Wenn eine Technologie wie ein weltumspannendes Computernetz, die wenige Jahrzehnte zuvor noch unmöglich schien, erst einmal vorhanden ist, wird sie bald wie selbstverständlich hingenommen. Das betrifft sowohl ihre Vor- als auch ihre Nachteile. Doch wie wäre es, wenn ein Ereignis wie die NSA-Affäre ganz plötzlich in den Alltag der Vergangenheit eingebrochen wäre, als es das Internet noch gar nicht gab? Verkündet in einer der Hauptnachrichtensendungen des deutschen Fernsehens – damals, vor 35 Jahren …*
»Washington. Wie die britische Zeitung ,Guardian’ berichtet, verfügt der US-Geheimdienst NSA über eine neuartige Technologie, die es ermöglicht, die Menschen nahezu aller Nationen weltweit in kaum vorstellbarem Ausmaß zu überwachen. Die Informationen und Dokumente, welche dies belegen, wurden der Redaktion von Edward Snowden, einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes zugespielt, der die Unterlagen zuvor gesammelt und an sich gebracht hatte.
Mit der Veröffentlichung will der sogenannte ,Whistleblower’ die Aktionen des bislang streng geheim gehaltenen Überwachungsapparates gegenüber der Weltöffentlichkeit enthüllen und die damit verbundenen nationalen und internationalen Rechts- und Verfassungsbrüche anprangern. Die Überwachung, so Snowden, werde von den USA mit einer effizienteren Bekämpfung des internationalen Terrorismus begründet und umfasse dabei nicht nur die elektronische Kommunikation, sondern auch die Aufenthaltsorte der Menschen sowie Datum, Zeit und Inhalte der ausgetauschten Nachrichten. Dies betreffe sämtliche Bürger – auch Milliarden Privatpersonen seien von der elektronischen Erfassung betroffen, da jedes Verdachtsmoment für die Behörden von Bedeutung sei.
Die amerikanische Regierung hat bisher zu den Enthüllungen jede Stellungnahme verweigert. Wo sich Edward Snowden derzeit aufhält, ist nicht bekannt, Geheimdienstexperten vermuten jedoch, dass der Informant auf der Suche nach einem sicheren Drittland ist, in dem er Asyl beantragen kann, ohne an die USA ausgeliefert zu werden. Die Bundesregierung, so ein Sprecher, wolle sich zu den Presseberichten des ,Guardian’ erst äußern, wenn die Behauptungen sich als stichhaltig herausstellten. In ersten Reaktionen zeigten sich internationale Bürgerrechtler sowohl teilweise ungläubig als auch entrüstet. Ein deutscher Verfassungsrechtler bezeichnete die Presseberichte als ,Science Fiction’ – es sei weder rechtlich und ökonomisch noch technisch plausibel, dass ein Geheimdienst – selbst der einer Großmacht wie der USA – eine derartige Infrastruktur in Betrieb nehme und nutze.«
(Tagesschau, Dienstag 06.06.1978)
* Ich weiß, dass der SPIEGEL 1983 bereits ausführlich über die Abhöraktionen der USA berichtete. Doch der damalige Artikel fokussierte sich m.E. eher noch auf »ausgewählte« Zielgruppen innerhalb der Bevölkerung, nicht auf eine umfassende Ausspähung ganzer Nationen und ihrer Bürger.
Ich habe extra fast 24 Stunden lang gewartet, ehe ich diesen Blogbeitrag schrieb, um mich wieder etwas abzuregen. Ein bisschen habe ich mich auch wieder abgeregt, aber der weißglühende Kern meines Zorns glüht unvermindert hell.
