zu spielen.

Nach den ersten Noten bekam ich Gänsehaut und ich merkte, dass ich diese Gänsehaut, zu genau diesem Stück schon einmal hatte und ich wusste auch sofort, wann und wo. Es ist Jahrzehnte her, und am Klavier saß damals C.

Ich hatte C während meines Grundwehrdienstes bei den Sanitätern als »Bundeswehrkumpel« kennengelernt. Er war ein netter Typ mit einem feinen Sinn für Humor und spielte zwei Instrumente: Fagott und Klavier. In der Kaserne hatte er die natürlich nicht dabei, aber während des Kennenlernens war es öfter ein Thema, dass er Musik liebte und auch selbst spielte. Für ihn war klar: nach dem Wehrdienst wollte er Berufsmusiker werden, am liebsten in einem Orchester.

Während dieser Zeit lud C einige Freunde aus unserer Sani-Gruppe, darunter auch mich, zu seiner Geburtstagsfeier in sein Elternhaus ein. Die Feier war amüsant und gesellig, man redete, lachte, trank Bier und Wein und ich genoss es einmal mehr, nicht nur während solcher Feiern, sondern auch während der damaligen Dienstzeiten, dass ich mit dem »Abijahrgang« zu Beginn des Sommers eingezogen worden war. Die jungen Mitsoldaten in meiner Einheit waren (vielleicht auch deshalb) allesamt sehr nette und umgängliche junge Männer, glücklicherweise ganz anders als die oft etwas grober geschnitzten Rekruten, von deren destruktiven Exzessen bei Partys oder auf Zugreisen man bisweilen öfter Unschönes zu lesen bekommt.

In Cs Zimmer an der Wand stand das erwähnte Klavier – und wenn der Gastgeber einer Feier Musiker ist, fordert die Gästeschaft natürlich unweigerlich irgendwann eine Kostprobe des musikalischen Könnens. So war es auch an diesem Abend und nach etwas gespieltem sich-Zieren ließ sich C breitschlagen und intonierte »La Campanella« von Liszt – dasselbe Stück, das nun der Klaviersolist als Zugabe im Konzertsaal der Philharmonie ausgesucht hatte. Es hat ein wunderschönes changierendes, flirrend-leichtes Thema und ich konnte es nicht fassen, wie jemand, der direkt vor mir am Klavier saß, diesem schweren massiven Instrument allein mit der Geschicklichkeit seiner Hände solche zauberhaften Klänge entlocken konnte. Hier hatte sie ihren Ursprung: die Gänsehaut, die ich gerade wieder verspürt hatte und allen der damals mit mir applaudierenden Partygäste war klar, dass hier gerade ein junger Künstler mit erheblichem Talent gespielt hatte, einer, der eine glänzende Karriere als Orchestermusiker vor sich hatte.

C hat tatsächlich nach dem Ende der Bundeswehrzeit mehrere Versuche unternommen, sich bei Musikhochschulen zu bewerben, um seinen Traum zu verwirklichen. Nach mehreren gescheiterten Aufnahmeprüfungen gab er das Vorhaben dann auf und studierte Nachrichtentechnik. Ich habe ihn nach der Bundeswehrzeit dann irgendwann aus den Augen verloren.

Und an diesen geplatzten Traum musste ich denken, mit meiner Gänsehaut, während der wunderschönen Zugabe von Behzod Abduraimov, neulich in Berlin.

Sauerteig-Schokobrot mit Haselnüssen

Zutaten
(für einen Laib von ca. 1 kg)

25 g aktiver Roggensauerteig (Starter)
430 g Weizenmehl 550
130 g Roggenvollkornmehl
40 g Backkakao
1 gehäufter EL dunkles Roggenmalz (»Färbemalz«)
2 EL Ahornsirup (oder andere Süße wie Zucker, Honig, Agavendicksaft etc.)
etwa 420 ml handwarmes Wasser
125 g Haselnüsse
1 gestrichener EL Salz

Das Wasser in eine große Rührschüssel geben und den Sauerteig darin auflösen. Die abgemessenen Mengen Mehl, Kakao, Malz und Salz in einer anderen Schüssel trocken miteinander vermengen und die Mischung zu der Sauerteigsuspension geben. Die Zutaten ca. 5 Minuten lang mit einem Handrührer (Knethaken) zu einem homogenen Teig verrühren, zum Schluss kommen die Haselnüsse dazu und werden kurz untergerührt.

Jetzt muss der Teig 18–20 Stunden (je nach Temperatur und Teigaktivität) abgedeckt bei Zimmertemperatur reifen und aufgehen, am Besten vor Zugluft geschützt. Richtig gut wird das Brot, wenn du den Teig während dieser Zeit ca. 3–4 Mal dehnst und faltest.

Nach Ende der Gehzeit (»Stockgare«) gibst du den aufgegangenen Teig vorsichtig auf eine bemehlte Arbeitsfläche und formst ihn zu einem runden Laib, idealerweise mit der Technik des sogenannten »Rundwirkens«.

Anschließend wird der geformte Laib außen gut bemehlt und mit der zuvor obenliegenden glatteren Seite nach unten in einen runden Gärkorb gelegt. Das Ganze wird mit einem Teigtuch oder einer Topfhaube abgedeckt und darf für weitere 1–3 Stunden gehen, bis der Teigling etwa auf die gut anderthalbfache Größe aufgegangen ist (»Stückgare« oder »Endgare«). Wenn du unsicher bist, kannst du auch testen, ob der Laib reif genug zum Backen ist.

Rechtzeitig vorher solltest du den Ofen auf 250°C vorheizen, falls du einen Pizzastein oder Backstein (Schamottstein) besitzt der im Ofen mit vorheizen kann, um so besser.

Hat der Ofen die Endtemperatur erreicht, stürzt Du den Teig aus dem Gärkorb auf ein Stück Backpapier und ziehst es damit auf den Backstein oder das Backblech (beim Backstein kannst du das Backpapier weglassen) und ritzt den gestürzten Laib auf der Oberseite mit einem superscharfen Messer kreuzweise ein. Das alles muss relativ schnell gehen – verbrenne dich nicht, am besten trage Ofenhandschuhe!

Um Dampf zu erzeugen, kippst du ein halbes Glas Wasser (ca. 100–150 ml) auf den heißen Ofenboden. Die Ofenklappe sofort schließen und die Temperatur auf 200 °C reduzieren. Das Brot für 30 Minuten backen. Jetzt kannst du den Ofen kurz öffnen, um den Dampf abzulassen und bäckst das Brot bei ca. 180 °C noch etwa 25 Minuten weiter.

Das Brot ist fertig, wenn es eine schöne Kruste hat und sich das Klopfen auf die Unterseite hohl anhört.

Fotos: © formschub