Ich ahne, das wird ein längerer Eintrag. Aber das Thema »Sentimental Journey. Essen angestaubt«, unter dem Jutta in ihrem Kochblog »1x umrühren bitte« die Bloggergemeinde zur kulinarischen Zeitreise in die Vergangenheit einlädt, ist einfach zu verlockend.
Da ich schon immer gern gegessen habe, gießt das Thema über mir ein Füllhorn an Geschmackserinnerungen aus. Die wohl nachhaltigsten Momente wurzeln darin, dass die Großeltern mütterlicherseits eine dörfliche Schlachterei besaßen. Fleisch von der Kuh wurde in Form von Rinderhälften zugekauft, doch die Schweine »wohnten« tatsächlich noch in einem Stall hinter Haus und Schlachterküche und wurden täglich mit Getreide, Viehfutter und Speiseresten gefüttert. Und natürlich irgendwann auch geschlachtet.
Ich erinnere mich nicht, als Kind (damals 3–5 Jahre alt) bei einer Schlachtung dabeigewesen zu sein, aber ich habe noch heute den ganz besonderen Geruch in der Nase, der die Küchen- und Verkaufsräume durchzog. Roh, pur, würzig und frisch. So riecht gutes Fleisch, noch am Tage der Schlachtung verarbeitet, man erahnt hindurch tatsächlich noch einen Hauch von Blut, warm und metallisch, umwölkt von Gewürzen und köstlichen Restdüften aus Wurstküche und Räucherofen. Und so schmeckten auch die Fleisch- und Wurstwaren, die von Opa und Onkel nach eigenen Rezepturen selbst hergestellt wurden.
Die markanteste Erinnerung habe ich an das »Gehackte«. Herrlich rotes Rindermett, auf dick mit Butter beschmierten, knusprigen Brötchen, außen rösch und innen fluffig-weich, das Ganze bestreut mit den damals noch kugelig-krümligen, gelben Körnchen »Fondor«-Würze aus dem stets bereitstehenden Tischstreuer. Auf den gleichen, leckeren Brötchen schmeckte auch das Schweinemett, sicherlich etwas fetthaltiger als heute, aber mit einem unvergleichlichen Geschmack, dem ich bis heute wehmütig nachhänge. Mit einem Hauch von Knoblauch und eingestreuten, ganzen Senfkörnern. Köstlich.
Fett war ja damals ohnehin noch was Gutes. In der Blutwurst glänzten würfelzuckergroße Speckbrocken, man bestrich sich Brote mit Butter und Schmalz, goss Schinkenspeckwürfel samt ausgelassenem Fett über Kartoffeln und ließ den Fettrand am Kotelett knusprig mitbraten – und es schmeckte, ganz ohne schlechtes Gewissen. Das kam erst später, als die Reflexion übers Essen einsetzte, sich nachpubertär plötzlich Pfunde an den Rippen anzulagern begannen und das allgemeine Gesundheitsbewusstsein wuchs. Heute bevorzuge ich Vollkornbackwaren, ersetze Butter durch Frischkäse und schätze neben Fleisch und Fisch auch die vegetarische (indische) Küche. Aber ich schweife ab …
Neben dem erwähnten Fondor-Gewürz war auch Maggi ein untrennbar mit Kindheitserinnerungen verknüpfter Geschmacksträger. In Suppen ohnehin unentbehrlich, ob Hühner-, Erbsen-, Linsen-, Kartoffel- oder Grüne-Bohnen-Eintopf, der Griff zur gelb etikettierten, eckigen Braunglasflasche mit dem roten Spritzaufsatz war obligatorisch. Aber auch feste Gerichte waren unvollkommen ohne ein paar braune Spritzer der ganz speziellen Aromatinktur: Rosenkohl und Nudelauflauf z.B. werden bei mir auch heute noch mit Maggi gewürzt (Bei anderen Gerichten bevorzuge ich als leidenschaftlicher Hobbykoch inzwischen natürlich raffiniertere Würzmethoden).
Weitere Kindheitsgerichte mit hohem Nostalgiefaktor waren: Mutti’s Gulasch – am liebsten mit den Ufo-förmigen Birkel »Trulli«-Nudeln; Fischstäbchen mit Rahmspinat, Rührei und Speck; Kartoffelpuffer mit Apfelmus; Hühnerfrikassee mit Reis; Eierpfannkuchen mit Heidelbeerkompott; Grießbrei mit Dosenmandarinen; Milchnudeln (eine süße, vanillige Milchsuppe mit Nudeleinlage); Reisbrei mit Zucker und Zimt; paniertes Kotelett mit Erbsen & Möhren aus der Dose, gebratene Leber mit in Butter braun gebratenen Zwiebeln und – ganz profan, aber genauso lecker – Nudelsalat.
