Kategorie: Von der Tageskarte

Kaum passiert, schon gebloggt

Bio


Photo: © russelljsmith on Flickr | Licensed under Creative Commons

Im wunderbaren Twitter-Adventskalender »Hilli will’s wissen. Ein Türchen für Euch« von @HilliKnixibix wurde allen Followern heute die Frage gestellt: »Wie würde der 1. Satz Deiner Autobiographie lauten?«. Gute Frage! Klare Antwort:

Zumindest meine Geburt ereignete sich sowohl zum gewünschten wie auch zu einem passenden Zeitpunkt.

Ich bin schon seit jeher – warum auch immer – ein ziemlich duldsamer Mensch. Ungeduldig sein, Unzufriedenheit äußern, Grenzen setzen, einen gesunden Egoismus leben und »Nein!« sagen musste ich mühsam lernen. Der Preis dafür war – auch gesundheitlich – bisweilen hoch, zumeist jedoch bezahlte ich mit Zeit. Zeit, die verstrich, bis ich nicht mehr konnte, obwohl ich schon lang nicht mehr wollte. Zeit, die von meinem Leben abging, weil ich sie anderen schenkte, die das weder verdienten noch zu schätzen wussten. Zeit, die ich nicht ich sein konnte, weil ich versuchte, für andere jemand zu sein, der ich nicht bin. Zeit, die ich Angst hatte vor Folgen oder Konsequenzen, die nicht eintraten, als ich mich endlich traute, über meinen Schatten zu springen.

Ich grolle mir selbst inzwischen nicht mehr deswegen, weil mich die Wege und Weichen letztlich zu einem Punkt in meinem Leben führten, an dem ich jetzt und heute sehr gerne bin. Nur die Zeit – die ist weg.

Darum ein guter Rat an alle: Bitte nicht nachmachen. Nehmt Euch all Eure Zeit für Euer Leben und lebt es so, wie es für Euch sein soll, wie es gut ist und sich richtig anfühlt. Ihr bekommt verlorene Zeit nicht zurück.

Reisepläne


Photo: © admanchester | Licensed under Creative Commons

Verbring den Urlaub weise – reise!
Wer etwas von der Welt hält,
mit Leidenschaft Tourist ist.
Doch wohin führt die Tour nur?
Lass’ ich mich nach Great Britain bitten?
Macht mich Mexico froh?
Gefiel’ es mir am Pol wohl?
Oder soll ich Jemen nehmen?

Mit dem Zug nach Bayern eiern?
Oder doch nach Skagen jagen?
Ich könnt auch nach Manhattan jetten.
Oder nach Schaffhausen sausen.
Preiswert wär: nach Flandern wandern,
ebenso nach Kempen trampen.
Langweilig: nach Siegen fliegen.
Zu heiß: auf die Kanaren fahren.

Was mag ein Flug nach Boston kosten?
Oder doch in London landen?
Mir ein Schiff nach Japan kapern?
Zu aufregend. Nach Brighton reiten?
Zu anstrengend. Gen Wien zieh’n?
Zu fad – doch könnt Athen geh’n …
Voll fett wär noch Marseille, ey!
Auch fänd ich Liverpool cool.

Täglich fahr’n zu Schären Fähren,
heben ab nach Riga Flieger,
obwohl ich auch Den Haag mag
und niemals in Dakar war.
Sehr schön soll’s auch am Rhein sein,
der Kenner nennt die Rhön schön.
Erkunde ich die Eifel? *zweifel*
Gefiel’ es mir in Prag? *zag*

Städte, wo Millionen wohnen,
Strände, die an Meeren wären,
Inseln, Berge, Küsten, Wüsten,
Wälder, Täler, Buchten, Schluchten.
Warum gibt’s nur so viele Ziele?
Ich find’ mich nicht zurecht, echt!
Ich glaub’ ich mach ’ne Pause
und bleib’ erstmal zu Hause.

Es heißt »erleben«. Nicht »erlabern«.

Silence
Photo: © Sam_Carpenter1974 on Flickr | Licensed under Creative Commons

Nach (genossenen) Filmen, Konzerten, Theaterstücken, Lesungen, hätte ich oft gern eine Schweigeviertelstunde, in der die Welt um mich herum die Fresse hält. Keine ausgelutschte Rausgehmusik vom Band, keine Balalaikaklampfer vorm Konzerthaus, keine Trailer im Foyer und kein sofortiges sezierendes Geschwätz. Nur das Echo des eigenen Empfindens. Wenigstens einen Moment lang. Ansonsten laufe ich Gefahr, dass das, was ich höre oder sage, das wahre Gefühl des Erlebten überdeckt oder ersetzt, wie eine Anekdote, deren launiges Erzählen das tatsächliche historische Geschehen Schicht um Schicht bis zur Unkenntlichkeit übermalt.