Wieder einmal durfte ich feststellen, dass der für mich einzige Grund, die schöne Stadt Hamburg kalt und innig zu hassen, von einer bestimmten Kaste Menschen repräsentiert wird, die in einigen Stadtteilen geballt (was auch andere Hamburger bestätigen können), im Rest der Stadt tröstlicherweise seltener anzutreffen ist. Nennen wir sie »Schnösel« – obgleich diese putzige Klassifizierung nur bedingt geeignet ist, alles Negative, was diese Wohstandsprimaten charakterisiert, in einem Wort wiederzugeben. Oft, nicht immer, begegnet man ihnen im Bundle mit glänzenden Luxusboliden, mal als SUV, mal als Limousine oder Edelcoupé, doch auch zu Fuß kreuzt man ihren Weg. Ihnen gehört die Stadt, sie gebieten in weitem Radius über den Boden, auf dem sie wandeln und den Luftraum, der sie umgibt. Ihr Zepter ist Arroganz, ihre Krone selbstgefällig zur Schau getragener Wohlstand. Sie haben es geschafft. Oft auch nur, mich anzuwidern.
Ich habe nichts gegen wohlhabende Menschen, ich habe selbst Bekannte, die sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen müssen. Aber sie sind allesamt auf dem Teppich geblieben und es bleibt viel Mögenswertes übrig, wenn man ihren Besitz, ihren Status, ihre Position und ihren Erfolg von ihrer Persönlichkeit abzieht. Doch zurück zum Thema.
Der Grund meiner jüngsten Échauffage ereignete sich, als ich meinen Freund vom Hamburger Hauptbahnhof abholte. Ich hatte mein Auto in einer Parkbox vor dem Ohnsorg-Theater abgestellt, wir beluden das Auto mit einigem Reisegepäck und setzten uns hinein, um zu einer zeitlich fixierten Verabredung aufzubrechen. Ich hatte kaum den Motor gestartet, als ein Porsche Cayenne majestätisch vor den Kühler meines Twingo rollte und dort zum Stehen kam. »Naja«, dachte ich im ersten Moment, »vielleicht hat er ja nicht gesehen, dass mein Wagen besetzt ist und wir im Aufbruch sind« – und betätigte die Lichthupe. Ein glasiger Blick des Fahrers traf mich, er zog den Zündschlüssel ab und verließ sein Fahrzeug. Nun zog ich das »Licht« von der »Lichthupe« ab und gab ihm ein akustisches Signal. Die einzige Reaktion war eine beschwichtigende Handbewegung, die gemeinhin mit »jetzt hab dich mal nicht so und warte gefälligst« zu übersetzen ist. Inzwischen war auch der Grund der Platzblockade vor Ort eingetroffen: eine mit allerlei Geschmeide behangene Dame nebst Kleinkind, die sich nun anschickte, Kind, Kegel und Klappbuggy zum Verladen in den Offroadsimulator bereit zu machen.
Da es zeitlich etwas pressierte und wir nun auch beide in Wallung kamen, betätigte ich – diesmal wiederholt – die Hupe. Monsieur Hybris setzte die Zustiegsassistenz für seine Begleiterin ungerührt fort. Erst als sich mein Freund aus dem Auto begab und mit deutlich erhobener Stimme die Wegfahrt anmahnte und ein Anrufen der Verkehrsordnungskräfte avisierte (Madame Hybris wurde durch diese Ankündigung zu einem theatralischen Lachen inspiriert), stieg der Schnösel in sein Edelkettcar und machte die Ausfahrt frei.
Bin ich zu empfindlich, wenn ich mich frage: was denken sich diese Menschen dabei? Wandelnde Weltennabel, denen alles und jeder zu weichen hat? Es gibt nur wenige Situationen, in denen ich den Drang verspüre, zu sagen »ich könnte kotzen« – diese war eine davon. Und mein Gegenüber hätte mir sehr gern dazu sein Seitenfenster öffnen dürfen.
