Kategorie: Von der Tageskarte

Kaum passiert, schon gebloggt

Habt keine Angst

Es ist ein seltsamer Ort, an dem die Menschen auf den Zeichnungen von John Kenn leben. Dort gibt es keine Farben, außer ein fahles Gelb und ein dämmriges, an Schwarz erinnerndes Grau. Ab und zu sieht man auch Erwachsene, aber meist sind es Kinder. Seltsam unbeteiligte Kinder – obwohl ihnen auf Schritt und Tritt unheimliche Gestalten begegnen: Geister, Monster, Trolle, Dämonen, Kobolde, Vampire. Manchmal scheint es, als gehörten die gruseligen Begleiter mit zur Familie.

Ich stelle sie mir still vor, diese Welt, es ist üblich, flüsternd zu sprechen. Der Himmel ist dauernd mit Wolken verhangen, ständig verspricht die Sonne, bald durch den diesigen Schleier zu brechen, doch gehalten hat sie dieses Versprechen noch nie. Auch bleibt der Ort nicht von Grausamkeiten verschont, es gibt Bluttaten, Ängste und Gefahren, doch ereignen sie sich heimlich, vom Betrachter unbemerkt, er kommt als Zeuge stets entweder zu spät oder zu früh.

Gefunden habe ich den Eingang zu der faszinierenden Welt John Kenns, dessen Zeichnungen mich an Borislav Sajtinac, Gahan Wilson und Maurice Sendak erinnern, beim Stöbern in meinem Lieblingstumblr für weirde Bildwelten, 2headedsnake. Ihr solltet warten, bis es dunkel ist, ehe Ihr dort vorbeisurft. Es lohnt sich.

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Illustration: © John Kenn

All inclusive

Manchmal gibt es Texte, da fügt sich beim Lesen alles perfekt zusammen, ob leise Zeile für Zeile – oder laut mitgesprochen. Die Sätze rieseln und perlen, alle Wörter stehen am richtigen Platz, ich lache, leide, fühle mit jeder Silbe, freue mich über die Gedankengänge, Geistesblitze und Formulierungskünste des Autors und denke: Hach, einfach toll. Solche Texte müssen nicht lang sein. Dieser zum Beispiel.

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Foto: © ella novak | Some rights reserved

Rückwärtsgang

Bei der Recherche nach einer schicken Retro-Illustration für den Muttertagsblogeintrag (s.u.) stieß ich zufällig auf die Website von Plan59, dem »Museum (and Gift Shop) of Mid Century Illustration«. Hunderte Illustrationen und Anzeigen aus den 50er Jahren wurden dort mit viel Aufwand zusammengetragen, in bester Qualität eingescannt und archiviert. Viele davon sind zudem als Kunstdrucke online bestellbar. Wer wie ich ein Faible für die Designästhetik dieses Jahrzehnts hat (auch wenn die Inhalte aus heutiger Sicht manchmal fragwürdig erscheinen), findet dort ohne Weiteres Augenfutter für mehrere Stunden.

Plan59
Thumbnail generated from www.plan59.com

Stille Wasser

Auch ich zähle mich zur Gruppe der eher introvertierten Personen. Ich kann Smalltalk nichts abgewinnen, fühle mich im wortkargeren Norden wohler als im lebhaften Süden Deutschlands, höre lieber zuerst und intensiv zu, anstatt allen sofort und permanent ins Wort zu fallen und gebe dem kontemplativen Kick stets den Vorzug vor einem Adrenalinrausch. Dass die Einstufung als »Sonderling«, die viele aus diesen Präferenzen ableiten, ebenso abwegig wie fehlinterpretiert ist, fasst der Kreative Carl King in seinen »10 Myths About Introverts« sehr schön und schlüssig zusammen. Das ist so treffend formuliert, dass ich mir die Übersetzung ins Deutsche mal spare.

Hinweis auf das Posting im Tumblr-Blog von kixka via @ennomane bei Twitter (der Artikel wurde zur Originalquelle zurückverfolgt).

Myth #1 – Introverts don’t like to talk.
This is not true. Introverts just don’t talk unless they have something to say. They hate small talk. Get an introvert talking about something they are interested in, and they won’t shut up for days.

Myth #2 – Introverts are shy.
Shyness has nothing to do with being an Introvert. Introverts are not necessarily afraid of people. What they need is a reason to interact. They don’t interact for the sake of interacting. If you want to talk to an Introvert, just start talking. Don’t worry about being polite.