Aber ich bekomme sie selten, diese stillen fünfzehn Minuten.

Lesen lernen 2.0

Hier Ihr eBook downloaden

Ich bin gerade im Urlaub in Südwestdänemark. Es gibt viele Pilze hier im Wald, Dutzende von Sorten. Leider habe ich damit nicht gerechnet und meinen famosen gedruckten Pilzführer zu Hause stehen lassen. Nach zwei Wanderungen, bei denen ich zuhauf Pilze stehen lassen musste, da ich sie nicht kenne und mangels Bestimmungshilfe nicht identifizieren konnte, dachte ich: hey, das wäre doch mal eine Gelegenheit, einen Pilzführer als mein erstes eBook zu erwerben und einfach auf dem iPhone mit in den Wald zu nehmen. Toller Plan. Dachte ich. Denn nach dem ermunternden Rechercheergebnis bei buecher.de – ein Pilzbuch mit rund 260 Seiten im ePub/PDF-Format – begann die Agonie.

Ich legte das eBook in meinen Warenkorb und bezahlte. Wunderbar. Mir wurde sogleich ein Link-Button angezeigt: »Hier Ihr eBook downloaden«. Ich dachte: »fein, das geht ja einfach« und klickte auf den Link. Der Download ging verdächtig schnell. Zu schnell für ein so dickes Buch. Hm. Ich schaute mir die versprochene »eBook«-Datei an. Sie trug die Dateiendung .acsm. Nochmal hm. Ich versuchte, sie mit dem Adobe Reader zu öffnen. Ging nicht. Ich googelte »acsm-Datei« und las, dass ich eine Adobe-ID und die Software »Adobe Digital Editions« benötigen würde, erst dann könne ich mein eBook »wirklich« laden, entsperren und (hoffentlich) lesen.

Ich erinnerte mich, irgendwann im Pleistozän hatte ich mal eine Adobe ID. Aber wann? Wo? Wozu? Ich fand auf meinem Rechner keine Spuren mehr davon. Also ging ich zu adobe.de und suchte. Ich solle zu adobe.com gehen, sagte man mir dort. Das tat ich und – halleluja – es gab eine Seite, wo ich mit dem Link »Passwort vergessen« ausprobieren konnte, ob ich noch als Karteileiche bei Adobe rumlag. Also E-Mail-Adresse eingeben, neues Passwort anlegen, Bestätigungs-E-Mail abwarten, Bestätigungs-E-Mail-Link anklicken, einloggen. Derweil hörte ich die Pilze leise im Wald wachsen.

Nun war da noch die Software. Die Seite war schnell gefunden, die neueste Version 4.0 wurde auf einem schlichten Screen zum Download angepriesen, Systemvoraussetzungen für den Mac wurden nicht genannt. Also flugs auf den Download-Link geklickt, den Installer gestartet und das Programm installiert. Die Pilze im Wald entfalteten derweil ihre jungen Hüte.

Doch die Software ließ sich nicht starten. »Sie benötigen mindestens MacOS 10.7«* sagte mir das fertig installierte Programm nach dem Startversuch. Eine Nachricht, die zwar inhaltlich wertvoll, aber fünf Minuten früher eine Idee willkommener gewesen wäre. Also deinstallierte ich die Software und legte all meine Hoffnung in die auf der noch geöffneten Adobe-Website direkt darunter zum Download angebotene Version 3.0. Hoffnungsvoll lud ich down, installierte und versuchte einen erneuten Start. Wieder Fehlanzeige. Die Wipfel der Bäume rauschten im Wald, während ich auch diese Version deinstallierte.

* (mein MacBook Pro ist schon etwas älter und macht seit 10.6.8 keine Systemupdates mehr mit, erfüllt aber nach wie vor ansonsten blendend seinen Zweck)

Doch halt, vor Users Blicken gut versteckt, gab es anscheinend auf einer anderen Adobe Download-Seite eine noch frühere Softwareversion. Toll. Ich downloadete und summte leise »Das Wandern ist des Müllers Lust« vor mich hin, während ich den Installer startete und auf die Fertigstellung wartete. Angstvoll klickte ich auf das App-Icon … und – das Programm startete! Mein Herz klopfte. Wie aufregend doch das Zeitalter digitalen Lesens war!

