Autor: ProstetnikVogonJeltz

Abflug

Wir befinden uns im Check-In-Bereich des Flughafens einer deutschen Großstadt. Ein Passagier wartet in der Schlange vor einem Schalter der Billig-Fluglinie »Air Dumping« auf seine Abfertigung.

Serviceperson: Der Nächste, bitte!

Passagier (tritt vor zum Check-In-Schalter): Hallo. Ich möchte für den Flug nach Brimborien einchecken.

Serviceperson: Dann bräuchte ich bitte Ihren Pass oder Ausweis und Ihren ausgedruckten Online-Check-In-Beleg. Sie haben ihn doch ausgedruckt und bei sich? Ansonsten muss ich Ihnen 30 Euro Ausdruckgebühr in Rechnung stellen …

Passagier: Jaja, hab ich … (legt die Dokumente auf den Schalter)

Serviceperson (tippt): Möchten Sie Gepäck aufgeben? Oder reisen Sie nur mit Handgepäck?

Passagier: Ja, meinen Koffer hier, bitte.

Serviceperson (tippt): Sie haben ihn hoffentlich bei der Onlinebuchung eingecheckt? Wenn nicht, müssen Sie ihn jetzt einchecken, das kann teuer werden. Hier am Schalter fallen für 15 kg Gepäck 60 Euro und für 20 kg …

Passagier (unterbricht): Ja, habe ich. 15 kg. Hier. (stellt seinen Koffer auf das Fließband)

Serviceperson (tippt und fertigt beflissen den Koffer ab): Ihr Handgepäck darf höchstens 10 kg wiegen und muss in das Gestell dort passen (zeigt hinter den Passagier), ansonsten müssen Sie es aufgeben. Das kostet allerdings richtig extra!

Passagier: Jaja, nein, ich habe nur diese kleine Tasche …

Serviceperson (tippt): Fein. Wann haben Sie vor diesem Flug die letzte Mahlzeit zu sich genommen?

Passagier: Wie bitte?

Serviceperson: Ja nun, die eingenommenen Speisen der Fluggäste sind auch Gewicht, das läppert sich alles zusammen, wir kriegen unser Kerosin ja nun auch weiß Gott nicht geschenkt. Also?

Passagier (murmelt): Darf ja wohl nicht wahr sein, das. (Zur Serviceperson): Heute morgen, also … äh, vor drei Stunden, ein Milchbrötchen und eine Tasse Pfefferminztee. Mit etwas Butter … also – das Brötchen …

Serviceperson (tippt): Schon gut, das geht in Ordnung. Stuhlgang?

Passagier (entgeistert): Was???

Serviceperson: Ist ja nicht so, dass das nichts wiegt. Der menschliche Darm ist insgesamt fast acht Meter lang, da passt einiges rein. Insbesondere bei denjenigen, die zu Obstipation …

Passagier (unterbricht ungehalten): Ich verstehe schon. Gestern abend, vor dem Zubettgehen. Und vorhin war ich klein, falls Sie das auch interessiert.

Serviceperson (amüsiert): Sie Fuchs, das hätte ich jetzt als Nächstes gefragt.

Passagier: War’s das jetzt? Kann ich dann …

Serviceperson (streng): Einen Moment Geduld müssen Sie schon noch haben, ich bemühe mich hier ja wirklich, alles so schnell wie möglich zu organisieren, aber ich habe auch nur zwei Hände. Ihre Brille, bitte.

Passagier: Was ist denn jetzt noch mit meiner Brille?

Serviceperson: Sie glauben gar nicht, was uns der Trend mit diesen affigen Hipsterbrillen letztes Jahr gekostet hat. Klobige, dicke Horngestelle und dann womöglich noch die dicken Gläser mit sechs Dioptrien drin. Bei 130 Passagieren kommen da einige Kilo zusammen … das ist auch Gewicht. Darf ich? (hält die Hand auf)

Passagier (kopfschüttelnd): Ich glaube es nicht, aber in Gottes Namen … hier. (gibt ihr die Brille)

Serviceperson (legt die Brille auf eine kleine Tischwaage): 39 Gramm, haarscharf (lacht). Ab 40 Gramm hätte ich Ihnen 10 Euro Optikzuschlag berechnen müssen, Sie Glückspilz. (gibt ihm die Brille zurück)

Passagier (spöttisch): Na super. Noch was?

