Kannnichtanders*

  • Werden posthum veröffentlichte LPs als Grabplatten gehandelt?
  • Finden sich im Antlitz altgedienter Wäscherinnen auch Bügelfalten?
  • Hat ein wiederholt rückfälliger Ganove im Knast eine Stammzelle?
  • Tragen Boxer im Ring speziell angefertigte Schlaghosen?
  • War die Ratzinger-Figur auf dem Karnevalswagen neulich aus Papstmaché?
  • Und enthalten alle Brechmittel dieselben Würgstoffe?

* infiziert wurde ich hier und hier.

Wer knackt den Kot?

Wieder mal Werbung, die ich nicht verstehe. Wenn auch nur im Detail. Der oberflächliche Betrachter dieses Citylight-Aushängsels am Hamburger Dammtor mag mutmaßen, es handele sich ganz straight um ein Außenwerbemittel, welches eine außergewöhnliche Ballung von IT-Kompetenz in Niedersachsen propagiert, belegt durch den aktuellen Veranstaltungstermin der CeBIT Hannover. So weit, so gut.

Doch bei näherem Hinsehen fällt dem aufmerksamen wartenden Zugpassagier der vermeintlich fehlerhafte Fleck unterhalb der Headline ins Auge (grüner Pfeil). Dieser entpuppt sich im Closeup mitnichten als Fehler, sondern als eine hübsch auf einem Strohbouquet drapierte Ansammlung von Stoffwechselendprodukten der Spezies Equidae (vulgo: Pferdeäpfel). Was man auch erst mal erkennen muss, da der Haufen derart verschämt winzig wiedergegeben ist, dass er eher der Losung eines Rammlers gleicht. Ich frag mal ganz offen: Was macht die Reittierkacke auf dem IT-Plakat?

Ja, ich habe den Abbinder mit Pferdebezug am Fuß des Plakates gelesen. Aber das macht mich weder schmunzeln noch verstehen. Sind Computer scheiße? Machen Pferde in Niedersachsen überall hin, sogar auf Plakate? Ist die Messe kacke und man sollte lieber zu Hause bleiben? Oder ist das ein geheimer Marketingkotcode und man kann richtig was gewinnen, wenn man drauf kommt? Gerne würde ich noch weiter rätseln, aber, ach, da kommt mein Zug. Shit!

Nachtrag: Niedersachsen informiert über die Kampagne. Stichworte: Jung von Matt, Marketingpreis, Prise Humor. Na dann …

Kotplakat

Kitchen-Kitsch

So aufgeschlossen ich gegenüber allen Verlockungen der modernen Küche bin, so entzückt bin ich immer wieder beim Blättern in Kochbüchern aus den späten Fünfziger und frühen Sechziger Jahren, von denen ich einige gut erhaltene Exemplare auf Flohmärkten erstöbert habe: etwa das »Dr. Oetker Schulkochbuch« – das Standardwerk der Generation meiner Mutter – oder »Kalte Platten« aus der famos betitelten Reihe »Hans Buzengeiger plaudert aus seinen Garnierkursen, Band 2«. Wobei die darin verzeichneten Rezepte eigentlich Nebensache sind.

Viel faszinierender sind die Bebilderung und die Typographie: Schwungvolle handgezeichnete Schreibschriften, stilvolle Illustrationen auf Frontispiz oder Kapiteltrennseiten und fantastisch-bonbonbunte Foodfotos. Ziel der »Foodstylisten« jener Zeit (falls es dieses Berufsbild schon gab) schien es zu sein, Essen jenseits der Grenze des Essbaren zu inszenieren, entweder kitschig überdekoriert oder mit fast geometrischer Strenge.

Freunde dieser kulinarisch-fotografischen Opulenz werden auch bei flickr fündig: der komplette Bilderpool »Vintage Cookbooks« widmet sich dem (foto)grafischen Andenken der Kochbücher unserer Mütter und Großmütter. Einige der ergiebigsten und besten Galerien finden sich in den Fotosets der Mitglieder Charm and Poise, amy_b und Be the HBIC. Die Flickr-Seite drmvm widmet sich dem Spezialthema »Partybuffets« und weitere Retro-Küchenfotos außerhalb dieses Bilderpools findet man auch bei Pinterest. Ich glaube, ich muss auf jeden Fall bald mal wieder zum Flohmarkt.

