Kategorie: Kunsthonig

Hörens-, sehens-, lesenswert: Musik, Film, Literatur

Drama, Baby!

So richtig wurde ich durch die französische Schauspielerin Isabelle Huppert eigentlich erst durch einen »cinephilen« Freund aufmerksam. Sicher, ihren Namen kannte ich schon vorher und auch ein Gesicht verband ich damit. Aber dass ich mir gezielt Filme anschaute, in denen sie mitspielt, das geschah erst danach. Nicht jeder Eintrag in ihrer Filmographie ist ein Glanzstück, aber es gibt schon eine ganze Menge sehr interessanter, dramatischer, amüsanter oder bizarrer Werke. So hat mir etwa der ebenso beklemmende wie originelle Film »Elle« ausgesprochen gut gefallen, ich mochte auch die Tragikomödie »Ein Chanson für Dich«, die überdrehte Drogenposse »Eine Frau mit berauschenden Talenten« (Kopfnuss mal wieder an den deutschen Übersetzer, Originaltitel »La Daronne« [dt.: »die Alte«]), den nicht immer ganz schlüssigen, aber fesselnden Psychothriller »Greta« oder das Mutter-Tochter-Drama »I’m Not a F**king Princess«. In all diesen Filmen stiehlt Huppert ihren Schauspielkollegen in fast jeder Szene die Show und hat nie ein Problem damit, sich in der Haut ihrer Figuren bis an die Schmerzgrenze zu bewegen – in puncto Grausamkeit, Verletzlichkeit, Exzentrik oder Monstrosität. Allen obengenannten Filmen ist allerdings gemein, dass sie erst nach 2010 entstanden – ich nähere mich dem Werk der Darstellerin, die immerhin seit 1971 vor der Kamera und auf der Bühne steht, daher quasi »rückwärts«. Das hängt auch damit zusammen, dass etliche ihrer älteren Filme leider bei Streaming-Anbietern nicht oder nicht mehr angeboten werden. Gerne würde ich etwa »Heaven’s Gate« (1980) einmal sehen, »Malina« (1991) oder »Marie Curie – Forscherin mit Leidenschaft« (1997). Aber Fehlanzeige. Und auch die letzte verbliebene Videothek hier im Viertel hat solche älteren, wenig publikumswirksamen Filme leider nicht im Sortiment. Gebraucht sind ältere Filme zwar auf DVD erhältlich aber als Raritäten auch gerne etwas teurer und auf Verdacht sind mir solche Ausgaben immer etwas zu riskant.

Ab und zu jedoch springt das gute alte Fernsehen in die Bresche und wiederholt Frühwerke der Schauspielerin. In der arte-Mediathek gab es etwa vor kurzem das düstere Krimi-Melodram »Rückkehr zur Geliebten« (1979) zu sehen (dazu ein Posting bei Mastodon) und gerade gestern schaute ich dann, ebenfalls auf arte, »Die Spitzenklöpplerin« (1977), ein Drama über die erste Liebe einer schüchternen jungen Frau (Huppert war damals 24, spielt aber eine erst 18-Jährige), die an der Beendigung der Beziehung durch ihren Partner zerbricht. Kein Happy-End also. In beiden Filmen spielt sie übrigens sehr viel stillere, introvertiertere und verletzlichere Charaktere als in den später entstandenen, die ich kenne. Ich fand beide Filme sehenswert und interessant, aber gleichzeitig musste ich innerlich, selbst bei dramatischen Szenen, bisweilen schmunzeln, weil sie mir stellenweise als »typische« französische Dramen aus den 1960er bis 1980er Jahren vorkamen, deren Stilmittel und Versatzstücke sich als überspitzte Klischees sehr schön, vielleicht in einem fiktiven Kurzfilm, komprimieren ließen: Tristesse, Beziehungsprobleme, Seitensprünge, Hassliebe, Zigarettenrauchen, Paris, Melancholie, Abschiede, Gewalt, Intrigen, Psychoterror, Leidenschaft, Wechselbäder der Gefühle. Ich möchte das nachfolgend einmal beispielhaft ausprobieren:

Wir befinden uns in Paris. Der Himmel ist wolkenverhangen. Es scheint kühl zu sein, unzweifelhaft Herbst, die Menschen in der Stadt tragen warme Jacken und Mäntel und gehen mit eingezogenen Köpfen durch die Straßen. Durch das transparente Spiegelbild der Straßenlebens in der Glasscheibe eines Cafés fokussiert sich die Kamera auf eine gutaussehende, zeitlos elegant gekleidete Frau mittleren Alters, die allein vor eine Tasse Kaffee und einem Aschenbecher an einem fensternahen Tisch sitzt, raucht und nach draußen schaut. Sie blickt nach oben zum Himmel, runzelt die Stirn, schaut auf ihre Armbanduhr, winkt nach der Bedienung und zahlt. Dann schlüpft sie in ihren Mantel, nimmt ihre Handtasche und steht auf, um das Café zu verlassen. Sie tritt hinaus auf die Straße, es beginnt leicht zu regnen. Sie geht schnellen Schrittes zu einem benachbarten Zeitungskiosk und kauft sich die aktuelle Ausgabe des »Figaro«, währenddessen verstärkt sich der leichte Regen zu einem Wolkenbruch. Sie hält sich die Zeitung schützend über den Kopf und eilt zwischen den vereinzelt fahrenden Autos auf die andere Straßenseite, wo sie im überdachten Hauseingang eines kleineren Hotels Unterstand findet. Dieses Hotel scheint auch ihr Ziel zu sein, sie schaut nochmals auf ihre Uhr und blickt suchend nach links und rechts. Ein Taxi hält vor dem Eingang und ein Mann, leicht graumeliertes Haar, steigt aus, zahlt, erblickt die Frau im Hauseingang und geht auf sie zu. Sie begrüßen sich mit zwei »bises«, haken einander ein und betreten das Hotel. Die Kamera schwenkt an der Fassade des Gebäudes empor zu den oberen Stockwerken.

Schnitt. Wir befinden uns nun in einem Zimmer des Hotels. Die Frau steht rauchend am Fenster, Regentropfen rinnen an der Scheibe herab, durch den Regen sieht man von oben auf die Silhouette der Stadt. Der Mann sitzt auf einem Sessel und starrt von sich hin, beide Hände am Kinn. Die Frau zieht an ihrer Zigarette und bläst den Rauch gegen die Fensterscheibe.

Frau: (zum Mann, aber ohne sich zu ihm umzudrehen) Hast Du es ihr gesagt?
Mann: Wann hätte ich das tun sollen? Du weißt, dass ich in Marseille war.
Frau: Diesmal war es Marseille, davor war es Lyon, wieder davor war es Nizza. Du bist ein Feigling.
Mann: Aber immerhin ein Feigling, den Du liebst. Sonst wärst Du nicht hier.
Frau: Dinge ändern sich, François. Ich ändere mich. Und ich lasse mich nicht länger von Dir zum Narren halten.
Mann: Mein Gott, Francine! Du weißt, dass es zwischen mir und ihr längst aus ist. Unsere Ehe ist längst nur noch eine tote Hülle.
(Er steht aus dem Sessel auf, tritt zu ihr ans Fenster und berührt ihr rotes Kleid an ihrer Schulter)
Du weißt, dass ich Dich liebe. Und nur Dich. Genügt Dir das nicht?
Frau: (drückt energisch ihre Zigarette im Achenbecher auf der Fensterbank aus und dreht sich zu ihm um) Ich kann das nicht mehr. Wir müssen uns trennen.
Mann: (eindringlich) Francine …
Frau: Ich hätte das schon längst beenden sollen. Das alles hier. Es führt zu nichts. (Sie dreht sich wieder um und schaut zum Fenster hinaus)
Mann: (packt sie an den Schultern und dreht sie zu sich herum) Geh nicht!
Frau: Küss mich!

Beide schauen sich einige Sekunden lang intensiv in die Augen, dann umarmen und küssen sie sich leidenschaftlich. Als der Kuss endet, richtet die Frau ihr Haar und geht zu einem Stuhl, auf dem ihr Mantel und ihre Handtasche liegen. Sie nimmt beides in die Hand.