Serviceperson (tippt): Zwei winzige Kleinigkeiten. Würden Sie bitte noch kurz den Inhalt Ihrer Hosen- und Jackentaschen hier in die Waagschale legen? Sie glauben gar nicht, was manche Leute alles am Handgepäck vorbeischmuggeln … ich könnte Ihnen da Geschichten erzählen …

Passagier: Nee, das nicht auch noch. Unser Interview hier reicht mir auch so! (knallt die Sachen auf die Waage)

Serviceperson: Nanana, nicht so ungehalten. Ich war doch die ganze Zeit freundlich zu Ihnen, ich mache hier schließlich auch nur meinen Job. Sie wollen doch nicht, dass ich meine Kollegen von der Flughafensicherheit rufe? (liest die Anzeige der Waage ab und tippt) 320 Gramm, das macht dann noch einmal 6 Euro Pocket-Upgrade …

Passagier (schnaubt leise): Pocket-Upgrade …

Serviceperson (tippt): Na also. Und nicht, dass Sie denken, wir achten nur bei unseren Passagieren auf sowas. Unsere Piloten zum Beispiel bekommen eine besondere Diät, jedes Pfund auf den Rippen kostet wertvollen Treibstoff. Und in den Aufenthaltsräumen für das Begleitpersonal mischen wir der Atemluft ein Quentchen Helium bei, selbst das macht sich auf Langstreckenflügen bemerkbar … dürfte ich Ihren Becher kurz sehen?

Passagier: Bitte?

Serviceperson: Laut Absatz 44.1 b unserer Beförderungsbedingungen sind die Passagiere verpflichtet, für die On-Board-Verpflegung mit Getränken ein eigenes, sauberes Trinkgefäß mitzuführen und nach dem Flug wieder mit sich zu nehmen. Wir sind schließlich eine Airline und kein Fünf-Sterne-Restaurant. Trotzdem bieten wir unseren Kunden natürlich an Bord ein reichhaltiges Angebot an Heiß- und Kaltgetränken ab 8 Euro, Bier, Wein und Spirituosen sind natürlich zuschlagpflichtig.

Passagier (leise, lethargisch): Zuschlag … zuschlagen … jaaa! Äh – ich habe keinen Becher …

Serviceperson (heiter): Das macht ü-ber-haupt nichts. Sie können an Bord Polypropylen-Mugs mit unserem Airline-Logo für nur 5 Euro käuflich erwerben. Den müssen Sie allerdings am Zielort mit von Bord nehmen, sonst wird er Ihrem Platz zugeordnet und kostenpflichtig an Ihre Heimatadresse geschickt. Schließlich haben Sie ja dafür bezahlt!

Passagier (beherrscht): Bezahlt. Ja. Bezahlt. Ich habe das Gefühl, das ist das Einzige, was ich seit zehn Minuten tue: bezahlen. Dies kostet extra, das kostet extra, hier ein Aufschlag, da eine Gebühr. Ist ja unglaublich! Und Sie nennen sich »Billig-Airline«, ich fasse es nicht! Ein Wunder, dass unser Gespräch hier kostenlos ist.

Serviceperson: Sagen Sie das nicht, es gibt Überlegungen … aber wir sollten wirklich zum Ende kommen, auch, weil Sie so ungehalten sind. Was glauben Sie denn, warum wir unsere Flüge so günstig anbieten können? Weil wir uns jeden Service quasi vom Munde absparen! Hocheffizient ist das. Hier, Ihre Bordkarte. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug. Trotz allem.

Passagier: (grummelt und entfernt sich vom Schalter)

Flughafenlautsprecher (gongt): Achtung, eine Durchsage für die Passagiere des Fluges WTF 327 nach Brimborien. Aufgrund technischer Probleme mit der Maschine am Flughafen des letzten Landepunktes wird sich die Bereitstellung der Maschine auf unbestimmte Zeit verzögern. Wir bitten die Passagiere, sich in der Passenger Lounge von Air Dumping einzufinden, wo sie gegen eine geringe Eintritts- und Verpflegungsgebühr …

(der Rest der Ansage geht im Lärm eines tobenden Passagiers unter, der versucht, mit seinem Handgepäck laut schreiend den Lautsprecher von der Decke der Abflughalle zu werfen und augenblicklich in ein Handgemenge mit zwei vierschrötigen Sicherheitsleuten verwickelt wird)


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unschlAGBar

Nehmen wir mal an, jemand führe für zwei Wochen in den Urlaub. Und nehmen wir mal an, derjenige kümmerte sich derart vorausschauend darum, was in dieser Zeit mit seiner Post geschieht, dass er der Deutschen Post für gut 8 Euro einen Postlagerauftrag für den Zeitraum seiner Abwesenheit erteilte.