Nun konnte ich auch die acsm-Datei öffnen, meine noch warme Adobe ID eingeben und das eBook herunterladen. Auf die 5 Minuten Wartezeit auf die 150 MB große Datei kam es nun auch nicht mehr an. »Sie können kostenpflichtige und gratis erhältliche digitale Inhalte herunterladen und online oder offline lesen. Kopiergeschützte eBooks lassen sich mühelos von Ihrem PC auf andere Computer oder Endgeräte übertragen.« verhieß derweil rosarot der Startbildschirm. In Gedanken sah ich mich schon mit meinem Weidenkörbchen am Arm über weiche Moospolster stapfen, die Zukunft des Pilzesammelns auf einem bläulich glimmenden Display in der anderen Hand. Der Download meldete Vollzug. Ich konnte die Buchdatei sehen! Öffnen! Darin blättern! Mit roten Wangen suchte ich nun nach der mühelosen Möglichkeit, das digitale Wunder im Nu, mit einem Wisch, einem Klick, vom Klapprechner auf mein iPhone zu übertragen. Und suchte. Im Menü. Und suchte. In der Hilfefunktion. Und suchte. Bei Google. Aha. Am Horizont verfärbte sich das Sonnenlicht in Erahnung des Abends zartrosa.

Ich schloss mein iPhone ans MacBook an. Es wurde nicht erkannt. Okay. Ich aktivierte Bluetooth, verband das Gerät mit dem Mac und hoffte, so einen Kanal zum eBook-Transfer herzustellen. Doch Hoffnung ist ein zartes Porzellan, das alsbald erneut von einer rohen Fehlermeldung in Scherben geschlagen wurde. Vor dem Haus umflatterten erste Fledermäuse den Giebel. Ich klappte meinen Rechner zu, stieg mit meinem Partner ins Auto und fuhr in den Wald. Ohne eBook. Nur mit Körbchen. Wir brauchten zwar schon fast eine Taschenlampe, aber am Ende kam doch gut ein Kilo mir bekannter Pilze zusammen. Die zahllosen anderen, unbekannten, die wir am Wegesrand zurücklassen mussten, verdanken ihr Leben – Adobe.


Update 19. Oktober 2014: Inzwischen habe ich es tatsächlich nach weiteren 3 Stunden Recherche und App-Wahnsinn geschafft, das erworbene Pilz-eBook auf mein iPad zu übertragen. Ich gebe zu, es ist noch ein iPad 1 (2010) und läuft notgedrungen unter iOS 5.1.1, aber, hey: wir reden hier über den Wunsch, etwas zu lesen – und das sollte meiner Meinung auch im digitalen Zeitalter so einfach sein wie essen, trinken oder Zähne putzen. Ist es aber nicht. Gefühlt war das Finden und Installieren eines geeigneten Readers in etwa so nervig wie aus einem Karton Sägemehl, einer Tube Holzleim und ein paar Schrauben ohne Bedienungsanleitung ein Bücherregal aufzubauen. Die Abbildung unten verdeutlicht einige der Schikanen, denen ich auf dem steinigen Weg zu meinem – ich will es nicht »Erfolg« nennen – Durchbruch begegnete.

Viele der Apps, die Adobe derzeit auf seiner Website nennt, gibt es unter den genannten Namen nicht mehr. Andere ① verlangen die Einrichtung eines Accounts (ich will doch nur lesen!), erkennen das Dateiformat nicht ②/③, verlangen von mir ein Systemupdate, welches wiederum erfordern würde 300+x Euro für eine komplett neue Hardware auszugeben ④, oder versuchen, wie die Adobe-Reader-App (!!!), mir einen superduper Konvertierungsaccount für nur 79,99 EUR pro Jahr unterzujubeln ⑤, mit dem ich dann – oder auch nicht – mein schon bezahltes eBook auch auf dem iPad anschauen darf. Gelandet bin ich letztlich beim kostenlosen eBookS Reader von libri, der nach einer einmaligen Eingabe der Adobe ID das eBook-Dokument immerhin klaglos öffnet (Update: die App gibt es nicht mehr, libri hat sich inzwischen auf die tolino-Plattform fokussiert, deren Reader-App ich noch nicht getestet habe). Dass meine printverwöhnten Augen dann mit Seiten»layouts« wie ⑥ verspottet werden, fällt nach der ganzen Mühe dann schon fast unter »Peanuts«.