Frau: Ich werde jetzt gehen. Adieu. Und ruf mich nicht wieder an.
Mann: Francine!
Frau: Es hat keinen Sinn mehr. François. Ich dachte, es wäre Liebe zwischen uns. Aber ich habe mich geirrt. So schön es auch war. Manchmal muss man auch loslassen können. (Sie dreht sich um und geht Richtung Tür)
Mann: Ich kann ohne Dich nicht leben.
Frau: Du wirst es lernen müssen. Ich werde es lernen müssen. Es werden andere kommen und bald wirst du mich vergessen haben. (Sie öffnet, die Tür, blickt noch einmal zurück zu ihm, geht hinaus und zieht sie hinter sich zu)
Mann: (nun allein im Raum, verzweifelt Richtung Tür schreiend) FRANCINE!

Die Frau tritt unten aus dem Hotel hinaus auf die Straße. Es regnet weiterhin. Sie winkt ein Taxi zu sich heran, steigt ein und man sieht von außen, wie sie dem Fahrer stumm ihr Fahrtziel nennt. Schnitt in das Taxi. Die Frau öffnet ihre Handtasche und holt ein Foto heraus: ein unbeschwerter Urlaubsschnappschuss von ihr und François. Sie zerreißt das Foto, öffnet das Fenster, wirft die wenigen Schnipsel aus dem Fenster und schließt es wieder. Dann nimmt sie ein silbernes Etui aus der Tasche und zündet sich daraus eine Zigarette an. Sie schaut aus dem Taxi auf die draußen vorbeigleitende Stadt. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Schnitt auf den Rinnstein am Straßenrand. In einer Regenpfütze schwimmen die Fotoschnipsel, der Teil mit den beiden Gesichtern der Liebenden dreht sich langsam im trüben Wasser, tropfen drücken ihn allmählich unter die Oberfläche.

Schnitt. Die Frau steht allein in ihrer Wohnung am Fenster, es ist Abend, die blaue Stunde. Sie raucht und hat ein Glas Rotwein in der Hand. Auf einem Tisch im Zimmer steht in einer Vase ein großer Strauß Rosen, noch mit Zellophan umhüllt, ein ungeöffneter Briefumschlag klebt auf der Folie. Sie leert ihr Glas »auf ex« aus, geht zum Telefon und wählt eine Nummer, die sie offenbar auswendig kann. Das Rufzeichen ertönt. Jemand nimmt ab und man hört die Stimme eines Mannes.

Stimme: Hallo? …
Frau:
Stimme: Francine …? Francine, bist Du es?
Frau:
Stimme: Ich liebe Dich! Ich brauche Dich! Sag etwas! Irgendwas …

(Die Frau legt auf)

– FIN –

Autoverkehr(t)

Am kommenden Mittwoch kommt der »Tankrabatt«. Anlässlich dessen habe ich ein Gedicht, das ich vor gut zwei Wochen schon mal auf Twitter gepostet hatte, nun auch hierhin übertragen und um zwei Strophen (#5 und #6) ergänzt.

Ich bin Minister für Verkehr,
weil ich mich nicht ums Klima scher’.
Ich wohn’ im Autolobbydarm,
hier steht die Zeit, s’ist weich und warm.

Verbrannter Treibstoff in der Luft –
das ist und bleibt der schönste Duft!
Freiheit mess’ ich in km/h,
Wer schneller rast, ist eher da.

Leitplanken sind mein Tellerrand,
drum bleiben wir ein Autoland!
Mich durchlaufen süße Schauer,
denk ich an uns’re Fahrzeugbauer.

Mobilität mit Rad und Bahn?
Für mich ist das ein irrer Wahn.
Verkehrswende? Wohin? Wieso?
Mein Navi-Ziel heißt »Status quo«.

Wer reichlich tankt, bekommt Rabatt.
Den Ölkonzernen, nimmersatt,
füll’ ich mit Zuschüssen die Taschen.
Ich hab’ Ideen, die überraschen!

Von Schuld an zu viel CO₂
sprech ich Fossilverbrenner frei.
Willst du den Klimawandel hemmen,
verzichte halt aufs Instagrammen.