Nehmen wir ferner an, der erste Tag nach der Rückkehr des Postkunden sei ein wenig regnerisch, er habe noch einen letzten Tag frei und machte es sich zu Hause gemütlich. Gehen wir davon aus, dass den ganzen Tag niemand an der Haustüre klingele, der Postbote etwa, weil die im Urlaub aufgelaufene Menge an Sendungen und abonnierten Zeitschriften das Fassungsvermögen des Briefkastens sprengten. Stellen wir uns weiterhin vor, der Urlaubsrückkehrer ginge nach einiger Zeit in den Hausflur zum Briefkasten und fände dort den auf dem untenstehenden Foto dokumentierten, entfernt an Pappmaché erinnenden Klumpen bedruckten Papiers in seinem Briefkasten vor: klatschnass, gewellt, zerknickt und durch die … sagen wir »energische« Einbringung der ambitionierten Postmenge in den Briefkasten teilweise zerfetzt.

Wir könnten sodann sicherlich nachvollziehen, dass der Empfänger sich erboste und bei seinem Dienstleister, der Deutschen Post, schriftlich Beschwerde gegen die Misshandlung seiner Zustellung vorbrächte.

Doch können wir uns tatsächlich vorstellen, dass jener Dienstleister in seiner Antwort einen Passus aus dessen AGB zitierte, der besagte, dass keine Verantwortung für Schäden übernommen werde, die »durch nicht ordnungsgemäßes Behandeln von Brief- und briefähnlichen Sendungen ohne Zusatzleistungen« entstehen? Wohlgemerkt: Schäden, die auf das Konto von Post-Mitarbeitern (aka Postboten, Briefträger, Zusteller, Kuriere, also für die bestimmungsgemäße Zustellung von Brief- und Warensendungen eingestellte und/oder angelernte Personen) gehen. Oder, kurz gesagt, reicht unsere Vorstellung so weit, dass ein Postzusteller nach Belieben mit ordnungsgemäß an uns frankierten Sendungen umspringt, es sei denn, man bezahlt zusätzlich eine Aber-bitte-mach-meine-Post-nicht-kaputt-Gebühr?

Mein Vorstellungsvermögen zumindest reicht dafür nicht aus. Ich müsste mich dafür entweder in ein juristisches Fantasialand begeben, wo in den AGB stehen kann, dass eine Dienstleistung auch komplett entgegen ihrem Ziel und Zweck ausgeübt werden kann – oder aber in ein krudes Universum, in dem man quasi ein extra »Schutzgeld« an einen verschlagenen gelben Riesen zahlen muss, damit Briefen unterwegs ja nichts passiert.

Aber hier? In unserer Realität? Da kann man sich sowas nicht mal ausdenken.

Science Fiction

Bildmontage: formschub
Photo of TV Set: © Stefan on flickr | Licensed under Creative Commons

Wenn eine Technologie wie ein weltumspannendes Computernetz, die wenige Jahrzehnte zuvor noch unmöglich schien, erst einmal vorhanden ist, wird sie bald wie selbstverständlich hingenommen. Das betrifft sowohl ihre Vor- als auch ihre Nachteile. Doch wie wäre es, wenn ein Ereignis wie die NSA-Affäre ganz plötzlich in den Alltag der Vergangenheit eingebrochen wäre, als es das Internet noch gar nicht gab? Verkündet in einer der Hauptnachrichtensendungen des deutschen Fernsehens – damals, vor 35 Jahren …*

»Washington. Wie die britische Zeitung ,Guardian’ berichtet, verfügt der US-Geheimdienst NSA über eine neuartige Technologie, die es ermöglicht, die Menschen nahezu aller Nationen weltweit in kaum vorstellbarem Ausmaß zu überwachen. Die Informationen und Dokumente, welche dies belegen, wurden der Redaktion von Edward Snowden, einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes zugespielt, der die Unterlagen zuvor gesammelt und an sich gebracht hatte.