Wenn es etwas gibt, was das Internet bei mir bewirkt hat, seit ich es (seit 1997) nutze, dann, dass es mich zu einem politisch sehr viel interessierteren Menschen gemacht hat. In prä-online-Zeiten gab es nur die Printmedien und das Fernsehen, um sich politisch zu informieren. Eine oder mehrere Zeitungen oder Magazine regelmäßig, womöglich täglich zu lesen, brauchte viel Zeit, kostete einiges an Geld und das Verfolgen tiefergehender Rundfunk- oder Fernsehnachrichten erforderte die Anpassung an den Programmplan der TV-Sender oder das mühsame Aufzeichnen und spätere Schauen. Zumindest mein Informationsgrad blieb daher lange relativ oberflächlich.
Inzwischen, da ich online Nachrichten und Seiten abonnieren kann, mich selektiv zu einzelnen Themen informieren (lassen) kann, wuchs auch mein politisches Bewusstsein. Ich versuche, Zusammenhänge zu begreifen, Themen tiefer zu recherchieren, kann mir leichter eine möglichst fundierte Meinung bilden und anschließend durch die Teilnahme an (konstruktiven) Diskussionen oder Demonstrationen, durch das Teilen und Weiterverbreiten von Links oder durch das Zeichnen von Petitionen Einfluss auf die politische Meinungsbildung und Entwicklung nehmen. Einfach, weil es mir durch das Internet leichter gemacht wird, dies zu tun. Das ist eine tolle Sache.
Das politische Thema, das natürlich auch mich in den letzten Wochen am meisten beschäftigt hat, ist die Abhörtätigkeit der NSA und anderer westlicher Geheimdienste, inklusive des britischen GCHQ und des deutschen BND. Ich verwende bewusst nicht die Begriffe PRISM und TEMPORA, da sich ja inzwischen herausgestellt hat, dass diese nur kleine Module darstellen in dem viel größeren Konstrukt, das dahinterliegt und der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt ist.
Ich finde es gut, dass dieses Thema öffentlich geworden ist und auch in den On- und Offline-Medien sehr fundiert erörtert und kommentiert wird. Ich finde es gut, dass (hoffentlich immer mehr) Menschen darüber diskutieren und diesen Aktionen – möglichst über Ländergrenzen hinaus – maßvolle Grenzen setzen wollen. Ich bin der Meinung, bei der Massenerfassung dieser Daten handelt sich um einen Grundrechtsbruch und um die gezielte Umkehrung der Unschuldsvermutung. Und ich finde es beschämend, wie die meisten Politiker dieser und früherer Regierungsparteien darauf reagieren, bin extrem enttäuscht von der Politik insgesamt und den sogenannten »Volksvertretern«, die diesen Titel jeden Tag unangemessener erscheinen lassen, was mir natürlich auch die Entscheidung bei der kommenden Bundestagswahl (und: ja, ich werde wählen gehen!) nicht einfacher macht. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Was Edward Snowden tat, indem er diese Programme öffentlich machte, hat meinen Respekt. Er setzt sich damit als sehr junger Mensch einer Verfolgung und einem Risiko aus, die geeignet sind, sein gesamtes weiteres Leben zu beeinträchtigen oder es sogar zu verlieren. Ich hoffe, dass die Dinge, die er damit in Bewegung gesetzt hat, den Menschen, ihrer Freiheit und ihren Grundrechten zugute kommen werden.
Warum schreibe ich diesen Blogartikel? Sicher nicht, weil noch zu wenig über die Spähprogramme im Internet steht. Ich habe vielmehr das Gefühl, die öffentliche Diskussion sollte über das Statement »wir wollen nicht a) länger und b) in diesem Ausmaß überwacht werden« hinausgehen. Es geht auch um weit mehr als darum, ob wir »etwas zu verbergen haben« oder nicht.
Das Internet entstand aus dem Bedürfnis des US-Militärs, ein Kommunikationssystem zu entwickeln, das auch unter chaotischen Bedingungen sicher funktioniert. Die erste Naivität besteht nun darin zu glauben, das Militär habe sein Interesse am Internet verloren, seitdem es zur zivilen Nutzung freigegeben worden ist.
