Als ich heute Altpapierkartons zerkleinerte, Überreste der jüngsten Paketzustellungen online bestellter Weihnachtsgeschenke, fiel aus einem der Kartons ein kleines Kärtchen zu Boden. »Folge mir auf Instagram«, stand darauf. Nicht gewöhnt, von solchen Zetteln geduzt zu werden, ergänzte mein Hirn ein »…, Baby!« am Ende und ich fand, das klingt ein bisschen wie ein Anmachspruch, den jemand meiner Generation »jungen Leuten« zuschreiben würde. Ich fragte mich, ob es inzwischen wohl schon Schlager gibt, deren typische, liebesseichte Texte auch das heute selbstverständliche, permanente Online-Sein, Social Media und andere digitale Errungenschaften aufgreifen. In meinem Kopf begann eine Melodie im Stil eines Songs von Andreas Dorau zu spielen, andere Hirnzellen steuerten stilistisch passende Textfragmente bei und voilà – so in der Art könnte ich mir dergleichen vorstellen:
Ich hab Dich zuerst auf TikTok gesehn, (oh Baby Baby) Du performtest mega und warst wunderschön. Ich ging auf Insta, um mich abzulenken, doch dauernd musste ich an Dich denken.
Ich traute mich nicht, Dir ein Like zu geben, (oh Baby Baby) dies Gefühl hatte ich noch nie im Leben. App auf, App zu, was ist nur gescheh’n? Wie konntest Du mir nur so den Kopf verdreh’n?
Folge mir auf Facebook, Baby! Teile meine Story, Sugar! Gib mir einen Comment, Honey! Klick mich an, das ist kein Scherz, setz’ ein Bookmark für mein Herz.
Ich bin sonst nicht schüchtern, doch Du haust mich um, (oh Baby Baby) seh’ ich Dein Profilbild, macht mein Herz Boom-Boom. Vorhin hab ich endlich auf »Follow« geklickt, Du hast akzeptiert, das macht mich verrückt!
Ich hab Dir geschrieben: Willst Du ein Date? (oh Baby Baby) Ich schau’ voll nervös auf mein Endgerät. Wo bleibt Deine Antwort, willst Du mich nicht seh’n? Der Traum meines Lebens wär, mit Dir zu gehn.
Schreib mir eine Message, Baby! Fave meine Postings, Sugar! Verlinke mich auf Twitter, Honey! Klick mich an, das ist kein Scherz, setz’ ein Bookmark für mein Herz.
Die Tage vergehen, ohne dass Du mir schreibst, (oh Baby Baby) Du postest auch nichts, ich frag’ mich, wo Du nur bleibst. Heut steht auf Deiner Page: Du warst gar nicht echt, bist nur ein Deep-Fake-Girl – und mein Herz zerbricht.
Ich verlasse Facebook, Baby, lösche mich auf Insta, Sugar, gehe nie mehr online, Honey. Mein Traum war nur ein Cyber-Scherz, ich lösch’ mein Bookmark für Dein Herz.
Über das kürzliche lange Wochenende war ich gleich zweimal zu Gast im »Wirtshaus im Gut« in Wunsiedel und genoss dort als Vorspeise eine hervorragende Wildsuppe. Ich habe versucht, die Zutaten und die Zubereitung zu erschmecken, um zu versuchen, sie zu Hause nachzukochen. Heute hatte ich die Muße und Lust dazu, habe morgens auf dem Wochenmarkt und im Supermarkt alles Notwendige besorgt – und das Ergebnis kommt dem Original wunderbar nahe. Vom Aufwand und den feinen Zutaten her (die Pilzeinlage ist ein von mir hinzugefügtes Extra) ist es ein wahres Sonntagsessen – aber es lohnt sich.
Zutaten(für 3–4 Teller)
300 g Wildgulasch (z.B. Reh oder Wildschwein) 1 große Karotte* 1 mittelgroße Zwiebel 1 kleine Stange Lauch* 1 etwa mandarinengroßes Stück Knollensellerie* 3 EL Tomatenmark 200 ml Rotwein 1200 ml Wildfond aus dem Glas 1 Handvoll frische oder tiefgekühlte Waldpilze (z.B. Pfifferlinge oder Steinpilze) neutrales Öl zum Braten und Gemüse-Rösten (z.B. Rapsöl) 4 schwarze Pfefferkörner 8 Pimentkörner 6 ganze Gewürznelken 1 Lorbeerblatt Salz Pfeffer aus der Mühle 60 ml Madeira oder Sherry 50 g Mehl 35 g Butter 1 El Balsamico 2–3 Zweige Petersilie*
(* = kann man auch im Bundle als Suppengrün kaufen)
Zubereitung(alles in allem dauert sie ca. 2½–3 Stunden)
Das Gemüse putzen und in ca. würfelzuckergroße Stücke schneiden. Mit etwas Öl vermengen, einlagig auf einem mit Backpapier belegten Blech verteilen und im vorgeheizten Backofen bei 220 °C etwa 20–30 Minuten anrösten, bis es deutliche dunkelbraune Stellen bekommt.