Milliarden pump’ ich ins Bewahr’n.
Wer Zukunft will, soll Auto fahr’n!
Sportboliden! SUVs!
Vier Räder hat das Paradies!

Die Erde heizt sich weiter auf,
ich sponsor’ den Verbrennerkauf.
Der Acker dörrt, es steigt das Meer,
ich bin Minister für Verkehr.


Photo by Shot On DJI on Unsplash

Hömma!

In freundlicher Zusammenarbeit mit Audible

Ich weiß jetzt schon, dass dies vermutlich ein Beitrag ist, der mir künftig bei der Blogpflege einiges an Mühsal bereiten wird, weil im Text so viele Verlinkungen mit Hörbeispielen und Videos vorkommen und diese ja meist nicht ewig funktionieren. Aber wie soll man über Stimmen schreiben, wenn man sie nicht auch hören kann? Deshalb die vielen Links – denn Stimmen sind heute mein Thema.

Foto: © formschub

Die Idee dazu kam mir, als ich neulich mal wieder eine Folge der Serie »Vikings« sah und merkte, dass mich die deutsche Synchronstimme einer der auftretenden Figuren, König Olaf, irritierte. Irgendwoher kannte ich sie, aber »anders gesprochen«, nicht so rauh und gepresst. Fast die gesamte Folge lang suchte ich in meinem Kopf nach der Assoziation, die die Stimme auslöste, bis es mir endlich einfiel – es war die älter intonierte Stimme des deutschen Synchronsprechers Detlef Bierstedt von Commander Will Riker alias Jonathan Frakes aus Star Trek – The Next Generation. Hätte ich »Vikings«, wie manch andere Serie, in der Originalfassung gesehen, wäre mir diese Irritation erspart geblieben – einer der möglichen Nachteile einer deutschen Synchronisation.

Stimmen der Kindheit

Aber deutsche Synchronstimmen sind trotzdem was Tolles. Wenn ich versuche, mich an die frühesten Stimmen fiktiver Figuren aus Hörspielen und Filmen zu erinnern, die mir einfallen, sind vermutlich die ersten aus meiner Kindheit »Dick und Doof« alias Oliver Hardy und Stan Laurel, gesprochen von Bruno W. Pantel als Olli und Walter Bluhm als Stan (Walter Bluhm begegnete mir später wieder als die Stimme von Mr. Stringer in den »Miss-Marple«-Verfilmungen mit Margaret Rutherford). Mit einer stimmlichen One-Man-Show sorgte auch Hanns-Dieter Hüsch als Off-Stimme bei den ZDF-Fernsehbearbeitungen der Laurel-und-Hardy-Filme und in den Slapstick-Episoden »Väter der Klamotte« für meine nachhaltige Erheiterung als Kind. Dicht dahinter folgen Ernie und Bert aus der »Sesamstraße«, deren unverwechselbare deutsche Stimmen Gerd Duwner und Christian Rode beisteuerten, und die »Nachbarn« des Puppenduos: Schlemihl, Sherlock Humbug (beide Horst Stark), Grobi (u.a. Karl-Ulrich Meves) und das Krümelmonster (u.a. Alexander Welbat).

Etwa im selben Alter, noch in der Grundschule, hörte ich auf meinem kleinen orangefarbenen Cassettenrecorder bis zum tränenreichen Bandsalat das Hörspiel »Eine Woche voller Samstage« und erinnere mich bis heute an die Stimme von Peter Schiff als Sams-Adoptivpapa Herr Taschenbier, der kurioserweise auch die deutsche Stimme des rebellierenden Bordcomputers HAL in »2001 – Odyssee im Weltraum« ist.

Mit dem ersten eigenen Plattenspieler hielten die EUROPA-Hörspiele Einzug in mein Kinderzimmer und mit ihnen »Hui Buh, das Schlossgespenst«, gesprochen von Hans Clarin in Begleitung von Wolfgang Kieling als »König Julius der Einhundertelfte«.

