Kategorie: Frisch ausgefüllt

Geworfene oder gefangene Stöckchen

Bücherfragebogen [♂] – 04

04 Dein Hassbuch
Ach, sicher könnte ich Bücher hassen, die mich langweilen, aber das ist mir zu anstrengend. Lieber gähne ich, klappe sie zu und lege sie zur Seite. Gleichermaßen verfahre ich – nur ohne Gähnen – mit Büchern, die mir zu provokant, zu krass oder komplett im Widerspruch zu meinem Naturell oder meiner Weltanschauung daherkommen. Was nicht heißt, dass ich nicht neuen oder fremdartigen Themen gegenüber aufgeschlossen wäre.

Doch warum sollte ich von Dingen oder Personen lesen, bei denen ich durch eine vorherige Beschäftigung oder Konfrontation bereits festgestellt habe, dass ich damit nichts anfangen kann oder will? Oder es bewusst lesen, um mich dann unvermeidlich darüber aufzuregen? Von Elie Wiesel stammt das weise Zitat »Das Gegenteil von Liebe ist nicht Haß, sondern Gleichgültigkeit.« Das halte ich ohne weiteres für übertragbar auf Bücher.

Dennoch gibt es ein Buch, das mich indirekt ein bisschen nervt, wenngleich es seine Popularität der viel berühmteren Verfilmung verdankt: »Die Feuerzangenbowle« von Heinrich Spoerl. Der Protagonist des Buches hat nämlich denselben Nachnamen wie ich. Und bei jeder Angabe meines Namens im gesamten deutschen Sprachraum folgen in 9 von 10 Fällen gewitzelte Anspielungen des Gegenübers auf den Charakter, den Heinz Rühmann im Film verkörpert: »mit drei f – eins vor dem Ei, zwei hinterm Ei«. Haha. Neu. Witzig. Originell. Nicht. Ich wüsste es wahrlich zu schätzen, hätte Spoerl seinen Aufmupfpennäler anders genannt.

Der komplette Fragebogen im Überblick.

Bücherfragebogen 04
Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 03

03 Dein Lieblingsbuch
Ein einzelnes Lieblingsbuch habe ich genausowenig wie einen absoluten Lieblingsfilm, ein ultimatives Lieblingslied oder ein alleiniges Lieblingsgericht. Lieblingsbücher würde ich diejenigen nennen, die mich für die Dauer der Lektüre komplett in ihre Geschichte und ihre Welt hineingesogen haben, manchmal so intensiv, dass ich mehrhundertseitige Werke in weniger als zwei Tagen durchgelesen habe.

Einige Bücher, die mich derart gefesselt haben, waren unter anderem »Die unendliche Geschichte« von Michael Ende, »Die Augen des Drachen« und »Der Talisman« von Stephen King bzw. Stephen King und Peter Straub, »Dracula« von Bram Stoker, »Die geheime Geschichte« von Donna Tartt, »Die Asche meiner Mutter« von Frank McCourt, »Der Bericht des Arthur Gordon Pym« von Edgar Allan Poe, »Der Name der Rose« von Umberto Eco – und eine Science-Fiction-Dilogie, von der im Beitrag 30 noch die Rede sein wird.

Der komplette Fragebogen im Überblick.

Bücherfragebogen 03
Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 02

02 Das Buch, das du als nächstes liest/lesen willst
James Clavell: »Shogun«. Erst vor wenigen Wochen habe ich die 11-teilige Fernsehserienverfilmung mal wieder gesehen (Ostern 2010 bei arte aufgenommen) und war, wie damals beim ersten Mal, fasziniert sowohl von der famosen Umsetzung mit ihren Dialogen in japanischem O-Ton, die fast ohne Untertitel auskommt und trotzdem in allem Wesentlichen verständlich ist, als auch von der Story und den Einblicken in die historische japanische Kultur und Mentalität. Im Buch ist das bestimmt alles noch wesentlich dichter. Wozu hätte es sonst so viele Seiten? Nämlich 1227. Oha.

Der komplette Fragebogen im Überblick.