Derweil die Pilze putzen und fein würfeln. In einem großen Suppentopf mit etwas Öl oder Butter kurz anschmoren, rausnehmen und beiseitestellen. Ggf. Öl nachgießen und die Wildgulaschstücke im selben Topf scharf von allen Seiten braun anbraten. Ebenfalls herausnehmen und beiseitestellen.
Nochmals ggf. Öl nachgießen und das geröstete Gemüse in den Suppentopf geben. Mit dem Tomatenmark unter Rühren anrösten und mit dem Rotwein ablöschen. Hitze reduzieren und den Rotwein fast völlig einkochen lassen. Das gebratene Fleisch zugeben, mit dem Wildfond aufgießen und die Gewürze zugeben. Mit geschlossenem Deckel 45 Minuten leicht vor sich hin köcheln lassen, dann nochmal 15 Minuten mit geöffnetem Deckel simmernd einkochen lassen.
Das Fleisch aus der Suppe herauslesen und beiseitestellen. Die Suppe durch ein feines Sieb in einen kleineren Suppentopf gießen und das getränkte Gemüse im Sieb gut ausdrücken – es hat damit seine Schuldigkeit getan und kann in den Bioabfall.
In einem trockenen kleinen Topf bei mittelstarker Hitze das Mehl trocken unter ständigem Rühren erhitzen, bis es goldbraun wird (nicht anbrennen lassen!). Die Butter zugeben und unterrühren, bis eine streuselartige, aber homogene Masse entsteht. Zwei Kellen der durchgesiebten Suppe zugeben und mit einem Schneebesen glattrühren. Die entstandene Mehlschwitze zum Rest der Suppe zurückgießen und alles unter Rühren mit dem Schneebesen nochmals einige Minuten leicht aufkochen lassen. Den Sherry/Madeira zugeben und mit Salz, Pfeffer und Balsamico würzig abschmecken.
Das gekochte Wildfleisch in kleine Stücke schneiden, zusammen mit den angeschmorten Pilzen und der kleingehackten Petersilie in die heiße Suppe geben und unterrühren.
Die ersten Buchstaben, an die ich mich erinnern kann, waren die eines ABC-Lernspiels. Die kleinen quadratischen Kunststoffkärtchen zeigten jeweils auf der einen Seite einen schwarzen Großbuchstaben, auf der anderen Seite die einfarbige Zeichnung eines Gegenstandes, der mit diesem Buchstaben begann. Mein Onkel, damals Grundschullehrer, lehrte mich mit diesem Spiel lesen, noch bevor ich vier Jahre alt war.
14 Jahre später, Mitte der Achtziger Jahre, brachte die Popband »Art Of Noise« das Album »In Visible Silence« heraus. Auf dem Cover war der Name der Band in fotografierten »Accidental Letters« zu lesen. Das inspirierte mich und ich zog mit meiner kleinen Analogkamera los, um für eine Weile auf Schritt und Tritt mein eigenes Alphabet dieser Art zu knipsen. Die Fotos habe ich immer noch, lediglich die Buchstaben B, L und U fehlen, ob die Abzüge verschollen sind oder ich sie aus unbekanntem Grund nicht fotografiert habe, ist ungewiss.
Etwa zeitgleich pflegte ich meine selbst aufgenommenen Mixtapes mit sogenannten »Rubbelbuchstaben« zu beschriften. Es gab einen dicken Katalog der Firma Letraset mit hunderten verschiedener Alphabete, natürlich jedes in verschiedenen Schriftgrößen erhältlich und ich hatte etliche dieser Beschriftungsbögen in meinem Besitz. Oft verfremdete ich Buchstaben, indem ich mit einem feinen Skalpell Teile davon noch vor dem Aufrubbeln entfernte oder aus Segmenten mehrerer Buchstaben verschiedener Schriften neue, eigene Lettern zusammensetzte. Einige derart beschriftete Cassetten haben die Jahre überstanden, aber meine Rubbelbuchstabenphase war irgendwann vorbei.