Vom leichten Grusel der Hui-Buh-Geschichten weitete sich meine Vorliebe dann zu Beginn der Teenagerzeit unter anderem aus auf Klassiker wie »Dracula« (ebenfalls ein EUROPA-Hörspiel), dessen unheimliche Inszenierung mir im Nachhinein manch schlaflose Nacht bereitete, aber ich wollte das ja schließlich nicht anders. Gesprochen wurde die Geschichte von der einzigartigen Stimme Hans Paetschs; den blutrünstigen Grafen verkörperte ebenso einprägsam Charles Regnier.

Und dann das Fernsehen! Auch das Kinderprogramm pflegte damals extra Programmankündigungen durch Ansagerinnen und zumindest an die warme Stimme von Heidrun von Goessel kann ich mich noch gut erinnern. Inzwischen dem Grundschulalter entwachsen, erlaubten mir die Eltern, die 70er-Jahre-Klamauk-Show »Klimbim« anzusehen und somit gehören auch die Stimmen von Ingrid Steeger und Elisabeth Volkmann in mein Stimmenschatzkästchen. Letztere begleitete mich als die Stimme von Marge in der deutschen Fassung der »Simpsons« bis in die Gegenwart, zumindest solange, bis – nach ihrem Tode – Anke Engelke diesen Part gekonnt übernahm. In die memorablen Stimmen aus der »Comedy-Ecke« gehören auch Hape Kerkeling, Otto Waalkes, Dieter Hallervorden (Didi in »Nonstop Nonsens«) und seine Sketchpartnerin Rotraut Schindler, deren Stimme ich gerne auch nach Didi gerne noch viel öfter woanders gehört hätte – und natürlich Loriot und Evelyn Hamann, die mir nicht nur durch den einzigartigen Humor des »Meisters«, sondern auch durch ihr brillantes Spiel mit Sprache und Stimme im Gedächtnis geblieben sind (Update und danke an den Kommentar von Carsten, der mich auf das peinliche Versäumnis der Erwähnung der beiden hinwies!).

Was fällt mir zu Kino- und Spielfilmen aus Jugendtagen ein? Natürlich die bis heute als Klassiker geltenden Komödien des »französischen HB-Männchens« Louis de Funès, dem zwar im Laufe seines Filmschaffens verschiedene deutsche Sprecher die Stimme verliehen, aber in meinem Kopf höre ich aus meinem Filmfavoriten »Brust oder Keule« zuerst immer Gerd Martienzen. Eine grandiose Frauenstimme aus dieser Zeit verbinde ich auch mit dem Disney-Abenteuer »Bernard und Bianca«, in dem die rauchige Stimme der Synchronsprecherin Gisela Fritsch die Bösewichtin Madame Medusa für mich zum Leben erweckte (Leider habe ich zu diesem Film keine deutsche Hörprobe gefunden).

Unter den Klassikern der Siebziger darf auch »Ein Herz und eine Seele«, eine der ersten deutschen »Sitcoms«, nicht unerwähnt bleiben, denn auch dort erklang eine Stimme, die ich im Kopf mit mir trage: Elisabeth Wiedemann und ihr immer leicht pikierter, hanseatischer Tonfall als duldsame Gattin von »Ekel Alfred«.

Aus den Achtzigern erinnere ich mich vor allem an zwei Stimmen, die wegen ihres vermeintlich »erotischen« Timbres populär wurden: der raunende Radiobass Elmar Gunsch und Susi, die leicht frivole Off-Stimme aus Rudi Carrells Kuppelshow »Herzblatt«. Und auch wenn mich beide Stimmen persönlich nicht ansprachen, habe ich sie dennoch bis heute im Ohr.

Ab 1990 wurden in Deutschland die ersten Folgen von »Star Trek – The Next Generation« ausgestrahlt – für mich als Fan der Originalserie ein Muss. Seit jeher war ich angetan von der perfekt passenden, unterkühlten Synchronstimme Mr. Spocks (Herbert Weicker) und nun kam mit Ernst Meincke für Captain Picard (Patrick Stewart) ein ebenbürtiger Stimmnachfolger im Star-Trek-Universum hinzu, einige Jahre später (1996) eroberte Kate Mulgrew als Captain Kathryn Janeway mit der deutschen Stimme von Gertie Honeck den Delta-Quadranten. Ein weiteres sprachliches Star-Trek-Feature ist, dass die weibliche Computerstimme in fast allen Star-Trek-Folgen Majel Barrett gehört, der Ehefrau des Serienschöpfers Gene Roddenberry. Die Rollen bei der deutschen Synchronisation des Computers teilen sich Eva-Maria Werth und Margot Rothweiler.