Bücherfragebogen 02
Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 01

Er nagte an mir, dieser Tweet von @isabo_. Nicht, weil ich mich als besonders repräsentatives Exemplar Mann sehe (eher im Gegenteil), und auch nicht, weil ich mich berufen fühlte, die literarische Ehre der bloggenden Penisträger zu retten, sondern vielmehr, weil ich jüngst in einigen gern besuchten Blogs mit großem Interesse die Beiträge anderer (in der Tat ausschließlich weiblicher) Blogautoren zu diesem anspruchsvollen Stöckchen lese bzw. gelesen habe und oft dabei an die für mich bedeutsamen Bücher der bebloggten Rubriken denken musste – aber bislang nichts drüber erzählte. Anspruchsvoll, weil die 31 Fragen nicht »mal eben so« zu beantworten sind, sondern einiges Nachdenken und – sofern man die eigenen Leser für die erwähnten Bücher weiterführend interessieren möchte – einen gewissen Rechercheaufwand erfordern. Aber da ich momentan irgendwie mal wieder ein bisschen mehr Lust zum Bloggen habe, fange ich einfach mal damit an.

01 Das Buch, das du zur Zeit liest
Im Moment lese ich viel zu wenig Bücher. Ich lese viel im Internet und in Zeitschriften und Magazinen, einige habe ich abonniert (PAGE), andere kaufe ich sporadisch (NEON, brand eins, mare Kulinarik, Efilee) und manche klaube ich aus dem Postmüllkörbchen im Treppenhaus (ZEIT Magazin). Das hält mich leider merklich vom Bücherlesen ab. Ich habe aber mehrere angefangene Bücher auf dem Nachttisch liegen, z.B. »Die Donnerstage des Oberstaatsanwalts« von Herbert Rosendorfer, das »PONS Twitter«-Buch und »Die Teufelsarie« von Kate Ross (Übersetzung: Birgit Moosmüller). Sie liegen dort – und ich lese fremd.

Das letzte Buch, das ich – im vergangenen Sommerurlaub – in einem Rutsch gelesen habe, war »All you can eat: Ein Gourmet reist um die Welt« von Simon Majumdar, auf das mich das Blog der beneidenswert emsigen Leseratte Anke Gröner gebracht hatte. Angenehm leichte Kost und wieder mal ein Buch, das in mir den verklärten Wunsch weckt, auch selbst ganz einfach, nur mit Reisen und Essen, mein Geld verdienen zu können.

Vielleicht führt mich ja die Beschäftigung mit diesem Stöckchen mal wieder näher an Bücher heran.

Hier nochmal der gesamte Fragebogen
(von hier aus verlinke ich dann auch sukzessive auf meine Beiträge)
01 Das Buch, das du zur Zeit liest
02 Das Buch, das du als nächstes liest/lesen willst
03 Dein Lieblingsbuch
04 Dein Hassbuch
05 Ein Buch, das du immer und immer wieder lesen könntest
06 Ein Buch, das du nur einmal lesen kannst (egal, ob du es hasst oder nicht)
07 Ein Buch, das dich an jemanden erinnert
08 Ein Buch, das dich an einen Ort erinnert
09 Das erste Buch, das du je gelesen hast
10 Ein Buch von deinem Lieblingsautoren/deiner Lieblingsautorin
11 Ein Buch, das du mal geliebt hast, aber jetzt hasst
12 Ein Buch, das du von Freunden/Bekannten/etc. empfohlen bekommen hast
13 Ein Buch, bei dem du nur lachen kannst
14 Ein Buch aus deiner Kindheit
15 Das 4. Buch in deinem Regal von links
16 Das 9. Buch in deinem Regal von rechts
17 Augen zu und irgendein Buch aus dem Regal nehmen
18 Das Buch mit dem schönsten Cover, das du besitzt
19 Ein Buch, das du schon immer lesen wolltest
20 Das beste Buch, das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
21 Das blödeste Buch, das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
22 Das Buch in deinem Regal, das die meisten Seiten hat
23 Das Buch in deinem Regal, das die wenigsten Seiten hat
24 Ein Buch, von dem niemand gedacht hätte, dass du es liest/gelesen hast
25 Ein Buch, bei dem die Hauptperson dich ziemlich gut beschreibt
26 Ein Buch, aus dem du deinen Kindern vorlesen würdest
27 Ein Buch, dessen Hauptperson dein »Ideal« ist
28 Zum Glück wurde dieses Buch verfilmt!
29 Warum zur Hölle wurde dieses Buch verfilmt?
30 Warum zur Hölle wurde dieses Buch noch nicht verfilmt?
31 Das Buch, das du am häufigsten verschenkt hast