Myth #3 – Introverts are rude.
Introverts often don’t see a reason for beating around the bush with social pleasantries. They want everyone to just be real and honest. Unfortunately, this is not acceptable in most settings, so Introverts can feel a lot of pressure to fit in, which they find exhausting.

Myth #4 – Introverts don’t like people.
On the contrary, Introverts intensely value the few friends they have. They can count their close friends on one hand. If you are lucky enough for an introvert to consider you a friend, you probably have a loyal ally for life. Once you have earned their respect as being a person of substance, you’re in.

Myth #5 – Introverts don’t like to go out in public.
Nonsense. Introverts just don’t like to go out in public FOR AS LONG. They also like to avoid the complications that are involved in public activities. They take in data and experiences very quickly, and as a result, don’t need to be there for long to “get it.” They’re ready to go home, recharge, and process it all. In fact, recharging is absolutely crucial for Introverts.

Myth #6 – Introverts always want to be alone.
Introverts are perfectly comfortable with their own thoughts. They think a lot. They daydream. They like to have problems to work on, puzzles to solve. But they can also get incredibly lonely if they don’t have anyone to share their discoveries with. They crave an authentic and sincere connection with ONE PERSON at a time.

Myth #7 – Introverts are weird.
Introverts are often individualists. They don’t follow the crowd. They’d prefer to be valued for their novel ways of living. They think for themselves and because of that, they often challenge the norm. They don’t make most decisions based on what is popular or trendy.

Myth #8 – Introverts are aloof nerds.
Introverts are people who primarily look inward, paying close attention to their thoughts and emotions. It’s not that they are incapable of paying attention to what is going on around them, it’s just that their inner world is much more stimulating and rewarding to them.

Myth #9 – Introverts don’t know how to relax and have fun.
Introverts typically relax at home or in nature, not in busy public places. Introverts are not thrill seekers and adrenaline junkies. If there is too much talking and noise going on, they shut down. Their brains are too sensitive to the neurotransmitter called Dopamine. Introverts and Extroverts have different dominant neuro-pathways. Just look it up.

Myth #10 – Introverts can fix themselves and become Extroverts.
A world without Introverts would be a world with few scientists, musicians, artists, poets, filmmakers, doctors, mathematicians, writers, and philosophers. That being said, there are still plenty of techniques an Extrovert can learn in order to interact with Introverts. (Yes, I reversed these two terms on purpose to show you how biased our society is.) Introverts cannot “fix themselves” and deserve respect for their natural temperament and contributions to the human race. In fact, one study (Silverman, 1986) showed that the percentage of Introverts increases with IQ.

Igelkugel
Photo: © Swamibu | Some rights reserved

Sauer macht lustig

Hach, schön. Eine der »ältesten« von mir regelmäßig besuchten Cartoonseiten im Netz, »Nichtlustig« (inzwischen umgezogen zu joscha.com) mit dem ganz eigenen Humor ihres zeichnenden Urhebers Joscha Sauer, wurde am 29. April 2011 aktualisiert und bietet nun die Möglichkeit, Cartoons via iFrame direkt im eigenen Blog oder auf der eigenen Website einzubinden.

Die ältesten Dateien meiner von dort heruntergeladenen Lieblingscartoons haben das Downloaddatum »Dezember 2001« – jetzt darf ich sie endlich mit meinen Blogbesuchern teilen. Spread the News!

Innen toll, außen oll

Über mein Faible für schöne und hochwertige (Lebensmittel-)Verpackungen habe ich schon den einen oder anderen Blogbeitrag verfasst. Um so mehr ärgert es mich, wenn Hersteller solcher Produkte den Lapsus begehen, für ihre Verpackungen Designer zu engagieren, die zwar originelle Ideen, aber kein typographisches Feingefühl haben.

Gleich zwei Edelspirituosen aus dem wunderbaren Delikatessenladen mutterland in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs sprangen mir diesbezüglich besonders ins Auge. Der bayerische (!) Gin »The Duke« z.B., ein unglaublich dichtes, aromatisches Wacholderdestillat mit Anklängen an Lavendel und Zitrusfrüchte, viel zu schade, um damit Longdrinks zu mixen, reißt in der Unterzeile »Munich Dry« auf seinem Etikett die schwungvollen Buchstaben der gewählten Schreibschrift »Bickham Script« brutal auseinander. Das tut weh.