Da ist was dran. Die Euphorie über die Möglichkeiten und Chancen, die das Netz bietet, können durchaus dazu beigetragen haben, dass wir Netznutzer die Wurzeln des World Wide Web vergessen haben und es (ausschließlich) als eine Infrastruktur gesehen haben, die »dem Volk« zugute kommt. Doch dem ist nicht so. Das muss man akzeptieren – und es dämpft bei mir das »unbeschwerte« Gefühl, das ich bisher online hatte, maßgeblich. Doch gerade deshalb empfinde ich die Diskussion über Abhörmaßnahmen als um so wichtiger.
Der Artikel führt weiterhin aus, dass natürlich auch »nicht-westliche« Geheimdienste das Internet abhören und mit Sicherheit nicht damit aufhören werden, selbst wenn die Proteste der Menschen in Europa und Amerika zu Beschränkungen der Geheimdienstaktivitäten führen. Auch das muss man akzeptieren – ganz eindämmen kann und sollte man diese Maßnahmen in absehbarer Zeit klugerweise nicht. Idealistische Forderungen, alle Geheimdienste sollten einfach mit sämtlichen Überwachungsmaßnahmen aufhören, halte ich für weltfremd und wenig zielführend.
2. Wir sind arglos und vergesslich
Das Zweite, was ich durch die Enthüllungen Snowdens über die NSA gelernt habe: obwohl seine Enthüllungen wichtig und weitreichend sind, erzählt er uns im Grunde genommen, nicht nur Neues. In den letzten Tagen kam auch ein alter SPIEGEL-Artikel aus dem Jahre 1989 (!) wieder ans Tageslicht. Darin wird ausführlich berichtet, wie umfassend schon damals in der Vor-Internet-Ära die weltweite Telekommunikation durch die NSA überwacht und abgehört wurde – inklusive Schilderung der Empörung unter Politikern und Bürgern. Doch offenbar geriet diese erste Enthüllung inzwischen wieder komplett in Vergessenheit.
Warum folgte diesem Bericht damals kein Sturm der Entrüstung, keine Diskussionen, keine Demonstrationen? Vielleicht unter anderem auch, weil es das Internet noch nicht gab und sich sowohl der Bericht nicht dynamisch genug »herumsprechen« konnte als auch die heutigen Vernetzungsmöglichkeiten zur Verabredung und Organisation von z.B. Demonstrationen noch gar nicht gegeben waren. Und vielleicht auch, weil es »nur« um Telekommunikation ging. Zwar tauschte man auch 1989 schon viele und wichtige Nachrichten per Fax und Telefon aus, aber beide Technologien waren weitaus weniger umfassend und tiefgreifend mit nahezu allen Momenten des Alltags verwoben, wie es heute das Internet ist. »Ist ja nur Telefon«, dachte damals vielleicht mancher und ging nach draußen, um seine Überweisungen bei der Bank abzugeben und danach einen Urlaub im Reisebüro zu buchen.
3. Wir sind vertrauensselig und optimistisch
Ganze Scharen von Sprechern, Politikern und »Experten«, die derzeit die Wogen glätten und die Diskussion beschwichtigen oder herunterspielen wollen, versichern, es geschähe alles in gesunder Verhältnismäßigkeit, sei völlig legal, die Daten würden nicht missbraucht, alles sei sicher gespeichert, würde nach einer gewissen Zeit wieder gelöscht, etc. Mal angenommen, man nähme selbst die damit verbundenen Grundrechtsbrüche in Kauf, und gleichfalls angenommen, man könnte darauf vertrauen, dass diese Beteuerungen für den Moment der Wahrheit entsprechen und »die da oben« die gesammelten Daten schon anständig und gewissenhaft verwalten und verwenden würden – wer garantiert uns denn, dass das so bleibt? Ich werfe nur einen mulmigen Blick zu unserem Nachbarn und EU-Mitglied (!) Ungarn, wo sich »demokratisch legitimiert« eine massive Unterdrückung oppositioneller Kräfte abspielt. Was passiert mit den längerfristig gespeicherten Daten, wenn in fünf, zehn, zwanzig Jahren in einem heute freiheitlichen Land politische Umwälzungen eine andere Regierung ans Ruder bringen, der die Rechte ihrer Bürger (noch) weniger wert sind? Davor habe ich Angst. Ich will jetzt schon etwas dagegen getan wissen, dass weder heute noch in Zukunft jemand meine (Meta-)Daten missbrauchen kann.