Mit der Veröffentlichung will der sogenannte ,Whistleblower’ die Aktionen des bislang streng geheim gehaltenen Überwachungsapparates gegenüber der Weltöffentlichkeit enthüllen und die damit verbundenen nationalen und internationalen Rechts- und Verfassungsbrüche anprangern. Die Überwachung, so Snowden, werde von den USA mit einer effizienteren Bekämpfung des internationalen Terrorismus begründet und umfasse dabei nicht nur die elektronische Kommunikation, sondern auch die Aufenthaltsorte der Menschen sowie Datum, Zeit und Inhalte der ausgetauschten Nachrichten. Dies betreffe sämtliche Bürger – auch Milliarden Privatpersonen seien von der elektronischen Erfassung betroffen, da jedes Verdachtsmoment für die Behörden von Bedeutung sei.

Die amerikanische Regierung hat bisher zu den Enthüllungen jede Stellungnahme verweigert. Wo sich Edward Snowden derzeit aufhält, ist nicht bekannt, Geheimdienstexperten vermuten jedoch, dass der Informant auf der Suche nach einem sicheren Drittland ist, in dem er Asyl beantragen kann, ohne an die USA ausgeliefert zu werden. Die Bundesregierung, so ein Sprecher, wolle sich zu den Presseberichten des ,Guardian’ erst äußern, wenn die Behauptungen sich als stichhaltig herausstellten. In ersten Reaktionen zeigten sich internationale Bürgerrechtler sowohl teilweise ungläubig als auch entrüstet. Ein deutscher Verfassungsrechtler bezeichnete die Presseberichte als ,Science Fiction’ – es sei weder rechtlich und ökonomisch noch technisch plausibel, dass ein Geheimdienst – selbst der einer Großmacht wie der USA – eine derartige Infrastruktur in Betrieb nehme und nutze.«

(Tagesschau, Dienstag 06.06.1978)

* Ich weiß, dass der SPIEGEL 1983 bereits ausführlich über die Abhöraktionen der USA berichtete. Doch der damalige Artikel fokussierte sich m.E. eher noch auf »ausgewählte« Zielgruppen innerhalb der Bevölkerung, nicht auf eine umfassende Ausspähung ganzer Nationen und ihrer Bürger.

Schnösel

Ich habe extra fast 24 Stunden lang gewartet, ehe ich diesen Blogbeitrag schrieb, um mich wieder etwas abzuregen. Ein bisschen habe ich mich auch wieder abgeregt, aber der weißglühende Kern meines Zorns glüht unvermindert hell.

Wieder einmal durfte ich feststellen, dass der für mich einzige Grund, die schöne Stadt Hamburg kalt und innig zu hassen, von einer bestimmten Kaste Menschen repräsentiert wird, die in einigen Stadtteilen geballt (was auch andere Hamburger bestätigen können), im Rest der Stadt tröstlicherweise seltener anzutreffen ist. Nennen wir sie »Schnösel« – obgleich diese putzige Klassifizierung nur bedingt geeignet ist, alles Negative, was diese Wohstandsprimaten charakterisiert, in einem Wort wiederzugeben. Oft, nicht immer, begegnet man ihnen im Bundle mit glänzenden Luxusboliden, mal als SUV, mal als Limousine oder Edelcoupé, doch auch zu Fuß kreuzt man ihren Weg. Ihnen gehört die Stadt, sie gebieten in weitem Radius über den Boden, auf dem sie wandeln und den Luftraum, der sie umgibt. Ihr Zepter ist Arroganz, ihre Krone selbstgefällig zur Schau getragener Wohlstand. Sie haben es geschafft. Oft auch nur, mich anzuwidern.

Ich habe nichts gegen wohlhabende Menschen, ich habe selbst Bekannte, die sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen müssen. Aber sie sind allesamt auf dem Teppich geblieben und es bleibt viel Mögenswertes übrig, wenn man ihren Besitz, ihren Status, ihre Position und ihren Erfolg von ihrer Persönlichkeit abzieht. Doch zurück zum Thema.