Dafür gibt’s auch heute das Rezept (ergibt 1 ansehnliche Schüssel):
Zutaten
250 g Gabelspaghetti
1 Dose Erbsen (400 g Füllgewicht)
250 g Fleischwurst
1/2 Glas Miracel Whip oder Mayonnaise (Kalorienbewusste nehmen 50% Crème fraîche)
2–3 EL Tomatenketchup
Pfeffer aus der Mühle
1 TL Currypulver
ca. 100 ml Milch
Die Nudeln al dente kochen, kalt abschrecken und in einem Sieb abtropfen lassen. Flüssigkeit aus der Erbsendose abgießen und die Fleischwurst in kleine Würfel schneiden. Miracel Whip, Milch, Ketchup, Currypulver und Pfeffer mit einem Schneebesen zu einem leicht dünnflüssigen Dressing verrühren (die Nudeln absorbieren beim Durchziehen noch etwas Flüssigkeit aus dem Dressing). Erbsen, Wurst und abgekühlte Nudeln mit dem Dressing vermengen und einige Stunden durchziehen lassen. Dazu Grillfleisch, Buletten, Wiener Würstchen oder was Kinder sonst noch so mögen.
So sehr ich die Kochkünste meiner Mutter heute noch schätze – mit dem aufkommenden eigenen Interesse am Kochen ging auch ein gewisses Erwachen einher. Denn nach und nach wurde mir bewusst, dass z.B einige Gemüsesorten auf meinem Kinderteller fast immer aus der Konserve kamen. Neben den erwähnten Erbsen & Möhren etwa auch Champignons und Spargel. Auch enthüllten Mutters Küchengeheimnisse ungenierten Zugriff auf Convenience-Zutaten: die viele Tellergerichte umfließenden Soßen wurden meist mit Hilfe von Fertigpulver komponiert, oft bildeten Suppen- und Würzwürfel die Basis für Schmorgerichte und Eintöpfe. Offenbar war noch Mitte der Siebziger Jahre das Angebot an Frischgemüse kaum vergleichbar mit der heutigen Vielfalt, zum Teil war es aber auch der Ernährungszeitgeist jener Zeit, der diese Art des Kochens überhaupt nicht hinterfragte. Ist ja auch egal, es hat geschmeckt, und das war damals die Hauptsache.
Nach dem Mittagessen gab’s dann natürlich oft auch noch Nachtisch: Vanillepudding mit Himbeersirup, Schokoladenpudding mit Sahne, schokoknispeliges »Viennetta«-Eis oder Schattenmorellenkompott. In einem bestimmten Zeitfenster erinnere ich mich auch noch deutlich an verschiedene, zeitsparend zubereitete Instant-Schaumcremedesserts (»Majala Traumcreme«) mit Karamel-, Vanille-, Mocca-, Schoko-, Zitronen- oder Mandarinengeschmack. Sehr beliebt bei Familienfeiern war die als Bausatz mit einer Piccoloflasche Rebensaft erhältliche Rotweincreme, deren deutlich alkoholisches Aroma ich allerdings nicht allzu sehr mochte. Eine besondere, erinnerungswürdige Haptik hatte das seltsame Dosendessert »Flair«, bei dem eine kaltschalenartige Fruchtsuppe mit derselben Menge Milch zu einem glibbrigen Schleim verrührt wurde. Auch nicht sonderlich geschätzt.
Von den süßen Desserts zum Naschwerk ist es nur ein kleiner Sprung, das muss jetzt auch noch abgehakt werden. After Eight. Erfrischungsstäbchen. Campino (auf langen Autofahrten). Werthers Echte. Bazooka Joe Kaugummi. Leckmuscheln. Storck Riesen. PEZ. Rolo. Antjes. Ahoj Brause. Toblerone. Moccabohnen. Schaumzucker-Erdbeeren. Lakritzschnecken. Und nicht zu vergessen die reichlich servierten Torten und Kuchen bei Geburtstagen und Verwandtenbesuchen: Frankfurter Kranz, Bienenstich mit Puddingfüllung, Donauwellenkuchen. Und – damit das Thema Fett auch hier nicht zu kurz kommt – »Kalter Hund« aus Keksen und Palmin-Kuvertüre.
Das waren jetzt alles in allem bestimmt an die hunderttausend aufgezählte Kalorien. Ich zumindest habe jede einzelne davon genossen. Vielleicht entdeckt ja der eine oder andere Leser Parallelen zu eigenen Erinnerungen. Mir hat es jedenfalls großen Spaß gebracht, in den meinen zu kramen.
Guten Appetit weiterhin!