Auch heute in meinem Beruf als Artdirektor und Grafik-Designer habe ich fast täglich mit Buchstaben zu tun. Es macht mir Spaß, für Kunden mit Schriften zu gestalten, Texte zu setzen oder Medien damit zu layouten. Ganz besonders mag ich die Recherche nach einer passenden Schrift, wenn ein Kunde ein neues Logo für sein Unternehmen oder ein neues Produkt in Auftrag gibt. Welche Schrift sieht »maritim« aus (z.B. für einen Kunden aus dem Bereich Schiffsautomation) oder »juristisch« (etwa für eine Anwaltskanzlei)? Ich kann stundenlang die Datenbanken der Schriftanbieter durchsuchen, um nach einem Font zu suchen, der die Branche und das Image des Kunden mit dem neuen Logo typografisch auf den Punkt bringt und ich denke, meist gelingt mir das ganz gut.
Doch die Arbeit mit Schriften in meinem Job bewegt sich meistens auf dem Gebiet der »glatten« Typografie. Professionelle Fonts haben detailliert und präzise ausgearbeitete Buchstabenformen und obwohl es auch tausende Schriften gibt, die »handgemacht« oder »grungy« gestaltet sind, sieht ein und derselbe Buchstabe immer stets 100% gleich aus oder aber ein Algorithmus wechselt beim Tippen zufällig zwischen mehreren leicht unterschiedlichen Formvarianten desselben Buchstabens, so dass organische Variationen in Wörtern simuliert werden, aber es bleibt eine Simulation – berechnet, technisch und artifiziell.
Kommt ein und derselbe Buchstabe einer Computerschrift in einem Wort mehrmals vor, sieht er entweder immer gleich aus oder die Software »rotiert« durch mehrere Formvarianten. Wird der betreffende Buchstabe häufiger verwendet, als es Varianten gibt, wiederholen sich die Letterformen wieder von vorn. Im unteren Beispiel sind offenbar drei verschiedene e-Varianten in der Schrift hinterlegt, das vierte getippte e sieht daher wieder aus wie das erste. Diese Unzulänglichkeit fällt insbesondere bei abgewetzt oder handgeschrieben aussehenden Schriftarten auf.
Und genau an diesem Punkt beginnt meine Begeisterung für besondere Schriften und außergewöhnliche Buchstaben. Ich finde Formen, Schriftzüge und Beschriftungen eigentlich am interessantesten, wenn sie zum Unikat werden. Entweder hat sich ein Laie, ein professioneller Schriftmaler oder ein Gestalter speziell für die zu lösende Aufgabe oder Anwendung eine individuelle Lösung einfallen lassen und diese umgesetzt, mit absichtlich eigens kreierten Lettern und/oder unvermeidbaren, handwerklich bedingten Formabweichungen – oder die Schriftformen bekamen nachträglich durch äußere Einflüsse wie z.B. Verwitterung einen einzigartigen Look. Dann fangen Buchstaben für mich an, Geschichten zu erzählen, die über den dargestellten Text hinausgehen.
Manchmal erkennt man handgezeichnete Schriften sofort, aber bisweilen sind sie auch gut getarnt. Ein Beispiel dafür sind die Titel der deutschen Fernsehserie um die hessische »Familie Hesselbach« aus den 1950er Jahren. Hier enthüllt nur genaueres Hinsehen, dass diese tatsächlich von Hand erstellt wurden, da sich einzelne gleiche Buchstaben formal ganz leicht voneinander unterscheiden. Interessant für typografische Erbsenzähler, aber visuell eher unaufregend.
Interessanter wird es, wenn die Besonderheiten der Buchstaben und Schriftzüge kaum mehr zu übersehen sind. Spätestens seit ein Smartphone mein ständiger Begleiter ist, knipse ich auf jeder Reise, auf alltäglichen Wegen, im Urlaub, beim Einkaufen oder auf Ausflügen typografische »Sehenswürdigkeiten« und poste diese auch unregelmäßig hier im Blog (siehe die Linkliste zu den bisherigen Beiträgen am Ende dieses Postings) und ich möchte im Folgenden mal eine ganze Reihe davon vorstellen, die ich thematisch etwas übersichtlicher gruppiert habe.
Eyecatcher
Dies sind Fundstücke, die eine (manchmal nur kleine) typografische Besonderheit aufweisen, die eindeutig zum Hingucker wird. Mich begeistert immer wieder der Erfindungsreichtum der Skandinavier bei der Formgebung des kleinen Buchstabens »g«, aber auch ein »Buchstabenfriedhof« mit ausgemusterten Leuchtbuchstaben oder das Logo eines dänischen Zimmermanns, der sich mit kindlicher Experimentierfreude jeglichen branchenüblichen Konventionen widersetzt.
Eingeritzt
Bei manchem Naturspaziergang finden sich außer narbigen Liebesgleichungen gelegentlich auch noch andere typografische Botschaften in der einen oder anderen Baumrinde, die zum Nachdenken über die Urheber oder auch zum Gruseln anregen.