Fotoblogstöckchen (II)

Auf der Suche nach weiteren Gegenständen, mit denen ich hier etappenweise das wundervolle Erinnerungsstöckchen von creezy auffangen möchte, stieß ich in einem Schmuckkästchen auf ein weiteres Souvenir meiner Kindheit. Für mich überraschend: nicht wenige der Erinnerungsstücke, die ich auf dieser Suche entdecke, haben etwas mit Tieren zu tun. Und das, obwohl ich nur sporadisch selbst welche besaß. Eines davon – mein erstes eigenes Tier – war Karlinchen.

Karlinchen war eine Schildkröte und ich war sechs Jahre alt. Mein Vater hatte sich etwa ein Jahr zuvor entschlossen, für zwei Jahre einen Job im nordafrikanischen Algerien anzutreten und die gesamte Familie mitzunehmen. Und so kam es, dass von 1973 bis 1975 ein kleiner Bungalow in einer kleinen deutschen »Gastarbeitersiedlung« nahe der algerischen Stadt Constantine mein Zuhause war. Ich wurde dort eingeschult, hatte bereits in der 1. Klasse Unterricht in der Landessprache Französisch (bis zu den späteren Gymnasialkursen allerdings das meiste wieder vergessen), lernte neue Freunde kennen – und bekam Karlinchen.

Sie wohnte in einer kleinen Holzkiste hinter dem Haus, ich fütterte sie mit Kopfsalatblättern, gab ihr Wasser und studierte fasziniert die seltsamen Züge dieses vorsintflutlichen Tieres: den glänzenden, braungeschuppten Kopf, der sich sofort ins Innere des Panzers zurückzog, wenn das Streicheln mit dem Finger etwas zu unsanft ausfiel, oder die kleine rosa Zunge, die bei jedem Biss ins bereitgelegte Grünfutter kurz zwischen den Schnappkiefern aufblitzte. Und die stoische Langsamkeit, mit der sie außerhalb ihrer Kiste den mauerbegrenzten kleinen Hinterhof durchwanderte. Ein bodentiefes eisernes Gatter bildete den Zugang, eine kleine Stufe führte vom Hof aus ins Wohnzimmer des ebenerdigen Hauses – der ideale Ort zur Unterbringung des kleinen Urviechs, denn selbst außerhalb ihrer Kiste konnte es von dort nicht ausreißen. Jedenfalls nicht ohne Hilfe.

Doch eines Tages sollte ausgerechnet ich selbst ihr genau diese Hilfe anbieten. Es war Wochenende, nachmittags, und ich war auf dem Hof mit Karlinchen beschäftigt, als plötzlich ein Auto vorfuhr und meine Eltern riefen, Familie B. sei zu Besuch angekommen. Dies weckte sofort mein aufgeregtes Interesse, denn die beiden Söhne dieses Arbeitskollegen meines Vaters zählten zu meinen Freunden und Spielkameraden. Ich sprang auf und rannte vom Hof, um die eingetroffenen Freunde zu begrüßen – und vergaß, das Gatter zu schließen. Plötzlich war anderes wichtiger.
Gegen Abend, nach Abreise der Gäste, fand ich hinter dem Haus nur noch die leere Holzkiste vor. Die aufgeregte gemeinsame Suche mit den Eltern auf dem Hof und in der näheren Umgebung des Hauses war vergebens. Karlinchen hatte genug Zeit gehabt, für immer zu verschwinden. Ich war traurig.