Verwechslungsgefahr

Die deutsche Synchronisation bringt es manchmal auch mit sich, dass einige Sprecher für die Vertonung eines bestimmten Leinwandstars quasi »fest angestellt« sind. Das ist für den Zuschauer angenehm, weil er sich in einem gewohnten akustischen Rahmen der erzählten Geschichte und der verkörperten Figur widmen kann, ohne sich jedesmal mit einer neuen Stimme desselben Schauspielers anfreunden zu müssen – muss man ja bei deutschen Filmen schließlich auch nicht. Und auch für den Sprecher ist es von Vorteil, hängt doch die Popularität seiner Stimme bisweilen an derjenigen des synchronisierten Stars und bietet ihm damit idealerweise eine längerfristige Einkommensquelle.

Kurios wird es, wenn ein und derselbe Sprecher parallel für mehrere berühmte Schauspieler »gebucht ist« – und noch kurioser wird es, wenn zwei dieser Schauspieler dann zufällig gemeinsam in einem Film auftreten. So war etwa Thomas Danneberg lange Jahre sowohl für die Stimme von Arnold Schwarzenegger verantwortlich als auch für die von Sylvester Stallone. In den Action–Blockbustern »The Expendables 2« (2012) und »The Expendables 3« (2014) spielen beide gleichzeitig eine tragende Rolle und wurden tatsächlich auch beide darin von ihrem gemeinsamen Stammsprecher synchronisiert. Ich habe beide Filme nicht gesehen, vermute aber, die für gewöhnlich eher reduzierten Wortbeiträge in Werken dieses Genres waren mit ein Grund dafür, dass kein zweiter Sprecher notwendig war …

Weitere Kandidat*innen für solche Starstimmenkollisionen sind zum Beispiel Joachim Kerzel (Anthony Hopkins/Harvey Keitel/Dennis Hopper), Manfred Lehmann (Bruce Willis, Gérard Depardieu, Kurt Russell, Dolph Lundgren) und bei den Frauen Petra Barthel (Julianne Moore, Nicole Kidman, Uma Thurman), Bettina Weiß (Sandra Bullock, Milla Jovovich, Rachel Weisz, Juliette Lewis) oder Ulrike Stürzbecher (Jennifer Aniston, Kate Winslet, Patricia Arquette). Hollywood, da geht noch was!

Raunen, Wispern, Brummen, Säuseln

Was für Stimmen gefallen mir heute? Oft merke ich das erst, wenn ich sie höre. Spontan erinnere ich mich an zwei Alltagsbegegnungen: die eine war ein Werbeagentur-Kundenmeeting bei einer Hamburger Spieleentwicklungsfirma, bei dem sich mir der sonore Bass eines der Geschäftsführer ins Gehör schmeichelte und die zweite war ein Essen in einem italienischen Restaurant in Stralsund, bei dem unter den Gästen ein bayerischer Bariton war, dessen Timbre mir bis heute ebenfalls nicht aus dem Kopf geht. Ich habe offenbar ein Faible für tiefe, dunkel vibrierende Männerstimmen – die Sprecher Bryant Cantrell, Rolf Buschpeter oder Michael Leon Wooley mögen als Beispiel dafür dienen – oder, je nach Rolle, Benedict Cumberbatch.

Ich war natürlich auch neugierig, welche Stimmen in meinem »Twitterversum« besonders beliebt sind, deshalb machte ich vor kurzem auf Twitter eine kleine Umfrage dazu. Die Resonanz darauf hat mich überrascht und gefreut: In insgesamt 162 Antworten wurden insgesamt 217 Sprecher und Sprecherinnen genannt, darunter 166 Männer und (leider, warum?) nur 51 Frauen. Ich habe die Antworten nach Mehrfachnennungen sortiert und die ersten vier Plätze für Herren und Damen zusammengestellt. Und weil viele der Replies sich auch ausdrücklich auf den Stimmengenuss bei Hörbüchern bezogen, habe ich für die Platzierten auch jeweils ein Hörbuch von Audible verlinkt, das von den gekürten Stimmenfavoriten gelesen wird – akustische Leseproben inklusive.