4. Wir sind technikgläubig und überheblich
Die Mengen an (Meta-)Daten, die aktuell gesammelt sind, sprengen schon jetzt jedes Vorstellungsvermögen. Selbst Begriffe wie Yottabyte oder eine Gegenüberstellung der gesammelten Stasi-Daten mit der NSA-Datenbank helfen nur bedingt, diese Dimensionen zu erfassen. Das kann kein noch so großes Heer von Menschen mehr persönlich auswerten. Im o.g. Artikel der SZ schätzt Rudolf G. Adam, dass einer der maximal darauf angesetzten 50.000 Auswerter der NSA pro Tag nicht mehr als 50 Kommunikationsabläufe sichten und operativ bewerten kann. Selbst die damit erzielten 2,5 Mio. Vorgänge pro Tag decken nur 0,1% der täglich erfassten 2 Milliarden Kommunikationsabläufe ab. Den Rest müssen Maschinen erledigen.
Wenn Maschinen weltweit menschliche Kommunikation entschlüsseln, sind hochleistungsfähige Computer und Algorithmen im Spiel. Doch auch sie werden von Menschen programmiert und können nur vorgegebenen Schemata folgen. Was ist mit (automatisierten) Übersetzungen und damit einhergehenden Übersetzungsfehlern? Ironie? Sarkasmus? Humor? Bewusste Wortspiele? Kommunikationsmuster außerhalb der programmierten Schemata, die täglich millionenfach durchs Internet strömen und damit Fehlerquellen, die geeignet sind, Menschen ungerechtfertigt in Verdacht zu bringen. Eine gigantische Kafka-Maschine. Wie riskant es ist, sich Algorithmen auszuliefern, erzählt der Programmierer Lukas F. Hartmann, der durch einen Programmierfehler bei einem privaten Genom-Analyseservice eine falsche Krankheitsdiagnose erhielt.
Daneben existieren in der Statistik generell und unabhängig von Softwarefehlern die Begriffe der sogenannten »falsch positiven« und »falsch negativen« Befunde, eine Art Fehlergrundrauschen, das bei allen massenhaften Auswertungs- und Analyseverfahren von vornherein einkalkuliert wird und in der analogen Welt quasi unvermeidlich ist. Es wird also zwangsläufig bei der automatisierten Auswertung von Datenmengen sowohl zu unbegründeten Verdächtigungen führen als auch zu unentdeckten »echten« Fällen. Wer schützt die Bürger gegenüber den so mächtigen Geheimdienstinstanzen vor solchen Kollateralschäden? Ein Blick nach Guantanamo bekräftigt die Berechtigung dieser Frage.
5. Wir vernachlässigen den Faktor Mensch
Ebenso riskant, wie es ist, Maschinen menschliche Kommunikation auswerten und private bis intime Daten verwalten zu lassen, ist es, dies von Menschen erledigen zu lassen – erst recht, wenn diese Auswertung von den Geheimdiensten auch noch an privatwirtschaftliche Unternehmen outgesourced wird.
Wenn Whistleblower ihre Position und ihren Zugriff auf geheime Daten ausnutzen, um die Öffentlichkeit zu informieren, wird dies von vielen respektiert und begrüßt. Doch diese aus Sicht ihres Arbeitgebers »abtrünnigen« Angestellten stellen nur das eine Ende der Skala dar. Was ist mit korrupten, machtgierigen, kriminell veranlagten, geldgeilen oder anderweitig illoyalen Mitarbeitern, die ebenso in Versuchung kommen könnten, die ihnen anvertrauten Daten, Erkenntnisse und Befugnisse anders zu nutzen, als es »erlaubt« oder vorgesehen ist? Menschen sind fehl- und verführbar. Und je mehr Menschen immer mehr Daten sammeln und verwalten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass diese in falsche Hände oder Kanäle geraten. Auch das macht mir Angst.