Der Grund meiner jüngsten Échauffage ereignete sich, als ich meinen Freund vom Hamburger Hauptbahnhof abholte. Ich hatte mein Auto in einer Parkbox vor dem Ohnsorg-Theater abgestellt, wir beluden das Auto mit einigem Reisegepäck und setzten uns hinein, um zu einer zeitlich fixierten Verabredung aufzubrechen. Ich hatte kaum den Motor gestartet, als ein Porsche Cayenne majestätisch vor den Kühler meines Twingo rollte und dort zum Stehen kam. »Naja«, dachte ich im ersten Moment, »vielleicht hat er ja nicht gesehen, dass mein Wagen besetzt ist und wir im Aufbruch sind« – und betätigte die Lichthupe. Ein glasiger Blick des Fahrers traf mich, er zog den Zündschlüssel ab und verließ sein Fahrzeug. Nun zog ich das »Licht« von der »Lichthupe« ab und gab ihm ein akustisches Signal. Die einzige Reaktion war eine beschwichtigende Handbewegung, die gemeinhin mit »jetzt hab dich mal nicht so und warte gefälligst« zu übersetzen ist. Inzwischen war auch der Grund der Platzblockade vor Ort eingetroffen: eine mit allerlei Geschmeide behangene Dame nebst Kleinkind, die sich nun anschickte, Kind, Kegel und Klappbuggy zum Verladen in den Offroadsimulator bereit zu machen.

Da es zeitlich etwas pressierte und wir nun auch beide in Wallung kamen, betätigte ich – diesmal wiederholt – die Hupe. Monsieur Hybris setzte die Zustiegsassistenz für seine Begleiterin ungerührt fort. Erst als sich mein Freund aus dem Auto begab und mit deutlich erhobener Stimme die Wegfahrt anmahnte und ein Anrufen der Verkehrsordnungskräfte avisierte (Madame Hybris wurde durch diese Ankündigung zu einem theatralischen Lachen inspiriert), stieg der Schnösel in sein Edelkettcar und machte die Ausfahrt frei.

Bin ich zu empfindlich, wenn ich mich frage: was denken sich diese Menschen dabei? Wandelnde Weltennabel, denen alles und jeder zu weichen hat? Es gibt nur wenige Situationen, in denen ich den Drang verspüre, zu sagen »ich könnte kotzen« – diese war eine davon. Und mein Gegenüber hätte mir sehr gern dazu sein Seitenfenster öffnen dürfen.


Foto: formschub

Konsonantenaufläufe

Ich liebe die deutsche Sprache. In ihrem Wortschatz, der geschätzt 300.000 bis 500.000 Wörter umfasst, finden sich so viele wunderbare Wörter, die allein beim Aussprechen großen Spaß machen, wie »Karfunkelstein«, »Ligusterhecke« oder »Bordüre«. Leider nutzt man sie im Alltag sehr selten – aber sie sind da. Doch es gibt viele famose und zu Unrecht abseits stehende Wörter, die sich im Alltag prima unterbringen lassen, wie »derlei«, »just«, »indes«, »obgleich«, »Rabauke«, »Plunder« oder »blümerant« – wer noch mehr kennenlernen will, der schaue gerne hier.

Vor kurzem huschte ein Videolink (s.u.) durchs Netz, der die vermeintliche Härte der deutschen Sprache durch den Kakao zog. Das ist legitim. Wörter wie »Kraftfahrzeug« oder »Herztransplantation« klingen tatsächlich eher nach Sandpapier als nach Samt. Aber dafür haben wir wunderschöne Konsonantenaufläufe in vielen Wörtern und Wortkombinationen, das ist doch auch was Schönes. In einem meiner heutigen Tweets wies ich auf einen davon hin.

Hier sind noch ein paar:

  • rschb in Arschbombe
  • ngstz in Angstzustände
  • rbstsch in Herbstschönheit
  • nzschr in Frequenzschranke
  • ngspfr in Lieblingspfründe
  • ngstschw in Angstschweiß

Ergänzungen? Anregungen? Mögt Ihr die deutsche Sprache? Habt Ihr ein (aus der Mode gekommenes) Lieblingswort? Benutzt Ihr »vergessene« Wörter im Alltag? Ärgert oder stört Euch etwas an Deutsch? Dann freue ich mich auf Eure Kommentare.

Gedanken zur DateNSAmmlung

Wenn es etwas gibt, was das Internet bei mir bewirkt hat, seit ich es (seit 1997) nutze, dann, dass es mich zu einem politisch sehr viel interessierteren Menschen gemacht hat. In prä-online-Zeiten gab es nur die Printmedien und das Fernsehen, um sich politisch zu informieren. Eine oder mehrere Zeitungen oder Magazine regelmäßig, womöglich täglich zu lesen, brauchte viel Zeit, kostete einiges an Geld und das Verfolgen tiefergehender Rundfunk- oder Fernsehnachrichten erforderte die Anpassung an den Programmplan der TV-Sender oder das mühsame Aufzeichnen und spätere Schauen. Zumindest mein Informationsgrad blieb daher lange relativ oberflächlich.

