Autovisionen

»Amerikaner kaufen keine Spritfresser mehr« titelt tagesschau.de heute. Durstige SUVs stehen plötzlich wie Blei in den Showrooms, stattdessen werden monatelange Wartezeiten auf Hybridautos aus Japan erduldet. Dabei ist der derzeitig »hohe« US-Benzinpreis von 68 Cent/l für uns Europäer der gezapfte Witz.

Trotzdem hat der Trend auch etwas Amüsantes, wenn man ihn, mit speziellen Verkehrsteilnehmern im Blick, als Alltagsvision einmal weiterspinnt: Mal angenommen, es gäbe tatsächlich in einigen Jahren nur noch leise surrende Elektroautos zu kaufen. Was machen dann eigentlich die testosterongesteuerten PS-Freaks, die – wie auch heute mal wieder – den friedlichen Sommerabend in der Stadt mit dem Röhren ihrer Machokarossen kontaminieren? Was, wenn der ungezügelte, aggressive Kick aufs Gaspedal an der Ampel künftig als leises, klimafreundliches Säuseln im Äther verweht? Werden dann Bleifuß-Cyberspace-Studios zur lukrativen Geschäftsidee, wo Freizeitschumis ungezügelt und ohne schlechtes Gewissen im rallyegepimpten Fahrsimulator ihre Kickdown-Fantasien ausleben können? Wo an der CGI-Tanke von knapp bekleideten Avatar-Babes hektoliterweise gratis virtuelles Super ausgeschenkt wird?

Von mir aus gerne. Hätten alle was von.

Verführerisch

Er sieht aus wie die britische Version von Herbert Feuerstein, ist aber nicht nur mindestens genauso komisch, sondern kann zudem noch Gitarre spielen, singen und Trompete spielen (aber ohne Trompete!): Der britische Musiker und Comedian Earl Okin (geb. 1947) bei einer Live-Performance seines gnadenlos lasziven Songs »My Room«. Irgendwann vor Jahren mal im Fernsehen gesehen und jetzt auf youtube wiederentdeckt. Ich liebe das Internet.

Gestern abend, beim Yogakurs

Stille. Die Teilnehmer sitzen in sich gekehrt auf ihren Matten. Durch die geöffneten Fenster des Kursraumes weht laue Abendluft herein.
Kursleiterin: »Und nun schließe Deine Augen und konzentriere Dich auf Deine Mitte …«

21:08 Uhr. Irgendwo in der Schweiz fliegt fast geräuschlos ein Lederball in ein Tornetz.
(von draußen): »Jaaaa! Tooooor!« *Trööööööt* *Jubel* *Pfeif*

Kursleiterin: »Ich mach mal die Fenster zu, sonst bringt das ja nichts.«

Wieso »leider«?

EM-Oase

»(…) Die Fahnen, der Jubel, das Hupen – sollen sie von mir aus alles machen. Schließlich bin ich tolerant. Ich habe nichts gegen Menschen, die sich an einem Gummiband befestigt eine Brücke hinunterstürzen oder Geld dafür bezahlen, sich auspeitschen zu lassen. Warum sollte ich etwas gegen Fußballfans haben? (…)«

Besser als in diesem Auszug aus dem »Tagebuch eines EM-Verweigerers« im boschblog könnte ich es auch nicht formulieren, daher hier die herzliche Aufforderung an alle Gleichgesinnten, dort weiterzulesen. Weitere Tipps zu EM-freien Gastrorefugien, Kneipenoasen und Biergartenasylen in Hamburg und Berlin nehme ich gern im Kommentarbereich entgegen.

Amrum (IV)

Boje

Sonne und Wind. Die Luft schmeckt nach Salz. Mit dem Rad durch die Dünen, es rauscht in den Ohren, nur die sich überschlagenden Vogelschreie dringen hindurch. Am Strand weiter zu Fuß, hier ist die Brise noch schärfer. Die meisten Naturwanderer kommen uns entgegen, Frühaufsteher kehren eben eher zurück. Am nördlichsten Punkt der Insel wechseln wir für den Rückweg über auf die Westseite der Landzunge.

Hier legt der Wind noch einmal zu, mit jedem Schritt durch den weichen, nachgebenden Sand, frontal gegen den stetigen Luftstrom, wird der Spaziergang zum merklichen Kraftakt. Wir wandern über einen Teppich aus Muscheln und Steinen, spüren das Knirschen und Splittern unter den Sohlen, aber um es zu hören, ist der Wind viel zu laut. Einfach gehen, auch mal ohne zu reden. Der helle Sand gleißt unter der Sonne, einige flüchtige Schleier wehen wie lebendig über die breite Strandebene. Ab und zu verdunkeln Wolken die Sonne, aber es bleibt trocken. Friesenwetter. Am Horizont hüpfen vereinzelt dunkle Silhouetten auf der Wasserlinie hin und her: Wind- und Kitesurfer, für sie ist das stürmische Wetter ein Segen.

Buntgewürfelt, verstreut kommen im Grünbeige der Landschaft Anzeichen für das Ende des Rundweges in Sicht: Strandkörbe, Surfbretter, ein verwitterter Kiosk. Der Wind läßt uns los, wird hinter der Düne zum Säuseln, zerzaust nur noch die Haare. Der Kopf ist frei.

Amrum (III)

Regenbogen

Ich merke, dass ich im Urlaub »angekommen« bin, wenn ich Zugang zu den Dingen hinter den Dingen erhalte. Das Bedürfnis, Sehenswertes zu besichtigen oder bestimmte Orte aufzusuchen, tritt plötzlich zurück hinter dem Gefühl, ganz gelassen jeden Moment zu genießen und einfach nur dort zu sein, wo man gerade ist. Das Reiseziel ist dann auf einmal mehr als eine fremde, bunte Kulisse, die besichtigt und ausgekundschaftet wird. Und dann ist es auch völlig okay, wenn der Tag nicht aus Plänen, Zielen und Ereignissen besteht, sondern nur ganz easy vor sich hinpassieren kann.

So war es heute. Ein heftiger Wolkenbruch während der Radtour wird dann eben in einem Unterstand überbrückt, die Einkehr in einen Strandkiosk am Rande des südlichen Kniepsandes kann sich mit Reden, Schauen, Sonnen und Sitzen auf Stunden erstrecken, ein kleiner Grillimbiss wird durch einen Plausch mit der Frittierfachkraft belebt und der Fotoapparat wird ohne Reue den ganzen Tag nicht benutzt.

Das »Ual Öömrang Wiartshüs«, wo wir gestern abend zu Gast waren, liegt nur fünf Minuten entfernt vom Hotel. Und es war gut. Warum also nicht wieder? Und nach dem erneut köstlichen Essen lässt sich die Chefin auf eine Zigarette am Nebentisch in der sich leerenden Gaststube nieder, spendiert einen Wacholderschnaps, raucht dem wohlverdienten Feierabend entgegen und erzählt so offen und freundlich von ihrem Gasthaus und aus ihrem Leben, als ob wir schon seit Jahren bei ihr einkehren würden.

Schön hier.