Ein paar Wochen später, vielleicht im Bauchladen eines Strandhändlers, vielleicht in der Auslage eines algerischen Basars, sah ich meine Schildkröte wieder. Viel kleiner, silbern, und mit einer ovalen Öse am Kopf. Es war ein Kettenanhänger. Ich bekniete meine Eltern, mir die metallene Reinkarnation meines geflohenen Schützlings zu kaufen. Und der Verkäufer ließ mit sich handeln. Eine Zeit lang trug ich sie an einer silbernen Kette um den Hals. Weglaufen ließ ich sie nicht noch einmal.

Karlinchen
Foto: © formschub | (to be continued)

Fotoblogstöckchen (I)

Meiner reizenden Blognachbarin creezy ist es zu verdanken, dass der schon fast totgeglaubte Brauch des Blogstöckchens eine wunderbar nostalgische Frischzellenkur erfuhr. Sie rief dazu auf, Gegenstände aus dem eigenen Haushalt zu fotografieren, die mit einprägsamen Kindheitserinnerungen verbunden sind – und deren Geschichte(n) zu erzählen. Ein Stöckchen, das ich gerne fange, weil es mich sofort auf eine Kopfreise durch Schrankfächer und Schubladen schickte. Aus Zeitgründen möchte ich meine Beiträge dazu auf mehrere Blogeinträge verteilen. Hier kommt der erste:

Ich war eben auf meinem Dachboden und habe ein Stückchen Vergangenheit heruntergeholt. Es ist ein kleiner Zettel, etwa so groß wie eine Postkarte. Ich wusste, dass er dort oben liegt. Ich habe ihn mit anderen kleinformatigen Papiersouvenirs in einem braunen Briefumschlag aufbewahrt. Es stehen acht handgeschriebene Zeilen darauf, in einer wunderschönen, doch für viele Menschen nahezu unleserlichen Schrift: Sütterlin. Und verfasst hat ihn meine Oma Margarethe, genannt »Oma Gretchen« – irgendwann im Sommer 1978. Da war ich elf.

Oma Gretchen lebt schon lange nicht mehr, sie starb 1983 in dem kleinen Ort mitten im Harz, wo sie den größten Teil ihres Lebens verbrachte, der Gegend, aus der meine Familie stammt. Oma Gretchen lebte, seit sie verwitwet war, in einer kleinen Etagenwohnung im Haus meiner Tante. Dort oben besuchte ich sie oft als Kind, an Wochenenden oder auch während der Schulferien, wenn ich abwechselnd ein, zwei Wochen bei meinen Harzer Omas verbrachte.

Die Wohnung von Oma Gretchen war sehr braun, schön warm und irgendwie weich. Dunkle Holzschränke, ein federkerngepolstertes Sofa, ein riesiges, unendlich nachgiebiges Bett, Spiegel, Vitrinen, Fußschemel und Deckchen. Es roch nach Holz, Latschenkiefer, Stoff und ein bisschen nach Vanille. Eine Omawohnung wie die korpulente und gemütliche Oma, die darin wohnte.

Auf dem großen Vitrinenschrank im Wohnzimmer, ganz oben, neben der hölzernen Kaminuhr, die mit einem gemütlichen Gongschlag die Stunden in Omas Wohnung durchnummerierte, stand ein Hund aus Porzellan. Ich musste diesen Hund gemocht haben damals, denn ich erinnere mich, dass ihn Oma oft vom Schrank holen musste. Vermutlich habe ich ihn nur angesehen, bewundert, berührt, denn Porzellan ist empfindlich und kein Spielzeug für Kinder. Ich fand ihn nie kitschig, denn er ist nicht bunt bemalt, nur ein paar graue und schwarze Farbflecken akzentuieren das Fell und die Augen. Er trägt kein Halsband und keine Leine, er ist nicht »niedlich«, sondern schlank und, wie ich finde, von einer vornehmen Wildheit. Er sitzt nicht brav bei Fuß, sondern ist draußen unterwegs, streift durchs Gras, apportiert vielleicht einem Jäger. Ich gab ihm nie einen Namen, er war einfach »der Hund«.