Männliche Stimmen:

  1. David Nathan (u.a. Christian Bale, Johnny Depp): 11 Nennungen, liest »Es« von Stephen King
  2. Hans Paetsch: 8 Nennungen, liest »Der Stechlin« von Theodor Fontane
  3. Benedict Cumberbatch: 7 Nennungen, liest »Die Verwandlung« von Franz Kafka, natürlich in englischer Sprache, und teilt sich den 3. Platz mit Christian Brückner (Robert de Niro), Norbert Langer (Tom Selleck) und Stephen Fry
  4. Andreas Fröhlich (John Cusack, Edward Norton): 6 Nennungen, liest »Der Krieg der Welten« von H. G. Wells

Weibliche Stimmen:

  1. Franziska Pigulla (Gilian »Scully« Anderson, Demi Moore): 8 Nennungen, liest »Carrie« von Stephen King
  2. Katharina Thalbach: 7 Nennungen, liest den Miss-Marple-Roman »Ruhe unsanft« von Agatha Christie
  3. Hansi Jochmann (Jodie Foster): 3 Nennungen, liest »Das Schweigen der Lämmer« von Thomas Harris
  4. Cate Blanchett: 2 Nennungen

Die komplette Liste mit allen Nennungen, alphabetisch nach Vorname sortiert (PDF)

Und obwohl Blogkommentare nicht mehr so richtig »en vogue« sind, freue ich mich natürlich trotzdem über Eure Stimm-Erinnerungen, Anekdoten oder Anmerkungen, falls Ihr auch welche beisteuern wollt. Ich höre!

Und selbst? – Muss ja.

Endlich habe nun auch ich mir mal die hochgelobte Serie »The Handmaid’s Tale« nach dem Roman von Margaret Atwood zur Ansicht vorgenommen. Vor einigen Monaten hatte ich bereits die Verfilmung »Die Geschichte der Dienerin« von Volker Schlöndorff aus dem Jahr 1990 gesehen, aber die Serie hat natürlich ungleich mehr Zeit zum Erzählen der Handlung und für die Zeichnung der Charaktere zur Verfügung – und sehr wahrscheinlich auch ein größeres Produktionsbudget.


Was der Darstellung der düsteren Geschichte aus meiner Sicht sehr zugute kommt, sind die zahlreichen Rückblenden – Alltagsszenen aus einer Zeit, die von der unseren (von Corona mal abgesehen) eigentlich kaum zu unterscheiden ist. Die rasend schnelle Transformation dieser »ganz normalen Demokratie« in eine christlich-fundamentalistische, patriarchalische Diktatur erscheint um so gruseliger im Lichte tendenziell nicht unähnlicher brandaktueller Situationen rund um den Globus, sei es in den USA unter Trump, in Brasilien mit Bolsonaro, in Polen (wo den aktuellen heutigen Wahlergebnissen zufolge die dortige PIS-Regierung vier weitere Jahre lang die Uhren zurückdrehen darf) oder in der Türkei, die sich ebenfalls immer weiter von einer Demokratie hin zu einer Autokratie bewegt.

Ich bin nun mitten in der ersten Staffel der Serie, die laut Episodenguide ähnlich enden wird wie die Literaturvorlage. Die bereits erschienene zweite und dritte Staffel wird wohl somit die Geschichte abseits des Buches fortsetzen. Ich bin gespannt, wie dies geschehen wird und ob es auf einem ähnlich hohen Niveau gelingt und funktioniert. Immerhin, so liest man, hat Margaret Atwood die erste Serienstaffel sowie deren Fortsetzungen als »Consulting Producer« begleitet, hat einen sekundenkurzen Cameo-Auftritt in der Pilotfolge und im Herbst 2019 erschien ihre eigene Fortsetzung der Geschichte (»Die Zeuginnen«) in Buchform. Diese wiederum spielt fünfzehn Jahre nach der Handlung des ersten Romans und somit auch nach Abschluss der bisherigen Handlung der Serie.