Ironischerweise beißt sich hier das Internet selbst in den Schwanz – wenn es dabei mithilft, die Überwachung einzudämmen, zu der es selbst die Verlockung und die Möglichkeiten bietet.
Ich bin trotzdem froh, dass es das Netz gibt.
Update: Kurz nach Veröffentlichung dieses Blogartikels erreichte mich der Link zu einem YouTube-Video des Comiczeichners manniac, das kurzweilig illustriert ebenfalls sehr viele der von mir resümierten Gedanken zusammenfasst. Anschauen und teilen empfohlen!
Ich bin übrigens der Meinung, dass Frau Merkel ein gewisses Maß an Kritik bezüglich ihrer »Neuland«-Äußerung durchaus verdient hat. Politiker selbst müssen natürlich nicht mit jeder neuen Technologie Schritt halten oder diese selbst beherrschen können. Aber sie sollten fähig sein, zu bemerken, dass eine neue Technologie präsent ist, sich rasant entwickelt und umwälzende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der sich ihnen anvertrauenden* Bürger hat.
Infolge dieser Feststellung sollten sie nicht zögern, kontinuierlich kundige Experten aller netzpolitisch relevanten Disziplinen zu konsultieren, für die diese Technologie eben kein Neuland mehr ist, sich mit ihnen zusammensetzen und auf ihre Empfehlungen hören, wie diese Technologie gefördert, demokratisch geregelt und ihre Chancen und Risiken verfassungsgemäß in eine kluge Gesetzgebung integriert werden können.
Aber genau das ist im letzten Jahrzehnt verschlafen, ausgesessen, prokrastiniert, abgewiegelt oder aktionistisch bis inkompetent in völlig falsche, höchst bedenkliche Richtungen zwangsgeregelt worden. Dass die »Digital Natives« in der Minderheit sind, rechtfertigt nicht, sie und ihre Bedürfnisse, Erfahrungen und die konstruktiven Vorschläge netzpolitischer Organisationen und Verbände zu ignorieren oder kleinzureden. Die »Neuland«-Metapher ist keine Entschuldigung oder Erklärung für das, was passiert oder nicht passiert ist oder dafür, dass für weite Teile der Bevölkerung das Netz nach wie vor nur aus Online-Shopping und E-Mails schreiben besteht. Sie ist eine Ausrede.
* Update: Mit »anvertrauen« meine ich nicht eine devote Selbstauslieferung der Menschen an die Regierung, sondern den Vertrauensvorschuss der Wähler, welchen sie ihren politischen Vertretern durch ihr Wahlvotum geben – und dafür erwarten dürfen, dass entsprechend gehandelt wird.
Ich betrachte die Aufregung um den sogenannten »Pferdefleisch-Skandal« mit einem, sagen wir, irritierten Brauenrunzeln. Ja, es ist wahr: das in Fertiggerichten gefundene Pferdefleisch gehört dort nicht hinein. Insbesondere nicht, wenn es auch noch mit Rückständen von Medikamenten oder anderen schädlichen Stoffen versetzt ist. Und wäre es unbelastetes Pferdefleisch und gehörte dort hinein, müsste es zumindest in der Zutatenliste auf der Verpackung angegeben sein. Und von mir aus kann man auch gern der Meinung sein, dass irgendwelche Kontrollen versagt haben, die jetzt natürlich verschärft werden müssen. Wie das einzuhalten ist, sei mal dahingestellt.
Meine Meinung dazu ist: dieser Vorfall passt auch dann ganz klar ins Bild, wenn alle Vorschriften eingehalten worden wären, weshalb er mich auch nur mäßig verwundert. Skandale dieser Art sind vermutlich nicht vermeidbar, aber man kann ihnen als Konsument in gewissem Rahmen vorbeugen – indem man bewusster einkauft.
