Kategorie: Von der Tageskarte

Kaum passiert, schon gebloggt

Badvertising

Eben gerade erfuhr ich via Twitter von einem Postzustellerlebnis, das mir selbst vor kurzem ganz ähnlich widerfahren ist. Der Gedankengang dahinter seitens der Absender scheint in beiden Fällen derselbe zu sein, daher versuche ich mal, ihn hier nachzuvollziehen:

  1. Eine bekannte Firma möchte (neue) Kunden für ein (neues) Produkt begeistern und beauftragt ihre Agentur, sich was einfallen zu lassen.
  2. Die Agentur denkt sich »Mailing geht immer« und entwickelt eine fancy designte, mit Werbung bedruckte Verpackung für ein billiges, im schlimmsten Fall mindernützliches »Giveaway« – etwa ein Schlüsselanhänger, ein Kuli oder gar etwas mit witzigem Bezug zum beworbenen Produkt oder der Headline, die der Agenturtexter gebiert, z. B. ein Fläschchen Tabasco für die Kamera mit den jetzt »extra scharfen« Bildern.
  3. Wichtig! Der Mailingkarton muss in versandfertigem Zustand etwas höher oder breiter sein als ein üblicher Hausbriefkastenschlitz!
  4. Das Mailing wird an tausende ausgewählte Adressen verschickt, ohne dass einer der Empfänger es bestellt hätte. Niemand rechnet also mit Post.
  5. Der Postbote scheitert bei dem Versuch, das Mailing am Zielort in den Briefkasten zu werfen. Auf den Kasten stellen? Zu riskant. Beim Nachbarn abgeben? Keine Zeit oder keiner da. Kleiner Tipp an die kreativen Agenturen: Berufstätige sind oft tagsüber nicht da.
  6. Der Postbote hinterlässt eine Benachrichtigung zur Abholung auf dem zuständigen Postamt im Briefkasten.
  7. Der Empfänger bekommt die Nachricht und wundert sich. Nicht bestellte abholpflichtige Post ist meistens entweder wertvoll oder wichtig oder beides.
  8. Er macht sich in der knappen Zeit vor, zwischen oder nach der Arbeit auf den Weg zum Postamt und muss nicht selten eine Weile anstehen, um die geheimnisvolle Sendung zu erhalten.
  9. Er erhält und öffnet den Mailingkarton. Wertloser Krempel und die Werbebotschaft eines Markenherstellers purzeln ihm entgegen.

Und nun sei zu raten, wo auf einer Skala zwischen 1 und 10 die Begeisterung des Empfängers anzusiedeln ist.

Bei mir war es die Autofirma mit den vier Ringen, die mich einen silbernen Pappkarton mit einem Minifläschchen Olivenöl von der Post abholen ließ.
Für welches Fahrzeugmodell? Keine Ahnung. Ich habe den Brief nicht gelesen.

Das Öl hab ich als Entschädigung behalten.

Bad_Idea

Vorbildfunktionsstörung

Nachdem Rainald Grebe zweifellos Horst Köhler im Kopf hatte, als er sein brillantes Lied textete, keimt in mir aktuell die Sehnsucht nach einer Variante, die besser zum derzeitigen Amtsinhaber passt. Vielleicht fallen Euch ja auch noch ein paar passende Zeilen ein.

Ich bin der Präsident.
Guten Tag, ich grüße Sie.
Ich bin der Präsident.
An mich erinnert man sich nie.

Ich bin der Präsident.
Ich mache dies und das.
Ich hab ja jetzt bald Urlaub,
das wird bestimmt ein Spaß.

Hallihallo, der Präsident.
Ich bin Moralinstanz.
Das ist ein hoher Anspruch,
doch ohne Relevanz.

Ich bin der Präsident,
ich kenne Prominente.
Die sind sehr nett, die haben Geld
und geben mir Prozente.

(…)

Praesident
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Blickwinkel

Zitat aus einem sehr lesenswerten Blogartikel von Armin Soyka, »Über das Leben eines Heterojungen mit schwulen Eltern« (Update: leider inzwischen offline):

Männer trennen sich von ihren Frauen, outen sich und nehmen ihre Kinder mit zum neuen Partner. Schwule und lesbische Paare bekommen zusammen Kinder, ziehen sie zusammen auf. Frauen adoptieren Kinder als Einzelperson, aufwachsen tun die Kinder aber mit zwei Müttern. Und das ganze funktioniert so gut, dass es nicht einmal auffällt. Niemandem.