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Nicht minder schmerzt es die Gestalterseele, was die Feinbrennerei Simon’s – nicht nur auf dem Etikett ihres delikaten alten Apfelbrands »Wolfsschluchtwasser« – mit dem eigenen Firmennamen veranstaltet. Dass sich Unternehmen entschließen, ihrem Namen ein Apostroph vor einem Genitiv-s zu spendieren (wie bei Kaiser’s Supermärkten oder Joey’s Pizza Service) sei ihnen unbenommen. Aber dass dieses Satzzeichen in der wunderschönen Handschrift »Cezanne« dann auch noch falsch gesetzt als französischer Accent Grave und ohne jeden feintypographischen Ausgleich zentimeterweit entfernt vom dazugehörigen Wort in der Luft hängt, ist für mich ein gestalterisches Armutszeugnis.

Typolapsus_02

Wäre ich als Grafik-Designer auf der Suche nach einem Präsent für Freunde oder Bekannte, die im gleichen beruflichen Umfeld arbeiten, wären solche Fehlgriffe für mich ein Grund, ein anderes Produkt zu verschenken – da mag der Inhalt noch so sehr schmecken.

Falls unter den werten Lesern jemand noch andere Beispiele zur Hand hat, die solche Designschlaglöcher auf hochwertig verpackten Produkten enthüllen, freue ich mich auf jeden Hinweis in den Kommentaren. Bilddateien bitte nur beifügen, falls Ihr die Rechte an den Fotos besitzt, ansonsten bevorzuge ich Links zu den Quellen.

Fotos oben: © formschub

Extended Version

Meine Inspiration zur folgenden kurzen Geschichte war dieser heutige Tweet:

Als sich der Staub legte, hielten alle den Atem an. Der letzte, komplizierte Durchbruch in die größte Kammer des unterirdischen Stollens hatte, wie geplant, kaum etwas von der innenliegenden extrem widerstandsfähigen Wandfläche beschädigt. Das Forschungsteam betrat den riesigen, fast 200 Meter durchmessenden, perfekt kugelförmigen Raum. Die Ultraschallsondierungen der Gesteinsschichten hatten nicht gelogen: es war der älteste unzweifelhaft künstlich erzeugte Hohlraum, den die Wissenschaft je im Bauch der Erde lokalisiert hatte – fast anderthalb Kilometer unter dem Meeresspiegel und in einer der härtesten Gesteinsschichten, die den Geologen bekannt war.

Wer hatte diese Struktur geschaffen? Und wann? Die Lichtfinger der Grubenlampen betasteten die wie geschmolzen wirkende Felsoberfläche. Irgendwo aus dem Raum glühte dazu ein diffuser gelblicher Schein, der die faszinierten Gesichter der Forscher erhellte. Eine künstliche Lichtquelle? Hier unten? In der Mitte der Kaverne ragte eine gigantische, mit regelmäßigen Rippen und Strukturen versehene, altarähnliche Metallkonstruktion in die Höhe. Die Wände der Grotte waren mit kryptischen, piktogrammähnlichen Symbolen bedeckt, die an nichts erinnerten, was die Archäologen und Semiotiker des Teams je erblickt hatten. Dr. Kay, der Teamleiter der Expedition, gab die Anweisung, mit der Kartographierung, Dokumentation und Vermessung des Raumes und der Artefakte zu beginnen. Sie hatten Fotoapparate, Infrarotkameras, Lasermessgeräte, geologische Probensets und 3D-Scanner dabei.

Ein Geigerzähler gehörte nicht zur Ausrüstung des Teams. Nur er hätte den Forschern augenblicklich mit kakophonischem Knistern ihren unvermeidlichen Tod ankündigen können. Keiner aus der rund 20 Mann starken Gruppe sollte das Licht des Tages wiedersehen, in wenigen Minuten würden die ersten unter ihnen die Symptome der massiven Strahlenbelastung bemerken. Das Warnkonzept der Baumeister des Stollens hatte versagt. Keiner der vor mehr als 18.000 Jahren in weitem Umkreis des Endlagers angebrachten Warnhinweise vor dem tödlichen, radioaktiven Inhalt des Depots hatte die Zeit überdauert oder war richtig gedeutet worden.

Es war zu spät.

Grotte
Photo: © bradley.hague | Some rights reserved