Ich bin ein leidenschaftlicher Packungstextleser. Schon als Kind habe ich auf dem Frühstückstisch die Werbeprosa und Zutatenlisten auf Cornflakespackungen, Margarinebechern, Kababoxen und Milchtüten gelesen, weil ich eben gern lese, auch, während ich kaue. Nachdem ich dann als Heranwachsender das Kochen als Hobby für mich entdeckt hatte, setzte ich diese Gewohnheit einfach beim Lebensmitteleinkauf im Supermarkt fort.
Nach der Lektüre tausender Aufschriften auf Wurstpackungen, Ketchupflaschen, Joghurtbechern, Käseecken und Brotbeuteln war die logische Schlussfolgerung aus dem Meisten, was dort stand, für mich: fast jedes industriell nach einer »Rezeptur« hergestellte Lebensmittel – je biliger, desto wahrscheinlicher – wird zur Profitmaximierung des Herstellers nach drei aufeinanderfolgenden Prinzipien »komponiert«. Zunächst werden die Zutaten ausgesucht. Dabei werden Rohstoffe, die hochwertig oder teuer sind (z.B. Olivenöl, Nüsse) entweder durch billigere oder minderwertigere Ersatzstoffe vollständig ersetzt (dann: Pflanzenöl, Mandeln) oder – um als »ausgewählte Zutaten« die Inhaltsliste kulinarisch zu frisieren – nur in homöopathischen Mengen zugefügt (etwa sagenhafte 5% Hühnerfleisch in der Tütenhühnersuppe). Im zweiten Schritt wird die Rezeptur dann durch billige Füllstoffe gestreckt bzw. verdünnt, die nach nichts oder fast nichts schmecken: Wasser oder Molke sind hier z.B. sehr beliebt. Und zum Schluss – denn die blasse, dünne Plempe würde jetzt keinem Kunden mehr schmecken – wird das ganze dann mit Gewürzen, Aromen, Geschmacksverstärkern, Farbstoffen und den fast allgegenwärtigen Verdickungsmitteln (Carrageen, Xanthan, Gummiarabikum, Johannisbrotkernmehl oder »modifizierte Stärke«) wieder einigermaßen auf Geschmack und eine simuliert gehaltvolle Konsistenz gepimpt.
Unerklärlicherweise sind viele Produkte sehr populär, die auf genau diese Weise hergestellt werden – etwa einer der bekanntesten Frischkäse, nach dem auch eine beliebte Torte benannt ist. Im Konkurrenzprodukt der Firma BUKO (ich mach jetzt ausnahmsweise mal aus Überzeugung Werbung) ist nur Frischkäse und Salz – und es kostet nahezu genausoviel. Ich kann nicht erkennen, dass die Zusatzstoffe des Marktführerprodukts im Vergleich eine Verbesserung der Qualität, der Haltbarkeit oder des Geschmacks mit sich bringen. Sie erhöhen meines Erachtens lediglich die Gewinnspanne. Ich zumindest möchte keine Gelatine in meinem Fruchtjoghurt haben oder modifizierte Stärke in der Mayonnaise, kein Carrageen in der Schlagsahne, kein Kartoffelmehl im Pesto und traue Herstellern, die bereits bei der vorschriftsmäßigen Deklaration ihrer Produkte erahnen lassen, dass sie bei Ersatz- und Zusatzstoffen aus dem Vollen schöpfen, eher ein unehrliches oder gar skandaltaugliches Verhalten zu.