Inzwischen, da ich online Nachrichten und Seiten abonnieren kann, mich selektiv zu einzelnen Themen informieren (lassen) kann, wuchs auch mein politisches Bewusstsein. Ich versuche, Zusammenhänge zu begreifen, Themen tiefer zu recherchieren, kann mir leichter eine möglichst fundierte Meinung bilden und anschließend durch die Teilnahme an (konstruktiven) Diskussionen oder Demonstrationen, durch das Teilen und Weiterverbreiten von Links oder durch das Zeichnen von Petitionen Einfluss auf die politische Meinungsbildung und Entwicklung nehmen. Einfach, weil es mir durch das Internet leichter gemacht wird, dies zu tun. Das ist eine tolle Sache.

Das politische Thema, das natürlich auch mich in den letzten Wochen am meisten beschäftigt hat, ist die Abhörtätigkeit der NSA und anderer westlicher Geheimdienste, inklusive des britischen GCHQ und des deutschen BND. Ich verwende bewusst nicht die Begriffe PRISM und TEMPORA, da sich ja inzwischen herausgestellt hat, dass diese nur kleine Module darstellen in dem viel größeren Konstrukt, das dahinterliegt und der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt ist.

Ich finde es gut, dass dieses Thema öffentlich geworden ist und auch in den On- und Offline-Medien sehr fundiert erörtert und kommentiert wird. Ich finde es gut, dass (hoffentlich immer mehr) Menschen darüber diskutieren und diesen Aktionen – möglichst über Ländergrenzen hinaus – maßvolle Grenzen setzen wollen. Ich bin der Meinung, bei der Massenerfassung dieser Daten handelt sich um einen Grundrechtsbruch und um die gezielte Umkehrung der Unschuldsvermutung. Und ich finde es beschämend, wie die meisten Politiker dieser und früherer Regierungsparteien darauf reagieren, bin extrem enttäuscht von der Politik insgesamt und den sogenannten »Volksvertretern«, die diesen Titel jeden Tag unangemessener erscheinen lassen, was mir natürlich auch die Entscheidung bei der kommenden Bundestagswahl (und: ja, ich werde wählen gehen!) nicht einfacher macht. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Was Edward Snowden tat, indem er diese Programme öffentlich machte, hat meinen Respekt. Er setzt sich damit als sehr junger Mensch einer Verfolgung und einem Risiko aus, die geeignet sind, sein gesamtes weiteres Leben zu beeinträchtigen oder es sogar zu verlieren. Ich hoffe, dass die Dinge, die er damit in Bewegung gesetzt hat, den Menschen, ihrer Freiheit und ihren Grundrechten zugute kommen werden.

Warum schreibe ich diesen Blogartikel? Sicher nicht, weil noch zu wenig über die Spähprogramme im Internet steht. Ich habe vielmehr das Gefühl, die öffentliche Diskussion sollte über das Statement »wir wollen nicht a) länger und b) in diesem Ausmaß überwacht werden« hinausgehen. Es geht auch um weit mehr als darum, ob wir »etwas zu verbergen haben« oder nicht.


1. Wir sind euphorisch und naiv
Einer unter den Artikeln, die mich in den letzten Tagen am nachdenklichsten gemacht haben, war ein Gastbeitrag des ehemaligen BND-Vizechefs Rudolf G. Adam in der Süddeutschen Zeitung. Dort heißt es:

Das Internet entstand aus dem Bedürfnis des US-Militärs, ein Kommunikationssystem zu entwickeln, das auch unter chaotischen Bedingungen sicher funktioniert. Die erste Naivität besteht nun darin zu glauben, das Militär habe sein Interesse am Internet verloren, seitdem es zur zivilen Nutzung freigegeben worden ist.

Da ist was dran. Die Euphorie über die Möglichkeiten und Chancen, die das Netz bietet, können durchaus dazu beigetragen haben, dass wir Netznutzer die Wurzeln des World Wide Web vergessen haben und es (ausschließlich) als eine Infrastruktur gesehen haben, die »dem Volk« zugute kommt. Doch dem ist nicht so. Das muss man akzeptieren – und es dämpft bei mir das »unbeschwerte« Gefühl, das ich bisher online hatte, maßgeblich. Doch gerade deshalb empfinde ich die Diskussion über Abhörmaßnahmen als um so wichtiger.