Handgeschrieben
Hier ist der Inhalt meistens nicht von der Form zu trennen. Wer hat das wohl geschrieben? In welcher Stimmung war die schreibende Person und inwiefern hat sich ihre Gemütsverfassung vielleicht auch auf die Form der Buchstaben ausgewirkt? Ist das noch »Graffiti« oder irgendwas anderes? Auf jeden Fall sind es sehr persönliche Botschaften.
Eigenwillig
Hier ist der Hintergrund der kreierten Buchstaben und Schriftzüge schon etwas professioneller: der Absender betreibt ganz offensichtlich ein Gewerbe und möchte seine potenziellen Kunden darauf hinweisen oder darüber informieren. Jedoch ist weder typografisches Know-how vorhanden noch ist der Urheber willens oder in der Lage, Geld in professionelle Gestaltungshilfe zu investieren. Und demzufolge buhlen schließlich ungelenke Botschaften und schiefe selbstgebastelte Logos um die Gunst der Kundschaft – auffallend sind sie aber allemal.
Unvollkommen
Hochprofessionell ist der Anspruch, edel die Materialien, teuer die Anbringung (zumindest bis auf das letzte Beispiel). Und doch unterlief den Buchstaben während bzw. nach der Anfertigung oder Installation ein Missgeschick, das erst auf den zweiten Blick auffällt, daher ist diese Bildergalerie mit Erläuterungen versehen.
Foto: Rainer Lück | Wikipedia (CC BY-SA 3.0 DE)Screenshot1. Das V ist spiegelverkehrt · 2. Die Öffnung des d (»Punze«) ist nach links verrutscht · 3. Dito (p) · 4. Dito (zweimal d) · 5. Das zweite A ist spiegelverkehrt · 6. Jemand hat das H geklaut · 7. B und O stehen sich wohl sehr nahe · 8. Nur das W verdeckt sein Innenleben · 9. Alle t sind spiegelverkehrt, vermutlich aus dem Gedächtnis gezeichnet
Ausgelassen
»Hereinspaziert, meine Damen und Herren! Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Jedes Los ein Gewinn!« – auf der Kirmes, dem Jahrmarkt, der Dult, dem Schützenfest tummeln sich die handgefertigten Schriftzüge der Schausteller zuhauf und versuchen die vergnügungswilligen Besucher zu Buden und Fahrgeschäften zu locken. Fröhlich und auffällig muss es sein. Und möglichst bunt.
Dahingegangen
Das Gegenteil der Kirmes ist vermutlich der Friedhof. Hier ist nun endgültig Schluss mit lustig, aber typografisch spannend bleibt es trotzdem. Schaut man sich die Sterbedaten auf den Grabmalen an (sofern sie noch zu lesen sind), wirken einige der Buchstabenformen überraschend modern für jene Zeit.
Vernachlässigt
Der Zustand des Bahnnetzes in Deutschland ist desolat. Seit der Bahn-Reform im Jahr 1994 hat die Deutsche Bahn mehr als 5400 Kilometer ihres Streckennetzes abgebaut, inklusive vieler Stationen. Davon betroffen sind auch etliche teils prunkvolle Bahnhofsgebäude oder Stellwerkposten, die im Vorbeifahren aus dem Zugfenster oder beim Aussteigen als Relikte des dort einst regen Bahnverkehrs ins Auge fallen. Doch sowohl die architektonischen Details als auch die Beschriftungen lassen noch einen Hauch der früheren Pracht erahnen.
Nostalgisch
Die Fünfziger und Sechziger Jahre waren die Glanzzeit der Reklame und des Kinos. Erste Wahl für Werbebeschriftungen jener Zeit waren oftmals handgeformte Neon-Schriftzüge. Spätestens seit dem Einzug preiswerter LED-Leuchtelemente sind die aufwendig gefertigten gasgefüllten Glasgebilde zum teuren Luxus geworden. Aber an manch altem Gebäude, das die Zeit überdauert hat, kann man sie noch sehen, an Lichtspielhäusern, Bars oder Geschäften. Die Formen der Buchstaben sind oft ebenso ästhetisch und eigenwillig wie charakteristisch für die Aufbruchsstimmung und den Zukunftsglauben der Nachkriegszeit. Eine meiner Lieblingsrubriken für famose Buchstabenformen. Als Bonus am Ende dieser Galerie noch zwei Fundstücke aus anderen Bereichen, die aber dennoch ihren gestalterischen Ursprung etwa in derselben Zeit haben.