Trotz aller Düsternis jedoch findet sich auch in dystopischen Geschichten manchmal Platz für etwas Humor. Sei es, dass dieser vom Schöpfer selbst bereits so vorgesehen ist, wie etwa in Terry Gilliams großartigem Meisterwerk »Brazil«, oder er durch eigene Assoziationen beim Zuschauer bzw. Leser entsteht. Ich zum Beispiel musste im Verlauf der Serie zunehmend schmunzeln, und zwar jedesmal, wenn sich die Serienfiguren bei ihren Begegnungen die immer gleichen leergeleierten, staatlich verordneten Begrüßungsfloskeln zuwerfen. Ich hätte da längst schon den Drang nach etwas Abwechslung verspürt, geeignete andere Floskeln gibt es ja genug und einige davon habe ich mal zu einer kleinen Cartoonserie aufbereitet (die ersten beiden sind die Original-Begrüßungsformeln).

Viel Spaß – und mögen wir immer gut auf unsere schöne Demokratie aufpassen.

Vers-uchsweise

Ich bin kein Literaturübersetzer und es heißt ja, Gedichte zu übersetzen, sei eine der schwierigsten Disziplinen dieser Zunft, aber ich möchte es zumindest einmal versuchen – für eines meiner Lieblingsgedichte. Das Werk stammt von der amerikanischen Schriftstellerin Mary Oliver und trägt im Original den Titel »The Sun«.

Die Sonne

Erblicktest du jemals
im Leben
etwas Schöneres

als die Sonne,
die allabendlich
ruhig und stetig
gen Horizont sinkt

in die Wolken, auf die Hügel,
in das wogende Meer,
wie sie verschwindet –
und wieder aufsteigt

aus dem Dunkel
jeden Morgen,
auf der anderen Seite der Welt,
so blütenrot,

sich aufschwingend zu ihrer himmlischen Bahn,
eines Morgens etwa, im frühen Sommer,
in strahlender Ferne, so nah –
und empfandest du jemals für etwas
so tiefe Liebe –
glaubst du, weit und breit, in den Sprachen der Welt,
umfasste ein Wort gänzlich
die Freude

die dich durchströmt
wenn die Sonne
dich berührt
und dich wärmt,

wenn du dastehst
mit leeren Händen,
oder wandtest auch du dich
ab von der Welt –

oder ließest auch du
dich blenden
von Macht,
von Besitz?

(Mary Oliver)


Foto: © formschub

Einspruch

Das berühmteste Herbstgedicht – wer kennt es nicht?

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

(Rainer Maria Rilke)

Ich hätte da allerdings eine Entgegnung:

Herr, bist Du jeck? Der Sommer war zu kurz!
Nimm fix die Schatten von den Sonnenliegen,
und wenn schon Wind, dann höchstens einen Furz.

Die letzten Früchte? – meinetwegen lass sie reifen,
dann scheint die Sonne wenigstens noch mal
und Wein hat schließlich auch sein Potenzial,
zum schweren, süßen aber sollen and’re greifen.

Dass Bauprojekte stocken, Herr, ist heute üblich.
Allein muss niemand bleiben – es gibt Internet,
Lesen und Schreiben tut man mit Tablet,
doch düst’re Jahreszeiten machen mich betrüblich,
ich glaub’, der Herbst ist mittlerweile obsolet.


Foto: © formschub

Menschenleer

Schon seit geraumer Zeit faszinieren mich Orte in größeren Städten, die ursprünglich für die »Massenabfertigung« größerer Menschenmengen konzipiert wurden, die ich aber zu bestimmten Zeiten oder in nur kurzen, zufälligen Momenten komplett verlassen vorfinde. Vielleicht wird ja eine kleine Serie daraus – hier sind zumindest schon mal zwei Motive.

Update Juni 2020: Im Zuge des Lockdowns zu Beginn der Corona-Pandemie hat der Hamburger Fotograf Andreas Vallbracht die Gelegenheit genutzt, menschenleere Orte zu fotografieren, die sonst 24/7 vor Passanten und Touristen nur so wimmeln. Ein gespenstisches Portfolio.


Fotos: © formschub