Nein, ich warte lieber noch eine Weile, bis eBooks auf allen Devices wirklich mühelos, mit einem Klick oder Wisch angezeigt werden und digitales Lesen tatsächlich so einfach ist wie … naja, Lesen halt. Und ich bin gespannt, wenn es soweit ist (und ich es noch erleben darf), ob Adobe dann dabei noch eine Rolle spielt.

eBook Wahnsinn, Screenshots

Kusshand

Es ist schon spät, etwa 1 Uhr 30, als ich an der Hamburger Bushaltestelle »Mundsburg« den Nachtbus besteige, der mich fast bis vor meine Haustür bringt. Für einen Wochentag ist der Bus recht voll, mehrheitlich junge Leute belegen die Sitzplätze, so dass ich mich gegenüber dem Hinterausgang in die »Kinderwagennische« stelle, wo auch ein schwarzer Mensch mit seinem Fahrrad steht. Er unterhält sich in einer mir unverständlichen Sprache erheitert über mich hinweg mit einem Bekannten, der am Fenster auf der nächsten Sitzbank hinter mir sitzt. Ich sehe, was wohl der Anlass der Heiterkeit sein mag, denn der blonde junge Mann neben ihm ist entweder sehr müde oder erheblich alkoholisiert und hat in seligem Schlummer seinen Kopf auf die Schulter des Gesprächspartners gebettet. Die Brems- und Lenkmanöver des Busses lassen ihn leicht hin- und herpendeln, aber er hält wacker seine unbewusste Kuschelposition.

Als sich offenbar die Zielhaltestelle des Fahrradmannes und seines Bekannten nähert, versucht dieser, den Schlafenden freudlich aufzuwecken, um an ihm vorbei auszusteigen – erst zaghaft, dann etwas vehementer, aber der schläft selig weiter. Dem Sitzenden bleibt nichts anderes übrig, als über den weggetretenen Nachtschwärmer hinwegzusteigen, was ihm mit einem großen, fast katzenartig-elegant anmutenden Schritt auch fast berührungsfrei gelingt. Der junge Schläfer bleibt erstaunlich gerade sitzen, obwohl seine menschliche Stütze nun auf dem Sitz neben ihm fehlt.

Der Bus fährt weiter. Nach drei weiteren Haltestellen, kurz bevor er den zentralen Umsteigebahnhof in Barmbek erreicht, machen sich einige andere junge Leute in der Umgebung des Schläfers Gedanken, ob man den Tiefschläfer nicht doch wecken sollte, damit er nicht möglicherweise hier einen wichtigen Anschluss verpasst. Ein gewagtes Unterfangen, es helfen weder Knuffe, noch sanfte Wangenpatscher und ein mildes Schütteln mit Ansprechen. Erst als sich einer der Bemühten ein Herz fasst und versucht, den jungen Mann von seinem Platz aufzurichten, wacht dieser auf. Oder versucht es zumindest.

»Alter, hör zu: wir sind gleich in Barmbek! Musst du hier raus?«
Der Angesprochene schaut sein Gegenüber aus kaum geöffneten Augen komplett desorientiert an.
»Wohnst du hier? Musst du umsteigen in Barmbek? Komm, sag mal!«
Der junge Mann rutscht unbeholfen von seinem Sitz in den Stand im Mittelgang, sein unbekannter Helfer und zwei von dessen Freunden stützen ihn. Er torkelt. Der Bus hält und die Türen öffnen sich. Die meisten Fahrgäste steigen nun aus. Die jungen Männer gehen Richtung Tür und geleiten den Weggetretenen mit auf den Bussteig. Der Fahrer, der das Ganze anscheinend im Rückspiegel beobachtet hat, meldet sich über die Lautsprecheranlage zu Wort.