Geschichtsträchtig
Noch älter als »Retro« und zumeist nicht beleuchtet, aber oftmals entweder überraschend gut erhalten oder liebevoll restauriert, finden sich auch abseits von Bahnhöfen und Kinos historische Schriftzüge mit sehr schönen, individuellen und handgefertigten Buchstabenformen. Manche als großformatige Ladenbeschriftungen, manche nur auf kleinen Tafeln oder Hinweisplaketten. Hinschauen lohnt sich.
Verwittert
Darunter fällt der weitaus größte Teil meines typografischen Fotobestandes. Wenn es keinen Grund mehr gibt, eine Inschrift instand zu halten, weil das Geschäft, Restaurant, Hotel, Unternehmen etc. schon lange nicht mehr existiert, sind die Buchstaben dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Sie blättern ab, bleichen aus oder werden übermalt und mit der Zeit bleibt nur noch ein kläglicher, aber interessanter Rest zurück. Ich frage mich oft, wie es wohl aussah und zuging an diesen Orten, als die Beschriftungen entstanden, in welcher Zeit das war und welche Geschichten die Buchstaben erzählen würden, wenn sie es könnten.
Geisterhaft
Noch unscheinbarer als verwitterte Buchstaben sind die Schriftzüge, von denen nur noch ein Schatten ihrer selbst übrig blieb. Die eigentlichen Buchstabenkörper, Schriftfolien oder Leuchtelemente wurden längst entfernt, vielleicht entwendet, sind von selbst abgefallen oder im Laufe der Jahre komplett unkenntlich geworden. Was bleibt, ist wie nach dem Abhängen eines alten gerahmten Bildes an der Wand nur noch ein Umriss, oft kaum noch lesbar. Buchstabenphantome.
Erheiternd
Manche Buchstabensichtung bringt auch einen stillen Humor mit sich. Keine Brüller oder Schenkelklopfer, aber auf eine gewisse Art kleine typografische Pointen.
Das war die vorerst letzte Galerie aus meinem Buchstabenarchiv. Wer sich die Blogbeiträge mit den Ausbeuten meiner typografischen Fotosafaris durch etliche deutsche und europäische Städte anschauen mag, kann die Links der nachfolgenden Liste anklicken. Es lohnt sich auf jeden Fall, zu Hause und auf Reisen selber mal die Augen offenzuhalten und nach Buchstaben zu suchen, die Geschichten erzählen. Es gibt viel zu entdecken.
Im vorhergehenden Blogbeitrag erwähnte ich eine vortreffliche italienische Vorspeise, die ich gleich zwei Mal im italienischen Restaurant Bellini in Stralsund genossen hatte. Schon beim ersten Mal nahm ich mir vor, zu versuchen, dieses Gericht zu Hause »nachzubauen«. Das habe ich inzwischen getan und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Nun müsste man in bester Kitchen Impossible-Manier natürlich das Original mit meiner »Fälschung« vergleichen, um die letzten Unterschiede zu erschmecken und ggf. auszugleichen. Aber es schmeckt zu 100% wie in meiner noch frischen Erinnerung und das ist ja eigentlich das Wichtigste.
Falls Interesse am Nachkochen besteht, hier das rekonstruierte Rezept.
Zutaten(für 2 Portionen):
2 Kugeln Burrata (leicht gekühlt, aber nicht kühlschrankkalt) 1/2 EL Butter 250 g möglichst aromatische Cherrytomaten, geviertelt 2 Blätter Basilikum, in schmale Streifen geschnitten sowie einige ganze Basilikumblätter zum Garnieren 2 cl (ca. 1 Schnapsglas voll) Portwein oder Madeira 2 cl Wasser 1 Msp. Vanilleschote, gemahlen (oder ausgekratztes Vanillemark) 1/2 Msp. Cayennepfeffer 1 TL Ahornsirup etwas Pfeffer Salz Balsamico
Die Butter bei starker Hitze schmelzen, bis sie leicht schäumt. Die Cherrytomaten, Vanille und Basilikum zugeben, Hitze reduzieren und 3 min unter gelegentlichem Umrühren köcheln lassen. Mit Portwein und Wasser ablöschen und weitere 5 min mit geschlossenem Deckel dünsten lassen. Dann Ahornsirup, Cayennepfeffer und Pfeffer zugeben und unterrühren. Mit Salz und Balsamico mild-fruchtig abschmecken. Das Ragout sollte nicht zu dessert-süß und nicht zu tomatensoßig-salzig sein, und die unterschwellige Schärfe von Pfeffer und Cayennepfeffer sollte auf der Zunge deutlich spürbar werden, sie wird später von der sahnigen Frische der Burrata wieder gemildert.