Via @Euphoriefetzen bei Twitter.

Love_is_Love
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Nawwi

Es ist Abend, längst dunkel, und ich mache auf dem Nachhauseweg mit dem Auto noch einen kleinen Schlenker zur Tankstelle in der Nähe meiner Wohnung, denn ich habe morgen früh einen beruflichen Termin und wenig stresst mich mehr, als auf Wegen, die Pünktlichkeit erfordern, noch Erledigungen einplanen zu müssen. Es ist eine kleine Tankstelle, gerade mal vier Zapfsäulen werden von dem leuchtend blauen Baldachin überspannt. Beim Tanken muss ich an den Witz denken, von dem Mann, der – nach den hohen Benzinpreisen gefragt – antwortet, das sei ihm egal, er tanke sowieso immer nur für 20 Euro. Ich tanke für dreißig. … 98 … 99 … 00 – ein Tick von mir: die kleine Genugtuung, die Wunschsumme auf dem Tanksäulendisplay centgenau zu treffen.

Es ist nichts los am Bezahltresen. Als ich aus dem Tankshop zurück zu meinem Auto gehe, kommt mit energischen Schritten ein älterer, stämmiger Mann auf mich zu, Unverständliches brummelnd. Ich denke: oh nein, bitte kein Großstadtfreak und tue, als nähme ich an, er ginge nicht auf mich zu, sondern nur in meine Richtung, als er mit lauter, zu lauter Stimme fragt: »Wie komme ich denn hier zur Autobahn? Ich muss auf die Autobahn!« Autobahnen gibt es, wie auch der Ortsunkundige ahnen mag, einige in und um Hamburg, daher frage ich nach, in welche Richtung er denn wolle. »Nach Bremen! Auf die A1! Es weiß ja keiner mehr, wie man irgendwo hinkommt! Alle, die ich frage, sagen: Keine Ahnung, ich hab ja jetzt NAWWI! Alle ham nur noch NAWWI! Immer nur NAWWI! Kennt sich keiner mehr aus, alle fahrn nur noch mit NAWWI!« Ich erläutere ihm die Strecke Richtung Elbbrücken, von dort, sage ich, sollte es dann ausgeschildert sein. Er bedankt sich nicht, fragt nur »Ham Sie auch NAWWI? Ich hab noch kein NAWWI!« Ich verneine, um den Dialog durch die Erwähnung der NAWWIfähigkeit moderner Smartphones nicht über Gebühr zu verkomplizieren. Der Mann dreht sich um, er bedankt sich nicht, geht zu seinem Wagen und ruft in die Nacht »Ich hab die Schnauze voll, ich hol mir jetzt auch NAWWI! Dann fahr ich auch nur noch mit NAWWI!«

Ich hoffe, er findet seinen Weg, denke ich, als ich ins Auto steige und mich wieder in den Feierabendverkehr einfädele. Nach Hause, es ist nicht weit. Gleich habe ich mein Ziel erreicht.

Nawwi
Foto: © docpi | Some rights reserved

Äpfel

Ich sitze zu Hause auf dem Sofa und bestelle online Weihnachtsgeschenke. Am vergangenen Wochenende war ich in der Stadt und versuchte, ein paar Besorgungen offline zu machen, doch es war wenig erbaulich. Überall Menschen, dicht gedrängt, ungeduldig, ellbogig, genervt, lärmend, lästig. Auch in den Geschäften wurde ich bei den gesuchten Präsenten nicht fündig. Gibtsnich, hamwanich, ausverkauft, zu teuer, zu klein, zu groß, zu anders. Nach zwei Stunden brach ich den Konsumausflug ab.

Wie ich es vor dem Internet geschafft und erduldet habe, Jahr für Jahr in solchem Gewimmel meine Bescherungsbesorgungen zu machen – es ist mir ein Rätsel. Einer GfK-Studie zufolge geben dieses Jahr 92% der Deutschen im Schnitt 241 Euro für Weihnachtsgeschenke aus.