»Muss der hier raus? Wohnt der hier?«
Auf dem Bussteig weiter beharrliche Versuche einer Kontaktaufnahme.
»Hallo, hörma – musst du hier raus? Wir sind in Barmbek! Oder fährst du weiter bis Poppenbüttel?«
Endlich eine Reaktion. »Baambek, ja …«
»Wohnst du hier? Wo musst du hin? Umsteigen?«
»Ja … Baambek … Poppenbüddl … danke Jungs … Poppenbüddl.«

Und mit diesem Dank verbunden, versucht der immer noch von den drei Mitfahrern Gestützte, diese herzlich zu umarmen.
»Hey, lass ma. Poppenbüttel? Du musst nach Poppenbüttel? Dann musst du wieder einsteigen! Hier!«
»Danke Jungs, ja …« er löst sich aus dem unbeholfenen Zärtlichkeitsgeflecht und geht schwankend wieder in Richtung des geduldig wartenden Busses, allerdings nicht zur immer noch sperrangelweit offenen Hintertür, sondern ordnungsgemäß nach vorne zum Fahrer, steigt tapsig ein, zeigt die hervorgenestelte Fahrkarte vor und dreht sich noch mal zu seinen fremden Helfern um. »Danke, Jungs!«, hebt die Hand und wirft den Zurückgelassenen schwankend drei Kusshände zu. »Jaja, Alter. Keine Ursache!« höre ich noch, als die Türen sich schließen.

Der Bus fährt weiter, Richtung Poppenbüttel. Unser Protagonist hat inzwischen einen freien Sitzplatz gefunden und ist bereits wieder eingeschlafen, als ich an der nächsten Haltestelle aussteige.

Manchmal liebe ich diese Stadt ganz besonders.

Neue Würste braucht das Land!

Heute schlage ich mal einen Bogen zu meinem allerersten Blogeintrag aus dem Oktober 2006. Das Foto des Artikels zeigt die Auslage eines preisgekrönten britischen Metzgers in Oxford, der sich auf »Sausages« spezialisiert hat. Ich habe inzwischen häufiger meinen Urlaub in Großbritannien verbracht und abgesehen davon, dass ich seither ohnehin das Vorurteil nicht bestätigen kann, die Briten könnten nicht kochen, hat mich die »Wurstkultur« der Inselbewohner von Anfang an begeistert. Einige der mundwässernden (mouthwatering) Kreationen britischer Fleischer hatte ich ebenfalls in einem früheren Blogartikel schon einmal aufgezählt. Man kann sie – landestypisch – zum Frühstück in der Pfanne braten oder auch auf den Grill werfen – eine delikater als die andere.

Um so unverständlicher ist es, dass diese fleischigen Köstlichkeiten noch nicht ihren Weg nach Deutschland gefunden haben. Es gibt ’zig Sorten Brot, Wein, Pasta, in jüngster Zeit feiern Bier und Kaffee einen ungekannten Boom der Varianz und Geschmacksvielfalt, aber auf den Grills und in den Pfannen begnügt man sich nach wie vor mit Bratwurst, Krakauer, Thüringer und Käsegrillern. Auch in den »gentrifizierten« Vierteln bisher (nach meinen Beobachtungen): Fehlanzeige.

Deshalb habe ich kürzlich die Initiative ergriffen. Keine zwei Gehminuten von meiner Wohnung in Hamburg-Barmbek Nord führt die famose Fleischerei Göpp, über die ich ebenfalls hier im Blog schon einmal berichtete, einen gut besuchten Eckladen. Herr Göpp hat nicht nur italienische Salsiccia im Sortiment, sondern überraschte kürzlich auch mit einer leckeren Bratwurstvariante namens »Barmbek Booster«. Das nahm ich zum Anlass, ihn mit einer E-Mail zu weiteren Wurstexperimenten zu motivieren. Und Herr Göpp antwortete bald darauf:

Wir (…) sind vor einigen Tagen in die Produktion gegangen und haben Rindsbratwürste mit karamellisierten Apfel- und Zwiebelstückchen hergestellt. Nun sind wir auf Ihre Meinung gespannt!

Ich habe gleich am folgenden Tag einige der neuen Würste gekauft und am Abend mit Rosenkohl-Rote-Bete-Ofengemüse und dänischem süßen Gewürzsenf serviert (sorry for zze blurry Handyfoto). Und: Chapeau! Die eingebetteten Zwiebel- und Apfelstückchen passen perfekt zur feinen, von einer leichten Anis/Fenchelnote getragenen Würzung der Rindsbratwürste. Ich bin sehr angetan!