Die abgetropften Burrata jeweils in die Mitte eines tiefen Tellers legen, mit dem heißen Tomatenragout überschöpfen und mit etwas Basilikum garnieren.
Aus meiner Sicht eine perfekte Vorspeise für den Sommer.
Am kommenden Mittwoch kommt der »Tankrabatt«. Anlässlich dessen habe ich ein Gedicht, das ich vor gut zwei Wochen schon mal auf Twitter gepostet hatte, nun auch hierhin übertragen und um zwei Strophen (#5 und #6) ergänzt.
Ich bin Minister für Verkehr, weil ich mich nicht ums Klima scher’. Ich wohn’ im Autolobbydarm, hier steht die Zeit, s’ist weich und warm.
Verbrannter Treibstoff in der Luft – das ist und bleibt der schönste Duft! Freiheit mess’ ich in km/h, Wer schneller rast, ist eher da.
Leitplanken sind mein Tellerrand, drum bleiben wir ein Autoland! Mich durchlaufen süße Schauer, denk ich an uns’re Fahrzeugbauer.
Mobilität mit Rad und Bahn? Für mich ist das ein irrer Wahn. Verkehrswende? Wohin? Wieso? Mein Navi-Ziel heißt »Status quo«.
Wer reichlich tankt, bekommt Rabatt. Den Ölkonzernen, nimmersatt, füll’ ich mit Zuschüssen die Taschen. Ich hab’ Ideen, die überraschen!
Von Schuld an zu viel CO₂ sprech ich Fossilverbrenner frei. Willst du den Klimawandel hemmen, verzichte halt aufs Instagrammen.
Milliarden pump’ ich ins Bewahr’n. Wer Zukunft will, soll Auto fahr’n! Sportboliden! SUVs! Vier Räder hat das Paradies!
Die Erde heizt sich weiter auf, ich sponsor’ den Verbrennerkauf. Der Acker dörrt, es steigt das Meer, ich bin Minister für Verkehr.
Wer kennt es nicht – das Elend mit den fertig abgepackten Lebensmitteln. Vorgestern hatte ich Appetit auf ein Rezept aus einem australischen Kochbuch (Fischfilet-Stücke mit Oliven-Tapenade bestrichen, in Weinblätter gewickelt und in einer Auflaufform 15 Minuten im Ofen gebacken) und musste dafür notgedrungen eine ganze Packung Weinblätter kaufen. Und gestern saß ich dann da mit 200 g Restweinblättern und überlegte, was ich damit zubereiten könnte. Zwar hätte ich Lust gehabt auf gefüllte Weinblätter, aber keine Lust auf das Füllen und Wickeln. Also habe ich das Rezept quasi »dekonstruiert« und ein Risotto mit einem orientalischen Topping daraus gemacht. Wer’s auch mal ausprobieren möchte – bittesehr!
Zutaten (für 3–4 Personen)
1 Zwiebel oder 2 Schalotten 200 g Risottoreis (Arborio) 800–900 ml Hühnerbrühe 150–200 g eingelegte Weinblätter 1/2 Bio-Zitrone 1 Handvoll glatte Petersilie 100 g Schafskäse / Feta aus Schafsmilch für eine abrundende Süße: 1–2 TL Honig, Ahornsirup oder Zucker 300 g Lammhack 30 g Pinienkerne 1 TL Zimt 2 TL Ras el-Hanout Salz Pfeffer Olivenöl
Die Pinienkerne auf einem Porzellanteller flach ausbreiten, im Ofen (Heißluft, 160 °C) 20 Minuten goldbraun rösten und abkühlen lassen. Die Zwiebel fein würfeln, die Weinblätter entstielen und in schmale kurze Streifen schneiden, den Schafskäse fein zerkrümeln. Die Schale der Zitrone abreiben und den Saft auspressen. Petersilie fein hacken.
In einem Topf das Olivenöl erhitzen und die Zwiebelwürfel glasig anbraten. Den trockenen Reis zugeben und einige Minuten im heißen Öl mit anrösten. Unter gelegentlichem Rühren in 3–4 Schüben die Brühe zugießen und den Reis darin nach und nach bei schwacher Hitze gar köcheln lassen. Zusammen mit dem letzten Schuss Brühe die Zitronenschale, die zerkleinerten Weinblätter und die Petersilie hinzufügen. Wenn das Risotto cremig-al dente ist, den Schafskäse einrühren und mit Süße, Salz, Pfeffer und Zitronensaft abschmecken.
Während der Reis kocht, in einer Pfanne mit wenig Öl das Lammhack krümelig braun braten und dabei mit Zimt, Ras el-Hanout, Salz und Pfeffer würzen.
Risotto auf einem Teller etwas breitgestrichen portionieren und jeweils etwas Lammhack und einige Pinienkerne darüber verteilen.