Nach dem Tod Oma Gretchens bekam ich nicht mit, was mit dem Nachlass in ihrer Wohnung geschah. Die Zimmer wurden renoviert, neu eingerichtet, ein Nähzimmer für die Tante, ich war selten wieder dort oben. Mit 16 macht man keine Ferien mehr bei Tanten und Omas. Sie war nicht mehr da, ebensowenig wie der vertraute Geruch, wie die Farben und Möbel, die alte Kaminuhr und das federnde Sofa. Oma war weg.
Dann wurde mir plötzlich der Porzellanhund gegeben, meine Tante oder meine Mutter überreichten ihn mir, ich erinnere mich nicht mehr genau. Beim Herunterholen vom Schrank hatte sich im hohlen Sockel des Hundes der handgeschriebene Zettel gefunden, den ich eben vom Dachboden holte. Ich kann ihn entziffern, denn meine Oma schrieb mir auch zum Geburtstag oft Karten von Hand:

Sommer 1978
Ich, der schöne Porzellan-Hund gehöre meinem Frauchen-Gretchen. (Auch Omchen, Omi oder Omichen)
Sollte mein Frauchen mich einmal verlassen, so möchte mich der Thomas (…) gerne haben.
Er freut sich.

Ich habe ihn gern aufgenommen. Er hat es gut bei mir, oben auf dem Schrank.

Hund
Zettel
Fotos: © formschub | (to be continued)

Sentimental Journey

Ich ahne, das wird ein längerer Eintrag. Aber das Thema »Sentimental Journey. Essen angestaubt«, unter dem Jutta in ihrem Kochblog »1x umrühren bitte« die Bloggergemeinde zur kulinarischen Zeitreise in die Vergangenheit einlädt, ist einfach zu verlockend.

Blog-Event XXXVII - Sentimental journey - Essen angestaubt

Da ich schon immer gern gegessen habe, gießt das Thema über mir ein Füllhorn an Geschmackserinnerungen aus. Die wohl nachhaltigsten Momente wurzeln darin, dass die Großeltern mütterlicherseits eine dörfliche Schlachterei besaßen. Fleisch von der Kuh wurde in Form von Rinderhälften zugekauft, doch die Schweine »wohnten« tatsächlich noch in einem Stall hinter Haus und Schlachterküche und wurden täglich mit Getreide, Viehfutter und Speiseresten gefüttert. Und natürlich irgendwann auch geschlachtet.

Ich erinnere mich nicht, als Kind (damals 3–5 Jahre alt) bei einer Schlachtung dabeigewesen zu sein, aber ich habe noch heute den ganz besonderen Geruch in der Nase, der die Küchen- und Verkaufsräume durchzog. Roh, pur, würzig und frisch. So riecht gutes Fleisch, noch am Tage der Schlachtung verarbeitet, man erahnt hindurch tatsächlich noch einen Hauch von Blut, warm und metallisch, umwölkt von Gewürzen und köstlichen Restdüften aus Wurstküche und Räucherofen. Und so schmeckten auch die Fleisch- und Wurstwaren, die von Opa und Onkel nach eigenen Rezepturen selbst hergestellt wurden.

Die markanteste Erinnerung habe ich an das »Gehackte«. Herrlich rotes Rindermett, auf dick mit Butter beschmierten, knusprigen Brötchen, außen rösch und innen fluffig-weich, das Ganze bestreut mit den damals noch kugelig-krümligen, gelben Körnchen »Fondor«-Würze aus dem stets bereitstehenden Tischstreuer. Auf den gleichen, leckeren Brötchen schmeckte auch das Schweinemett, sicherlich etwas fetthaltiger als heute, aber mit einem unvergleichlichen Geschmack, dem ich bis heute wehmütig nachhänge. Mit einem Hauch von Knoblauch und eingestreuten, ganzen Senfkörnern. Köstlich.