Natürlich möchte ich mit diesem Blogbeitrag ein bisschen (unbezahlte) Werbung für meinen Stammfleischer und seine neue Kreation machen, vielleicht hat ja der eine oder andere Hamburger Lust, sie auch einmal zu probieren – am besten vorher kurz anrufen, ob die Würste gerade vorrätig sind. Und wer weiß, vielleicht führt ja eine gewisse Nachfrage zu weiteren schmackhaften, von britischer Wurstkultur inspirierten Experimenten.

I would really appreciate that.

Für weitergehend Interessierte hier ein Link ins Herz der britischen Sausageszene:
www.sausagefans.co.uk

Sausages served
Foto: © formschub

Isso.

Über manche Themen wird endlos diskutiert. Kontrovers. Leidenschaftlich. Emotional. Abwegig. Beleidigend. Oder voller Hass. Aber dann gibt es mitten in dem Stimmenwirrwarr einzelne Menschen, welche Gedanken äußern, die sich so richtig anfühlen wie die Sonne an einem blauen Sommerhimmel. Und auf einmal bekomme ich eine warme, trotz aller Dispute hoffnungsvolle Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn sich diese Gedanken wie ein gesunder, weiser Virus verbreiteten und die ganze Welt ansteckten. Hier sind drei davon.


Durch Ralf Königs Comics erlebte ich mein Coming-out als Hetero. Seine Comics erlaubten mir, mich auf den Gedanken einzulassen, wie es wäre, einen Mann zu lieben. Sie machten mir Mut, mich zu fragen, wo ich stehe. Auszuprobieren, was mir gefällt. Und aufgrund dieser Erfahrungen laut sagen zu können: Ich liebe Frauen. Nicht weil es die Norm ist. Sondern weil es sich für mich persönlich stimmig anfühlt.

Quelle: Comiczeichner Flix im Tagesspiegel. Der Text über seinen Kollegen wurde verfasst anlässlich der Ehrung Ralf Königs für dessen Lebenswerk auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen 2014.



Foto: © Kristine Speare | Quelle: tumblr (inzwischen gelöscht), das Bild zeigt ihren Vater



Foto: Sarah-Lena Gombert | Quellen: RuhrNachrichten, Twitter

Mein Gott.

Ich war nie sonderlich religiös. Zwar wurde ich evangelisch getauft und auch meine Eltern gehörten dieser Kirchengemeinschaft an, aber der Glaube wurde in unserer Familie nie großartig praktiziert. Ich erinnere mich kaum an Kirchgänge während meiner Kindheit und Jugend, nicht einmal zu Weihnachten. Ganz hinten unten in meiner Erinnerung finde ich Echos an das Aufsagen von Kindernachgebeten (»Ich bin klein, mein Herz ist rein …«), aber das war zu früh, um es mit reflektiertem Glauben zu verbinden.

Mit 16 – zwei Jahre nach dem frühen Tod meines Vaters – nahm ich am Konfirmandenunterricht teil. Mitgenommen aus dieser Zeit habe ich nur die Erinnerung an langweilige Nachmittage in einem Schulklassenraum und an einen dunklen Pastor mit noch dunklerem Bartschatten, dessen Erzählungen zu biblischen Geschichten mich nur mäßig gefesselt oder beeindruckt, geschweige denn an so etwas wie Glauben herangeführt haben. Ich wüsste nicht einmal auswendig, welcher Konfirmationsspruch mir mitgegeben wurde. Gut hingegen erinnere ich mich an die erste eigene Stereoanlage (Tangentialplattenspieler FTW!), die ich mir von meinem Konfirmationsgeld anschaffen konnte und an ein heiteres Missgeschick an der nachmittäglichen Kaffetatfel, in das eine Bekannte meiner Mutter, ihr schwarzer Angorapullover und ein Sahnesiphon involviert waren. Vielleicht hat auch mein Schicksal als Halbwaise ein wenig damit zu tun, dass mich ein Gott, der meinen Vater sterben ließ, auch im Teenageralter nie wirklich für sich gewinnen konnte.

In der Schule lehrte mich dann der Geschichtsunterricht, dass es Kreuzzüge und Religionskriege gab. Ich begriff, dass die Kirche, ebenso wie die Bibel, manche Verhaltensweisen und Menschen als »Sünde« und »Sünder« klassifizierten, dass es Geistliche und einen Gott zu geben schien, die über das Sein und Wirken der Menschen richteten, um sie dafür zu schelten oder zu bestrafen. Auch die Institution Kirche ging mir zunehmend auf die Nerven mit ihren Riten, ihrem in realitätsfernen Dogmen erstarrten Konservativismus und ihrer für mich anmaßenden Einmischung in das Leben und Privatleben der Menschen. Das gefiel mir immer weniger, so dass ich – nicht zuletzt aufgrund meiner schwulen Selbstfindung – Mitte der Neunziger aus der Kirche austrat. Seither bezeichne ich mich als »Agnostiker«.