Es war deutlich schwieriger, Tracks mit genau der passenden Länge zu finden, weshalb ich die Toleranz bei der Spieldauer im Vergleich zu den Klassik-Stücken (±1 Sekunde) auf ±3 Sekunden erhöhen musste. Zudem unterscheidet sich »Mainstream-Pop« auch in der Länge der Titel deutlich von Klassik – gefühlt 90% aller Songs sind unter 4 Minuten lang, deutlich weniger zwischen 5 und 7 Minuten und ab 8 Minuten wird die Luft richtig dünn. Mir blieben nur zwei Auswege: die Einbeziehung von »Extended«-Remixes und zwei Ausflüge ins benachbarte Genre »Ambient/Electronic« (Underworld und Chicane), wo die Tracks naturgemäß etwas länger sind.
Ansonsten gelten dieselben Eierparameter, Titelreihenfolgen und Kochzeit-Richtwerte wie bei den Tabellen der Klassik-Playlist. Enjoy!
Titel 1–12: Eier aus dem Kühlschrank (ca. 7 °C)
Konsistenz
Größe S
Größe M
Größe L
Größe XL
weich
Titel 1 (4:00)
Titel 2 (4:30)
Titel 3 (4:56)
Titel 4 (5:30)
wachsweich
Titel 5 (6:00)
Titel 6 (6:38)
Titel 7 (7:22)
Titel 8 (8:13)
hart
Titel 9 (8:15)
Titel 10 (9:05)
Titel 11 (10:06)
Titel 12 (11:06)
Titel 13–24: Eier mit Zimmertemperatur (ca. 20 °C)
Konsistenz
Größe S
Größe M
Größe L
Größe XL
weich
Titel 13 (3:03)
Titel 14 (3:22)
Titel 15 (3:45)
Titel 16 (4:11)
wachsweich
Titel 17 (5:03)
Titel 18 (5:34)
Titel 19 (6:12)
Titel 20 (6:54)
hart
Titel 21 (7:16)
Titel 22 (8:01)
Titel 23 (8:55)
Titel 24 (9:57)
Die tatsächliche Spieldauer der einzelnen Titel weicht zumeist um ±3 Sekunden von der empfohlenen Kochzeit ab.
(Hinweis: Die unten eingebettete und oben im Text verlinkte Playlist spielt die Titel nur für angemeldete Spotify-Nutzer in voller Länge aus.)
Die Suche nach dem ultimativen Gargeheimnis für das perfekt gekochte Ei ist wohl mindestens so alt wie der Eierbecher. Der eine mag sein Ei hart mit krümeligem Dotter, der andere liebt es »wachsweich«. Gourmets kochen es im Sous-vide-Wasserbad bei exakt 64,5 ºC zwischen 45 Minuten und 60 Minuten als japanisches »Onsen-Ei« und Loriot meinte, eine Hausfrau habe es im Gefühl, wenn das Ei weich sei (ihr Gatte war bekanntermaßen anderer Meinung). Wahre Eierkoch-Nerds können sogar die Temperatur ihres Frühstückseies nebst Durchmesser oder Gewicht vor dem Kochen ermitteln und mit diesen Werten anhand einer Formel die Kochzeit bis zum gewünschten Gargrad – gemessen anhand der Dotter-Innen-Endtemperatur – ausrechnen. Die Wege zum perfekt gekochten Ei sind so individuell wie die subjektiven Vorlieben bei dessen Verzehr.
Ich persönlich mag mein Ei am liebsten mit vollständig koaguliertem Eiweiß (schon als Kind hasste ich den weißen »Glibber«, der nach zu kurzem Kochen das Dotter umgab), das Eigelb darf am Rand gerne hellgelb gegart sein, sollte aber möglichst noch einen großtenteils flüssigen Kern haben. Meine Faustregel für den favorisierten Ei-Endzustand lautete bisher: 7 Minuten und 30 Sekunden Kochzeit bei einem Ei mit Größe M (laut Packungsaufdruck), bei Zimmertemperatur gelagert und gemessen ab dem Moment, wenn es ins sprudelnd kochende Wasser gelegt wird.