Der Artikel führt weiterhin aus, dass natürlich auch »nicht-westliche« Geheimdienste das Internet abhören und mit Sicherheit nicht damit aufhören werden, selbst wenn die Proteste der Menschen in Europa und Amerika zu Beschränkungen der Geheimdienstaktivitäten führen. Auch das muss man akzeptieren – ganz eindämmen kann und sollte man diese Maßnahmen in absehbarer Zeit klugerweise nicht. Idealistische Forderungen, alle Geheimdienste sollten einfach mit sämtlichen Überwachungsmaßnahmen aufhören, halte ich für weltfremd und wenig zielführend.

2. Wir sind arglos und vergesslich
Das Zweite, was ich durch die Enthüllungen Snowdens über die NSA gelernt habe: obwohl seine Enthüllungen wichtig und weitreichend sind, erzählt er uns im Grunde genommen, nicht nur Neues. In den letzten Tagen kam auch ein alter SPIEGEL-Artikel aus dem Jahre 1989 (!) wieder ans Tageslicht. Darin wird ausführlich berichtet, wie umfassend schon damals in der Vor-Internet-Ära die weltweite Telekommunikation durch die NSA überwacht und abgehört wurde – inklusive Schilderung der Empörung unter Politikern und Bürgern. Doch offenbar geriet diese erste Enthüllung inzwischen wieder komplett in Vergessenheit.

Warum folgte diesem Bericht damals kein Sturm der Entrüstung, keine Diskussionen, keine Demonstrationen? Vielleicht unter anderem auch, weil es das Internet noch nicht gab und sich sowohl der Bericht nicht dynamisch genug »herumsprechen« konnte als auch die heutigen Vernetzungsmöglichkeiten zur Verabredung und Organisation von z.B. Demonstrationen noch gar nicht gegeben waren. Und vielleicht auch, weil es »nur« um Telekommunikation ging. Zwar tauschte man auch 1989 schon viele und wichtige Nachrichten per Fax und Telefon aus, aber beide Technologien waren weitaus weniger umfassend und tiefgreifend mit nahezu allen Momenten des Alltags verwoben, wie es heute das Internet ist. »Ist ja nur Telefon«, dachte damals vielleicht mancher und ging nach draußen, um seine Überweisungen bei der Bank abzugeben und danach einen Urlaub im Reisebüro zu buchen.

3. Wir sind vertrauensselig und optimistisch
Ganze Scharen von Sprechern, Politikern und »Experten«, die derzeit die Wogen glätten und die Diskussion beschwichtigen oder herunterspielen wollen, versichern, es geschähe alles in gesunder Verhältnismäßigkeit, sei völlig legal, die Daten würden nicht missbraucht, alles sei sicher gespeichert, würde nach einer gewissen Zeit wieder gelöscht, etc. Mal angenommen, man nähme selbst die damit verbundenen Grundrechtsbrüche in Kauf, und gleichfalls angenommen, man könnte darauf vertrauen, dass diese Beteuerungen für den Moment der Wahrheit entsprechen und »die da oben« die gesammelten Daten schon anständig und gewissenhaft verwalten und verwenden würden – wer garantiert uns denn, dass das so bleibt? Ich werfe nur einen mulmigen Blick zu unserem Nachbarn und EU-Mitglied (!) Ungarn, wo sich »demokratisch legitimiert« eine massive Unterdrückung oppositioneller Kräfte abspielt. Was passiert mit den längerfristig gespeicherten Daten, wenn in fünf, zehn, zwanzig Jahren in einem heute freiheitlichen Land politische Umwälzungen eine andere Regierung ans Ruder bringen, der die Rechte ihrer Bürger (noch) weniger wert sind? Davor habe ich Angst. Ich will jetzt schon etwas dagegen getan wissen, dass weder heute noch in Zukunft jemand meine (Meta-)Daten missbrauchen kann.