Fett war ja damals ohnehin noch was Gutes. In der Blutwurst glänzten würfelzuckergroße Speckbrocken, man bestrich sich Brote mit Butter und Schmalz, goss Schinkenspeckwürfel samt ausgelassenem Fett über Kartoffeln und ließ den Fettrand am Kotelett knusprig mitbraten – und es schmeckte, ganz ohne schlechtes Gewissen. Das kam erst später, als die Reflexion übers Essen einsetzte, sich nachpubertär plötzlich Pfunde an den Rippen anzulagern begannen und das allgemeine Gesundheitsbewusstsein wuchs. Heute bevorzuge ich Vollkornbackwaren, ersetze Butter durch Frischkäse und schätze neben Fleisch und Fisch auch die vegetarische (indische) Küche. Aber ich schweife ab …

Neben dem erwähnten Fondor-Gewürz war auch Maggi ein untrennbar mit Kindheitserinnerungen verknüpfter Geschmacksträger. In Suppen ohnehin unentbehrlich, ob Hühner-, Erbsen-, Linsen-, Kartoffel- oder Grüne-Bohnen-Eintopf, der Griff zur gelb etikettierten, eckigen Braunglasflasche mit dem roten Spritzaufsatz war obligatorisch. Aber auch feste Gerichte waren unvollkommen ohne ein paar braune Spritzer der ganz speziellen Aromatinktur: Rosenkohl und Nudelauflauf z.B. werden bei mir auch heute noch mit Maggi gewürzt (Bei anderen Gerichten bevorzuge ich als leidenschaftlicher Hobbykoch inzwischen natürlich raffiniertere Würzmethoden).

Weitere Kindheitsgerichte mit hohem Nostalgiefaktor waren: Mutti’s Gulasch – am liebsten mit den Ufo-förmigen Birkel »Trulli«-Nudeln; Fischstäbchen mit Rahmspinat, Rührei und Speck; Kartoffelpuffer mit Apfelmus; Hühnerfrikassee mit Reis; Eierpfannkuchen mit Heidelbeerkompott; Grießbrei mit Dosenmandarinen; Milchnudeln (eine süße, vanillige Milchsuppe mit Nudeleinlage); Reisbrei mit Zucker und Zimt; paniertes Kotelett mit Erbsen & Möhren aus der Dose, gebratene Leber mit in Butter braun gebratenen Zwiebeln und – ganz profan, aber genauso lecker – Nudelsalat.

Dafür gibt’s auch heute das Rezept (ergibt 1 ansehnliche Schüssel):

Zutaten
250 g Gabelspaghetti
1 Dose Erbsen (400 g Füllgewicht)
250 g Fleischwurst
1/2 Glas Miracel Whip oder Mayonnaise (Kalorienbewusste nehmen 50% Crème fraîche)
2–3 EL Tomatenketchup
Pfeffer aus der Mühle
1 TL Currypulver
ca. 100 ml Milch

Die Nudeln al dente kochen, kalt abschrecken und in einem Sieb abtropfen lassen. Flüssigkeit aus der Erbsendose abgießen und die Fleischwurst in kleine Würfel schneiden. Miracel Whip, Milch, Ketchup, Currypulver und Pfeffer mit einem Schneebesen zu einem leicht dünnflüssigen Dressing verrühren (die Nudeln absorbieren beim Durchziehen noch etwas Flüssigkeit aus dem Dressing). Erbsen, Wurst und abgekühlte Nudeln mit dem Dressing vermengen und einige Stunden durchziehen lassen. Dazu Grillfleisch, Buletten, Wiener Würstchen oder was Kinder sonst noch so mögen.

Nudelsalat

So sehr ich die Kochkünste meiner Mutter heute noch schätze – mit dem aufkommenden eigenen Interesse am Kochen ging auch ein gewisses Erwachen einher. Denn nach und nach wurde mir bewusst, dass z.B einige Gemüsesorten auf meinem Kinderteller fast immer aus der Konserve kamen. Neben den erwähnten Erbsen & Möhren etwa auch Champignons und Spargel. Auch enthüllten Mutters Küchengeheimnisse ungenierten Zugriff auf Convenience-Zutaten: die viele Tellergerichte umfließenden Soßen wurden meist mit Hilfe von Fertigpulver komponiert, oft bildeten Suppen- und Würzwürfel die Basis für Schmorgerichte und Eintöpfe. Offenbar war noch Mitte der Siebziger Jahre das Angebot an Frischgemüse kaum vergleichbar mit der heutigen Vielfalt, zum Teil war es aber auch der Ernährungszeitgeist jener Zeit, der diese Art des Kochens überhaupt nicht hinterfragte. Ist ja auch egal, es hat geschmeckt, und das war damals die Hauptsache.