Industriell zubereitete Lebensmittel und Fertiggerichte sparen in den meisten Fällen kein Geld, in vielen Fällen keine Zeit, aber in den allermeisten Fällen an Qualität und Geschmack. Das populäre Argument »aber Wenigverdiener können sich doch nur Fertigfood leisten« halte ich für Unsinn. Wer sich nur ein bisschen kundiger macht, die Packungstexte liest, sich mit den elementaren Zutaten und Inhaltsstoffen vertraut macht oder – wenn die Motivation da ist – auch mal selber was kocht oder zubereitet (oder auch nur Rezepte liest, um zu verstehen, was in bestimmten Speisen oder Esswaren eigentlich idealerweise drin sein sollte), kann der Foodmaskerade der Industrie schon sehr weiträumig (und preiswert) aus dem Weg gehen. Das Internet macht diese Weiterbildung einfach wie noch nie.
Pauschales Rumjammern und Klagen über die ach so böse Lebensmittelmafia sind kein Zeichen von Mündigkeit, im Gegenteil: Wissen und Erfahrung machen mündig, weil sie zu einem eigenen Urteil und eigenen Entscheidungen befähigen und diese nicht anderen überlassen. Lest Euch durch, was drin ist, setzt dies in Relation zum Preis des Produkts, vergleicht mit Alternativen im Regal oder aus »eigener Produktion«. Und dann wählt den Weg, dem Ihr am meisten vertraut und lasst es Euch schmecken.
Zur aktuellen Diskussion über Sexismus im Alltag (Hashtag #aufschrei bei Twitter) hier ein Auszug aus dem Blogartikel »Danke #aufschrei« von Journelle, bei dessen Lektüre ich nahezu permanent mit dem Kopf nickte:
Und ja, ich schaue mir gern hübsche Männerärsche an und erfreue mich an großen Männern mit breiten Schultern und langen Beinen aber ich fasse ihnen nicht auf den Po und in den Schritt. Ich bitte sie nicht, über ihre Brusthaare streicheln zu dürfen. Selbst besoffen habe ich mich so gut im Griff, dass ich nicht meinen Unterleib beim Tanzen an Männern reiben muss.
(…)
Abgesehen davon, dass meiner Erfahrung nach die Triebhaftigkeit nichts mit dem Geschlecht, sondern geschlechtsneutral indidviduell ist, ist das doch keine Rechtfertigung. Wenn ich mich nicht im Griff habe, handelt es sich nicht um das genetisches Erbe, sondern um ein Armutszeugnis. Penisse müssen nicht aus der Hose genommen werden, keine Hand muss auf einer großen, hübschen Brust landen, Pos in gut sitzenden Hosen müssen nicht anzüglich kommentiert werden.
Der komplette Blogbeitrag ist leider inzwischen offline, aber im Internet Archive nach wie vor verfügbar.
Als bekennender Fan der Serie »Fringe« gucke ich mich gerade mit wachsender Begeisterung durch die zweite Staffel, in der es nach zahlreichen mysteriösen Vorkommnissen, Indizien und Andeutungen nun tatsächlich zur unerfreulichen Konfrontation zweier paralleler Universen kommt.
In der Episode 16, die nach dem Sohn des Protagonisten Dr. Walter Bishop, »Peter«, benannt ist, geht es während einer ausführlichen Rückblende um bedeutungsvolle Ereignisse, die sich im Jahre 1985 zugetragen haben. Das inspirierte die Macher der Serie zu der schönen Idee, bei dieser Folge den regulären Vorspann durch eine spezielle Version im Stil der 80er Jahre zu ersetzen. Statt der neuzeitlichen (grenz)wissenschaftlichen Trendthemen werden die damaligen eingeblendet, der Grafikstil, Computeranimationen und die Science-Fiction-Schrift Amelia aus dem Jahre 1967 sorgen für eine stilechte Retro-Optik.
Wäre da nicht die Nennung der drei Serienerfinder am Schluss der Titelsequenz. Die sorgt nämlich bei Typographiefans für einen kleinen Sprung im Raum-Zeit-Kontinuum: es ist die Verdana, die zwar als Computerschrift speziell für Microsoft entworfen wurde, allerdings erst 1996 – elf Jahre nach 1985. Mysteriös …
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