Mit einer Spieldauer von 7 Minuten und 43 Sekunden liegt der erste Satz »Allegretto« des Violinkonzerts Es-Dur von Franz Benda auf der CD »Concerti« (Accent ACC 24215, 2009) ziemlich dicht an dieser Faustregel, wie der Mann kürzlich herausfand. Und tatsächlich kam das gekochte Ei, nachdem es vom Ensemble »Il Gardellino« in seinem brodelnden Wasserbad damit befiedelt wurde, einem perfekten Ergebnis bemerkenswert nah. Das brachte mich auf die Frage, ob es – neben mechanischen Kurzzeitweckern, Sanduhren, digitalen Timern, Stoppuhren und ähnlichem Zeitmessgerät – nicht auch schon eine »Eierkoch-Playlist« gibt, mit der jeder – je nach seiner persönlich präferierten Verzehrkonsistenz, der Eiergröße und der Lagertemperatur – sein Ovulum ganz einfach während der Spieldauer des passenden Musikstücks garen kann. Natürlich erfordert auch diese Idee eine gewisse Vereinfachung der Ausgangsparameter Größe/Gewicht und Temperatur, aber nach einer kurzen Recherche war ich sicher: es geht.
Der Mann hat rausgefunden, dass die Frühstückseier perfekt gekocht sind, wenn sie für die Dauer des 1. Satzes »Allegretto« aus Franz Bendas Violinkonzert Es-Dur im kochenden Wasser bleiben. Gibt’s schon eine Spotify-Playlist mit Eierkochklassik für variable Härtegrade?
Die geeignete Basis für die benötigte »Eierkochmatrix« entdeckte ich auf der Website philognosie.net, die sich seit 2001 das Ziel setzt, praktisch nutzbares Wissen aller möglichen Themengebiete auf seriöser Grundlage zu sammeln und aufzubereiten. Unter der Überschrift »Perfekte weiche und harte Eier kochen« finden sich dort zwei Tabellen: eine für Eier aus dem Kühlschrank (ca. 7 °C) und eine für Eier, die bei Zimmertemperatur gelagert wurden (ca. 20 °C). Die Eier sind jeweils in vier Gewichtsklassen sortiert: S (bis 53 g), M (>53–63 g), L (>63–73 g) und XL (>73 g) und als Kochziele sind »weich«, »wachsweich« und »hart« verfügbar. Macht pro Tabelle zwölf empfohlene Zeitangaben, bei zwei Tabellen also 24 Kochzeitempfehlungen.
Nun musste ich »nur noch« 24 Musiktitel ausfindig machen, deren Spieldauer möglichst exakt den Angaben in den Tabellen entsprechen. Von Franz Benda kommend, entschied ich mich, auf dem Feld der Barockmusik zu bleiben (mit Haydn und Mozart als »Ausreißer« der Wiener Klassik) – sie ist frühstückstauglich, kompatibel mit dem Musikgeschmack einer recht breiten Bevölkerungsgruppe, relativ unabhängig von musikalischen Trends, trotz ihres kompositorischen Anspruchs melodiös und gefällig und es gibt eine unglaubliche Auswahl an Werken, Stücken und Aufnahmen. Der Rest war »Handarbeit«: Ich suchte mir ein gutes Dutzend bekannter und weniger bekannter Komponisten heraus, scrollte durch endlose Tracklistings, pickte Stücke mit einer möglichst genau passenden Spieldauer (±1 Sekunde) heraus und brachte sie pro Tabelle in eine sinnvolle Reihenfolge. Und hier ist sie: die Spotify-Playlist »Eierkochklassik«.
Update: es gibt inzwischen auch eine Popmusik-Version der Playlist.
Ich freue mich über Eure Erfahrungsberichte beim Ausprobieren!
Titel 1–12: Eier aus dem Kühlschrank (ca. 7 °C)
Konsistenz
Größe S
Größe M
Größe L
Größe XL
weich
Titel 1 (4:00)
Titel 2 (4:30)*
Titel 3 (4:56)
Titel 4 (5:30)*
wachsweich
Titel 5 (6:00)*
Titel 6 (6:38)*
Titel 7 (7:22)
Titel 8 (8:13)
hart
Titel 9 (8:15)
Titel 10 (9:05)
Titel 11 (10:06)*
Titel 12 (11:06)
Titel 13–24: Eier mit Zimmertemperatur (ca. 20 °C)
Konsistenz
Größe S
Größe M
Größe L
Größe XL
weich
Titel 13 (3:03)
Titel 14 (3:22)*
Titel 15 (3:45)
Titel 16 (4:11)
wachsweich
Titel 17 (5:03)
Titel 18 (5:34)*
Titel 19 (6:12)
Titel 20 (6:54)*
hart
Titel 21 (7:16)
Titel 22 (8:01)
Titel 23 (8:55)
Titel 24 (9:57)*
Die tatsächliche Spieldauer der mit * markierten Titel weicht um ±1 Sekunde von der empfohlenen Kochzeit ab.
(Hinweis: Die unten eingebettete und oben im Text verlinkte Playlist spielt die Titel nur für angemeldete Spotify-Nutzer in voller Länge aus.)
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