Es sind nicht viele Menschen, die ich beschenken werde und möchte. Meine Großeltern und mein Vater leben nicht mehr, der Kontakt zu Onkeln, Tanten, Cousins, Cousinen oder gar weiter entfernten Verwandten ist spätestens seit Beginn meines Berufslebens, dem damit verbundenen Umzug nach Hamburg und dem Verbleib von Familienfeiern nahezu eingeschlafen. Doch der engste Beziehungskreis aus Partner, Familie und lieben Freunden ist wohl gepflegt, dort macht mir das Schenken Spaß. Kein Zwang, kein Geschenkewettrüsten. So soll es sein.

Während ich nach Geschenkideen google, Produkte vergleiche und meinen virtuellen Warenkorb bestücke, muss ich an ein ganz besonderes Weihnachtsfest denken. Es muss 1978 gewesen sein, da war ich elf Jahre alt und unsere Familie lebte damals in Nigeria. Mein Vater hatte sich in den Siebziger Jahren zwei Mal bewusst – in Übereinkunft mit meiner Mutter – eine Arbeitstelle im Ausland gesucht. Deutsches Know-how war gefragt, es wurde gut bezahlt und man sah etwas von der Welt. Länder wie Algerien (unser erster Auslandswohnsitz) und Nigeria, die heute von Aufruhr, politischer Instabilität oder islamistischen Tendenzen betroffen sind, waren für europäische Familien durchaus bewohnbar, wenn auch in firmeneigenen, aber keineswegs abgeschotteten Wohnanlagen. Ich ging dort mit den Kindern der Arbeitskollegen meines Vaters zur Schule, machte mit den Eltern auf den Märkten und in den Geschäften die täglichen Einkäufe und lernte neue Freunde kennen. Es war Alltag in einem Land, wo manche Urlaub machten.

Aber natürlich war vieles auch anders. Wir hatten zwar eine Ananaspflanze, einen Papayabaum, Bananenpalmen und Zuckerrohr im Garten, aber es gab keine Äpfel – in keinem Laden. Wir hatten keinen Fernseher, zwei Jahre lang. Die Kollegenfamilie, im Haus über uns, hatte einen der ersten Videorecorder, doch das Angebot an (kindertauglichen) Filmen war sehr begrenzt. Wir lasen, spielten draußen, besuchten Freunde, statt fernzusehen. Es war heiß und feucht, oft fiel der Strom und damit die Klimaanlagen in der Wohnung aus, was besonders nachts, bei Temperaturen noch über 25 °C, das Schlafen durchaus erschweren konnte. Draußen gab es Vogelspinnen und Schlangen (selten), riesige Tausendfüßler, gigantische Schmetterlinge und Eidechsen, Gottesanbeterinnen, überdimensionale Kakerlaken und anderthalb Zentimeter große Ameisen. Es gab unglaublich frischen Fisch: Makrelen, Barracudas, Garnelen und Blue Marlin. Aber es gab kein Schweinefleisch, kein Nutella, keine Yps-Hefte. Mortadella und andere Wurst waren manchmal in Dosen erhältlich, Käse nur als Schmelzkäseecken. Was es nicht gab und was haltbar war, konnten wir bei den halbjährlichen Heimflügen in tragbaren Mengen selbst importieren. Auf alles andere hieß es schlicht zu verzichten.

Etwas Schönes, das wir dort hatten, war ein kleines, rot-weißes Motorboot. Es gehörte uns und der erwähnten Kollegenfamilie gemeinsam und am Wochenende fuhren wir damit meist durch die Küstenlagunen und aufs Meer hinaus. Manchmal richtig weit, so dass ich das Land am Horizont kaum noch sah. Nicht immer waren beide Familien vollzählig an Bord, es kam auch vor, dass die Mütter und einige der Kinder am Strand blieben, wo das Boot im seichten Wasser gut anlegen konnte. Oft fuhren auch nur die beiden »Papas« zum Angeln raus aufs Meer und brachten abends von dort stattliche Fische zurück.