Eieruhr
Foto: Kalte Platte »Eieruhr« aus dem o.g. Kochbuch von Hans Buzengeiger

Tiny Music Makers

Fast jeder ist wohl schon einmal zusammengezuckt, wenn zur Unzeit aus dem eigenen oder fremden Handy der allseits bekannte »Nokia-Tune«-Klingelton düdelt. Weniger bekannt ist, dass die Melodie keine Kreation aus dem Nokia Klingeltonstudio ist, sondern ein Auszug aus dem 1902 geschriebenen Solo-Gitarrenstück »Gran Vals« des spanischen Komponisten Francisco Tárrega.

Hört man genau hin, ist der Alltag voll von Klängen, Soundbits und Melodien, die jeder kennt – ihre zeitgenössischen oder klassischen Urheber jedoch bleiben oft anonym. Das im Januar 2009 leider eingestellte Blog Music Thing des Briten Tom Whitwell hat in einer Miniserie über bekannte zeitgenössische Markensounds die Stories einiger »Tiny Music Makers« recherchiert und aufbereitet.

Eine ähnlich informative Quelle zur Herkunft populärer Soundschnipsel, die sich Werber und Firmen – wie z.B. Nokia – bei der klassischen Musik »borgen«, wäre auch mal interessant.

Intel Chime
(Wellenform-Darstellung des »Intel inside« Sounds)

Booting Baroque

Das ist doch mal Avantgarde: der Startup-Sound des Apple Macintosh [macstartup.mp3] scheint über 270 Jahre alt zu sein. Offiziell gilt zwar der Apple-Mitarbeiter Jim Reekes als Urheber des Tons, doch seit ich den einleitenden Akkord der 1738 vollendeten barocken Tanzsinfonie »Les Éléments« des Komponisten Jean-Féry Rebel gestern zum ersten Mal hörte, glaube ich, es war alles ganz anders.

Vielleicht gab es ja damals schon Notebooks. Vielleicht komponierten schon Mozart und Haydn ihre Meisterwerke am Computer, den sie zuvor mit einem goldenen Schlüssel sorgsam aufgezogen hatten. Vielleicht ist das auf dem Foto aber auch nur ein abgefahrenes Steampunk-Modding des Künstlers Richard Nagy. Wer weiß?

Anktik-Notebook
Photo: © Richard Nagy (Datamancer) | noncommercial use permitted

Ein feiner Zug

Ist doch immer wieder schön, wenn Netzrecherchen viel mehr Interessantes erschließen, als ursprünglich gesucht. So geschehen beim »googeln« nach Name und Herkunft der Headlineschrift im Corporate Design des Hamburger Verkehrsverbundes HVV.

Der kursive, leicht techno-artige Font hatte auf Plakaten und Aushängen meine Aufmerksamkeit geweckt, so dass ich neugierig war, ob sich der HVV – wie die Deutsche Bahn – eine exklusive Hausschrift hatte gestalten lassen. Die Antwort: mitnichten. Der Font heißt »Faktos«, ist kostenlos für nichtkommerzielle Verwendung erhältlich und wird in den Werbemitteln des HVV lediglich* mit 115% Zeichenbreite und 14° Neigung zur Kursive verformt.

Vater und Urheber der Schrift ist der gelernte Schriftsetzer Dieter Steffmann aus Kreuztal/Westfalen, der seit mehr als 18 Jahren dem typographischen Hobby frönt, Schriften (insbesondere Fraktur) zu digitalisieren, vorhandene Public-Domain-Fonts nachzubearbeiten (z.B. um deutsche Sonderzeichen zu erweitern) und auf seiner Download-Seite zu veröffentlichen. Dort stehen neben »Faktos« rund 340 weitere Schriften zum Herunterladen bereit.

* Update: Nicht ohne eine gewisse Arroganz im Ton mokiert sich in einem Typografie-Forum ein Kommentator über das Wörtchen »lediglich«, das ich hier nutze. Die intendierte Lesart meiner Argumentation ist: »Hat der HVV eine exklusive Hausschrift? Nein, hat er nicht, sein vermeintlich eigenes Erscheinungsbild beruht lediglich darauf, dass ein Freefont verzerrt wurde.«

Mir ist als Grafik-Designer sehr wohl bewusst, dass es bei den meisten Schriften zu grauenhaften Ergebnissen führt, wenn man sie durch horizontales Skalieren oder Neigen deformiert und entsprechend vermeide ich dies konsequent. Ich bin jedoch der Meinung, dass eher geometrisch konstruierte Fonts mit rechteckigen Formen, wie z.B. Handel Gothic, Bank Gothic oder eben Faktos, dies »besser wegstecken« können, wenn es ihnen doch einmal widerfährt. Weitere Rückschlüsse aus dieser Formulierung zu ziehen, halte ich allerdings für unangemessen.

HVV Faktos
Foto: © HamburgerJung | Bestimmte Rechte vorbehalten