Nach dem Mittagessen gab’s dann natürlich oft auch noch Nachtisch: Vanillepudding mit Himbeersirup, Schokoladenpudding mit Sahne, schokoknispeliges »Viennetta«-Eis oder Schattenmorellenkompott. In einem bestimmten Zeitfenster erinnere ich mich auch noch deutlich an verschiedene, zeitsparend zubereitete Instant-Schaumcremedesserts (»Majala Traumcreme«) mit Karamel-, Vanille-, Mocca-, Schoko-, Zitronen- oder Mandarinengeschmack. Sehr beliebt bei Familienfeiern war die als Bausatz mit einer Piccoloflasche Rebensaft erhältliche Rotweincreme, deren deutlich alkoholisches Aroma ich allerdings nicht allzu sehr mochte. Eine besondere, erinnerungswürdige Haptik hatte das seltsame Dosendessert »Flair«, bei dem eine kaltschalenartige Fruchtsuppe mit derselben Menge Milch zu einem glibbrigen Schleim verrührt wurde. Auch nicht sonderlich geschätzt.

Von den süßen Desserts zum Naschwerk ist es nur ein kleiner Sprung, das muss jetzt auch noch abgehakt werden. After Eight. Erfrischungsstäbchen. Campino (auf langen Autofahrten). Werthers Echte. Bazooka Joe Kaugummi. Leckmuscheln. Storck Riesen. PEZ. Rolo. Antjes. Ahoj Brause. Toblerone. Moccabohnen. Schaumzucker-Erdbeeren. Lakritzschnecken. Und nicht zu vergessen die reichlich servierten Torten und Kuchen bei Geburtstagen und Verwandtenbesuchen: Frankfurter Kranz, Bienenstich mit Puddingfüllung, Donauwellenkuchen. Und – damit das Thema Fett auch hier nicht zu kurz kommt – »Kalter Hund« aus Keksen und Palmin-Kuvertüre.

Das waren jetzt alles in allem bestimmt an die hunderttausend aufgezählte Kalorien. Ich zumindest habe jede einzelne davon genossen. Vielleicht entdeckt ja der eine oder andere Leser Parallelen zu eigenen Erinnerungen. Mir hat es jedenfalls großen Spaß gebracht, in den meinen zu kramen.

Guten Appetit weiterhin!

»Flickr-Teppich«

Update: Aufgrund eines Artikels zum Urheberrecht habe ich das Mosaik nachträglich unkenntlich gemacht.

  • Beantworte die zwölf untenstehenden Fragen und gib Deine Antworten bei Flickr ins Suchfeld ein.
  • Such Dir jeweils von der ersten Ergebnisseite ein Bild aus.
  • Kopiere die dazugehörigen Bildlinks in ein passendes Raster beim Mosaic Maker.

Die Fragen:
01. Dein Vorname?
02. Lieblingsessen?
03. Auf welche Schule bist du gegangen?
04. Lieblingsfarbe?
05. Celebrity Crush?
06. Lieblingsgetränk?
07. Traumurlaubsziel?
08. Dein Lieblingsnachtisch?
09. Was willst du werden, wenn du groß bist?
10. Was magst du am meisten am Leben?
11. Ein Wort, das dich beschreibt?
12. Dein flickr-Name.

Flickr-Mosaik
1. Vincent Thomas Bridge, 2. Palak Paneer, 3. Hildesheim Hauptbahnhof, 4. DSC00274.JPG, 5. joseph_fiennes-2, 6. Real Ale, Real Stout, 7. capo palinuro, 8. IMG_1169.JPG, 9. I Am, 10. Togetherness Toy, 11. Searching for that Something I’ve Already Found, 12. Skiller Snaper UTI

(von Anke abgeguckt)