Vor kurzem unterhielt ich mich mit einem – gläubigen – Freund über das Thema Gott und Kirche und ich versuchte, zu beschreiben, wie ich Gott sähe, wenn ich von seiner Existenz ausginge. Ich hatte das nie zuvor versucht, gezielt in Worte zu fassen, war aber mit der Beschreibung ziemlich zufrieden. Selbst mein (evangelischer) Gesprächspartner fand meine Sichtweise überraschenderweise plausibel.

Ich bin fasziniert von dem, was man als »Schöpfung« bezeichnen könnte. Vom Universum, dem Werden und Vergehen der Sterne, den unfassbaren Dimensionen des Weltalls, den kosmischen Zusammenhängen und dem filigranen Ineinandergreifen der Naturgesetze. Ich bewundere die Formen-, Arten- und Lebensvielfalt der Natur, die bizarren Gebirge und Canyons, Wolken, Wellen, Kristalle und Dünen in der unbelebten Natur ebenso wie Pflanzen, Pilze, Tiere und Mikroben in der belebten. Die realen Formen gigantischer Spiralnebel und die mathematisch erzeugten Unendlichkeiten filigraner Fraktale lassen mich staunen und den Atem anhalten. Das Leben ist etwas Unglaubliches, allein die Vielfalt und die Abhängigkeiten innerhalb der Biosphäre der Erde übersteigen jedes Fassungsvermögen. Ich müsste lügen, wenn mich nicht auch die Frage beschäftigen würde, wie all das entstanden ist und woraus. Aber gleichzeitig ist das alles in seiner Gesamtheit auch so atemberaubend, dass es mir lächerlich erscheint, wenn der Mensch inmitten all dessen eine Sonderstellung für sich beansprucht.

Der Gott, an den ich glauben könnte, ist ein wohlwollender, aber nicht intervenierender, rein schöpferischer Nerd, der etwas von übergreifender Schönheit erschaffen wollte. Wie ein Künstler, der ein unendlich großes Dominosteinfeld austüftelte, das nach dem Anstoß des ersten Steins auf unabsehbare Zeit immer neue Wege einschlüge, während er/sie/es daneben säße und den Ablauf der Dinge aufmerksam verfolgte.

Zu dieser Schönheit gehören auch Verfall, Tod, Verwesung, Leid und Zerstörung, jedes Lebewesen z.B. trägt Atome verglühter, explodierter Sterne in sich, jede Fäulnis ist der Nährboden neuen Lebens. Diesen Gott anzurufen, um Schutz und Gerechtigkeit zu beanspruchen, ist müßig, denn alles, was geschieht, ist Bestandteil des Ganzen. Beten, gemeinsam oder allein, Kirchenlieder singen und prachtvolle Kirchen bauen, mag uns helfen, trösten, beeindrucken oder erfreuen, aber dieser Gott bliebe davon unbeeindruckt. Von diesem Gott zu verlangen, über Menschen oder Verhaltensweisen zu richten oder sie zu bestrafen, wäre anmaßend, denn ein Kieselstein, eine Alge, ein Baum oder ein Insekt sind ihm genauso wichtig oder gleichgültig inmitten des Ganzen wie ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen und das, was sie tun.

Dieser Gott freut sich über jedes Lebewesen, das sein Dasein genießt, ohne nach einem tieferen Sinn dafür zu fragen. Er ist nicht zuständig für Frieden, Beistand, Trost und Hilfe, das müssen die Menschen selber zu leisten lernen, doch es ist mühsamer als das Anrufen höherer Mächte und Instanzen, vielleicht funktioniert es deshalb nach wie vor nicht sonderlich gut. Ich verabscheue die Bezeichnung »Krone der Schöpfung« für die Menschheit, denn es wäre erstens eine sehr blutige und dunkle Krone und zweitens wird die Schöpfung nie eine tragen, denn sie geht immer weiter, vielleicht endlos, vielleicht irgendwann in einem neuen Urknall kollabierend, wer weiß das schon.

Damit kann ich leben.


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