Auf einer der Bootstouren, es war kurz vor Weihnachten, aber in Äquatornähe nach wie vor tropisch warm, begegneten wir weit draußen auf dem Meer einem großen, dort ankernden Frachter. An der Reling standen Mitglieder der Besatzung, sie riefen und winkten. Wir näherten uns dem Schiff und die Väter verstanden irgendwann, dass die Funkanlage des unter Schweizer Flagge (sic!) fahrenden Schiffes ausgefallen und somit keine Verbindung zu Lotsen möglich war, die es sicher in den Hafen führen konnten. Man fragte uns, ob wir nicht als Kurier einspringen wollten. Und so fuhr unser kleines Motorboot nach Erhalt der entsprechenden Instruktionen los, Richtung Küste, um dort Meldung zu machen. Als wir später zum Schiff zurückkamen, um das nahende Geleit zu verkünden, warf uns ein Matrose zum Dank aus einer stählernen Luke, nicht weit über dem Wasser, einen großen Plastiksack zu. Darin: eine dicke, mit leuchtendrotem Wachs überzogene Käsekugel – und eine Menge knackig-grüner Äpfel. Käse! Äpfel! Was für ein aufregender Tag! Was für ein besonderer Dank.

Am Weihnachtsabend, kurz darauf, unter unserem tropentauglichen künstlichen Tannenbaum, dort lagen sie dann. Die Äpfel. Ich bekam auch einen Legokasten, aber ich habe schon lange vergessen, was man daraus bauen konnte. Aber an die Äpfel, an die frischen, gelbgrünen Äpfel, an die erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen.

Ich bin nicht traurig, dass ich als Kind ein paar Jahre lang auf einiges vermeintlich Selbstverständliche verzichten musste. Ich bin dankbar, dass ich den Wert solcher Dinge – und auch den von (Weihnachts)geschenken – anders zu schätzen gelernt habe.

Motorboot_Nigeria

Weihnachten_1978
Das Boot. Die Äpfel. Und ich.
Fotos: © formschub

Apfel-Curry-Linsen

Ich liebe Linsen. Und Kichererbsen. Aus diesen beiden, nur scheinbar langweiligen Hülsenfrüchten lassen sich mit etwas Fantasie, ein paar weiteren Zutaten und vor allem den richtigen Gewürzen köstliche Zubereitungen zaubern, die sowohl als Beilage zu Fisch oder Fleisch geeignet sind, als auch ohne weitere Beigabe schmecken, wenn man eher auf vegetarische Küche steht.

In diese aromatisch-fruchtige Variante eines Linsenrezeptes habe ich mich am vergangenen Freitag augenblicklich verliebt.
Würde ich heute am liebsten schon wieder machen.

Zutaten
für 2–3 Personen

4 EL Olivenöl
1 kleine Zwiebel
200–250 g Dupuy-Linsen
600 ml kräftige Gemüsebrühe
1 kleines Glas Apfelsaft (150 ml)
3 TL mildes Currypulver
1 großer, säuerlicher Apfel (z.B. Holsteiner Cox)

Die Zwiebel in klein würfeln, den Apfel schälen und in etwa 1 cm große Würfel schneiden. Das Olivenöl in einem Topf erhitzen und die Zwiebelwürfel darin glasig anschmoren. Die Linsen hinzugeben und etwa 2–3 Minuten mit erhitzen. Das Currypulver unterrühren und ebenfalls etwa 1 Minute mitbraten. Den Topfinhalt mit dem Apfelsaft ablöschen und so lange bei mittlerer Hitze einkochen lassen, bis fast die gesamte Flüssigkeit verschwunden ist, dabei gelegentlich durchrühren. Mit der Gemüsebrühe aufgießen und im offenen Topf bei mäßiger Hitze ca. 30–45 Minuten köcheln lassen, bis die Linsen noch Biss haben. Ab und zu umrühren und ggf. etwas Wasser nachgießen, falls die Flüssigkeit zu schnell verkocht.

Die Apfelwürfel unterheben und mit geschlossenem Topfdeckel weitere 5 Minuten kochen lassen. Probieren und je nach Würze des verwendeten Currypulvers bzw. der Brühe mit noch etwas Salz und Pfeffer abschmecken.

Für Fleischesser passt dazu à la Minute gebratene, vorher leicht bemehlte Kalbsleber, die nach dem Braten mit Orangenpfeffer, ein wenig Curry und etwas Fleur de Sel bestreut wird.

Currylinsen
Foto: © formschub