4. Wir sind technikgläubig und überheblich
Die Mengen an (Meta-)Daten, die aktuell gesammelt sind, sprengen schon jetzt jedes Vorstellungsvermögen. Selbst Begriffe wie Yottabyte oder eine Gegenüberstellung der gesammelten Stasi-Daten mit der NSA-Datenbank helfen nur bedingt, diese Dimensionen zu erfassen. Das kann kein noch so großes Heer von Menschen mehr persönlich auswerten. Im o.g. Artikel der SZ schätzt Rudolf G. Adam, dass einer der maximal darauf angesetzten 50.000 Auswerter der NSA pro Tag nicht mehr als 50 Kommunikationsabläufe sichten und operativ bewerten kann. Selbst die damit erzielten 2,5 Mio. Vorgänge pro Tag decken nur 0,1% der täglich erfassten 2 Milliarden Kommunikationsabläufe ab. Den Rest müssen Maschinen erledigen.
Wenn Maschinen weltweit menschliche Kommunikation entschlüsseln, sind hochleistungsfähige Computer und Algorithmen im Spiel. Doch auch sie werden von Menschen programmiert und können nur vorgegebenen Schemata folgen. Was ist mit (automatisierten) Übersetzungen und damit einhergehenden Übersetzungsfehlern? Ironie? Sarkasmus? Humor? Bewusste Wortspiele? Kommunikationsmuster außerhalb der programmierten Schemata, die täglich millionenfach durchs Internet strömen und damit Fehlerquellen, die geeignet sind, Menschen ungerechtfertigt in Verdacht zu bringen. Eine gigantische Kafka-Maschine. Wie riskant es ist, sich Algorithmen auszuliefern, erzählt der Programmierer Lukas F. Hartmann, der durch einen Programmierfehler bei einem privaten Genom-Analyseservice eine falsche Krankheitsdiagnose erhielt.
Daneben existieren in der Statistik generell und unabhängig von Softwarefehlern die Begriffe der sogenannten »falsch positiven« und »falsch negativen« Befunde, eine Art Fehlergrundrauschen, das bei allen massenhaften Auswertungs- und Analyseverfahren von vornherein einkalkuliert wird und in der analogen Welt quasi unvermeidlich ist. Es wird also zwangsläufig bei der automatisierten Auswertung von Datenmengen sowohl zu unbegründeten Verdächtigungen führen als auch zu unentdeckten »echten« Fällen. Wer schützt die Bürger gegenüber den so mächtigen Geheimdienstinstanzen vor solchen Kollateralschäden? Ein Blick nach Guantanamo bekräftigt die Berechtigung dieser Frage.

5. Wir vernachlässigen den Faktor Mensch
Ebenso riskant, wie es ist, Maschinen menschliche Kommunikation auswerten und private bis intime Daten verwalten zu lassen, ist es, dies von Menschen erledigen zu lassen – erst recht, wenn diese Auswertung von den Geheimdiensten auch noch an privatwirtschaftliche Unternehmen outgesourced wird.
Wenn Whistleblower ihre Position und ihren Zugriff auf geheime Daten ausnutzen, um die Öffentlichkeit zu informieren, wird dies von vielen respektiert und begrüßt. Doch diese aus Sicht ihres Arbeitgebers »abtrünnigen« Angestellten stellen nur das eine Ende der Skala dar. Was ist mit korrupten, machtgierigen, kriminell veranlagten, geldgeilen oder anderweitig illoyalen Mitarbeitern, die ebenso in Versuchung kommen könnten, die ihnen anvertrauten Daten, Erkenntnisse und Befugnisse anders zu nutzen, als es »erlaubt« oder vorgesehen ist? Menschen sind fehl- und verführbar. Und je mehr Menschen immer mehr Daten sammeln und verwalten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass diese in falsche Hände oder Kanäle geraten. Auch das macht mir Angst.


Das sind die fünf für mich wichtigsten Gründe, warum ich mich dafür einsetzen werde, dass die Recht- und Verhältnismäßigkeit solcher Datensammlungen (wieder)hergestellt wird. Es gibt noch ’zig andere Argumente, etwa der schleichende Druck zur Selbstzensur, wie ihn Pia Ziefle in ihrem Blog beschreibt. Bestimmt kennt jeder, der sich dieser Tage deshalb unwohl fühlt, noch eine Menge andere. Und selbst wenn nicht: denkt nach, informiert Euch – und entscheidet, ob und was Ihr dagegen tun könnt und wollt, wie zum Beispiel im Rahmen der Beteiligungsmöglichkeiten auf der Website der Digitalen Gesellschaft.

Ironischerweise beißt sich hier das Internet selbst in den Schwanz – wenn es dabei mithilft, die Überwachung einzudämmen, zu der es selbst die Verlockung und die Möglichkeiten bietet.
Ich bin trotzdem froh, dass es das Netz gibt.

Update: Kurz nach Veröffentlichung dieses Blogartikels erreichte mich der Link zu einem YouTube-Video des Comiczeichners manniac, das kurzweilig illustriert ebenfalls sehr viele der von mir resümierten Gedanken zusammenfasst. Anschauen und teilen empfohlen!


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